Kapitel 7.5 - Alices Gebot

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Dieser zweite Abend verlief ähnlich, wie der Erste. Ein grosses Essen wurde den Gästen serviert und danach fand der Tanz statt. Doktor O'Leary der zum Essen fast genötigt wurde, wurde von Lady de Warenne regelrecht dazu aufgefordert jedem zu versichern, dass Alexander de Warenne nur eine kleine Verletzung hätte und bald wieder auf den Beinen stehen werde. Trotzdem war einer Mehrzahl der Gäste, vorzugsweise den Damen, nicht nach Feiern zumute und die Meisten verschwanden nach einem Tanz in ihren Gemächern. Auch zog sich die Gastgeberin sehr rasch in ihre Räumlichkeiten zurück und liess sich durch Kopfschmerzen entschuldigen. Als schliesslich niemand mehr im grossen Festsaal war, wurden die Musiker entlassen und die Dienstboten konnten zu einer sehr christlichen Stunde in ihre Betten. Nur noch ein paar Peers waren auf den Beinen und hielten sich im Spielsalon auf. Isabella erkannte unter ihnen die Freunde von de Warenne. Bevor Isabella sich ins Bett legen konnte, musste sie sich nochmals über de Warennes Zustand erkundigen und ging mit etwas Brot und Suppe in Richtung seiner Gemächer. Auf dem Flur kam ihr Thomas entgegen, den sie eigentlich den ganzen Tag nicht mehr gesehen hatte. Er war absolut in seine Gedanken vertieft.
„Mister Jackson... ist alles in Ordnung mit Lord Blackheat? Ihr wirkt sehr besorgt"
„Rose... wunderschöne Abwechslung dich zusehen. Mach dir keine Sorgen. Es scheint ihm gut zu gehen, er ist vorhin kurz aufgewacht. Vielleicht mag er tatsächlich etwas zu essen" sagte er und lächelte.
„Es hat noch genug in der Küche, auch für euch Thomas". Er nickte und liess Isabella an ihm vorbei.
„Danke Rose du bist ein Engel! Ich werde mir etwas genehmigen. Gute Nacht meine Liebe" und mit diesen Worten verschwand er auf der Treppe. Isabella wollte vermeiden, dass dasselbe wie heute Morgen noch einmal passierte und klopfte an die Tür. Keine Antwort, also musste er wieder eingenickt sein. Sie öffnete die Tür und sah ihn in seinem grossen Bett liegen. Sie stellte das Tablett ab und setzte sich auf die Bettkante. Thomas musste den Verband gerade gewechselt haben, denn er war nicht Blut getränkt, wie er zweifellos sein müsste. Sie schlug die Decken und die Kissen auf und fing dann an mit einem Waschlappen seine Stirn zu kühlen. Es hatten sich Schweissperlen gebildet und er fühlte sich etwas warm an. Sie hatte von ihren Kräutern und Pilzen ein paar mitgenommen, nur für den Fall. Der Sud aus der Hirtentäschelpflanze dampfte auf dem Nachttisch. Bei ihr Zuhause wurde dieser Sud an verwundete Soldaten ausgeteilt. Er förderte die Wundheilung. Dazu hatte sie noch ein paar Birkenporlinge zerstückelt, die eine allfällige Wundentzündung hemmten. Morgen würde sie ihm auf die Wunde einen Umschlag legen. Sie liess ihren Blick über sein Antlitz schweifen und ihr Herz wurde schwer. Sie fühlte, wie viel ihr dieser Mann mittlerweile bedeutete... dieser Engländer. Sie hielt in ihrem Tun inne. Seine Augen waren geschlossen, die Lider zuckten ab und an. Seine dunklen Brauen waren entspannt, nicht wie meist zusammengezogen oder fragend. Sein Teint war sehr bleich und seine Wangen gerötet. Sie machte sich ernsthaft Sorgen, musste sie sich widerwillig eingestehen. Sie empfand etwas für diesen ungehobelten Hünen. So wie er nun dalag war er... irgendwie liebenswert... anziehend und... unwahrscheinlich attraktiv. Ihr war noch nie ein Mann begegnet, der solch eine animalische Anziehung auf sie ausgeübt hatte. Viele Damen und auch Hausmädchen konnten ihre Augen nicht von diesem wunderschönen Mannsbild abwenden. Aber sein Wesen verscheuchte die Allermeisten und sorgte dafür, dass sich seine gefährliche Ausstrahlung noch stärker zu verbreiten schien. Sie strich mit ihren Fingern über die Kanten seines Gesichts. Sein Duft war auch jetzt betörend und Isabella senkte ihren Kopf näher an den seinen. Er roch trotz allem frisch und nach Wald. Sie schloss ihre Augen und berührte mit ihren Lippen seine Schläfe. Sie wusste nicht was es war... Sie zog eine Linie bis zu seinen Lippen. Sie versuchte nicht darüber nach zu denken, sie wollte nur ihrer inneren Stimme folgen und sich völlig von ihren Sinnen leiten lassen, jetzt da er ausser Gefecht war... Seine Lippen waren leicht spröde, aber weich. In ihrem Inneren schien gerade ein Sturm loszubrechen und liess ihren Bauch kribbeln. Die unheimliche Freude, die sie erfüllte war überwältigend. Als sie ihren Kopf heben wollte, spürte sie einen sanften Druck an ihrem Hinterkopf, ihre Lippen senkten sich erneut auf die Seinen. Sie genoss die Wärme und wie seine Zunge gekonnt ihre berührte. Er hielt ihren Kopf mit seiner linken unverletzten Hand. Dann merkte sie, dass er sich aufsetzten wollte und sie hob ihr Haupt. Sie sah ihm tief in die Augen und schüttelte ihren Kopf
„Mylord... ihr könnt euch nicht aufsetzen, ihr müsst liegen bleiben. Ich denke nicht, dass dies eurer Wunde guttun würde". Er sah sie längere Zeit an ohne zu antworten, doch dann sagte er
Rose" doch Isabella hielt ihm ein Glas Würzwein hin und er trank. Die Pilze warf sie nun in die Suppe und als er den Wein getrunken hatte, half sie ihm die Suppe zu löffeln. Er hatte grossen Appetit, was sie als gutes Zeichen deutete. Nachdem sie sich eine Weile tief in die Augen geblickt hatten, räusperte er sich „Miss Grey... Rose ich" doch weiter kam er nicht, den es klopfte an der Tür. Ihre Ladyschaft höchst persönlich trat in das Gemach. Sie war bereits für die Nacht gewandet und hatte über ihr wehendes Nachthemd einen Mantel gezogen. Isabella erhob sich sofort und stellte das Geschirr weg. Aber die Lady würdigte sie keines Blickes.
„Alexander ich wusste, dass dies nur eine kleine Verletzung sein muss. Und nun bist du ja auch wieder bei dir". Sie lief neben dem Bett auf und ab.
„Danke Mutter für eure Sorge" war alles was er erwiderte. Isabella versuchte so leise, wie möglich die Sachen zusammen zu räumen, um nicht aufzufallen.
„Alexander ich erwarte von euch, dass ihr morgen wieder an den Festlichkeiten teilnehmt. Es ist nicht Gastgeberfreundlich, wenn der Sohn der Gastgeberin sich in seinem Gemach versteckt". Isabella traute ihren Ohren nicht, war dies wirklich ihr ernst?! War es nicht ihre grösste Sorge, dass ihr Sohn wieder ganz gesund werden sollte?! Isabellas Temperament schien sie gerade zu überfallen und sie sagte
„Aber er wurde" spuckte Isabella förmlich über ihre Lippen. Die Lady wandte sich zu ihr um. Erst jetzt schien sie zu begreifen, dass sich eine Dienstbotin im Zimmer befand. Ihr Blick veränderte sich schlagartig. Im selben Augenblick sagte de Warenne etwas schärfer
Mutter, mir ist durchaus bewusst, wie viel euch diese Festlichkeit bedeutet, doch in Anbetracht der Umstände hättet ihr die Feierlichkeit absagen sollen. Versteht mich bitte richtig liebe Mutter, nicht wegen meiner Wenigkeit, sondern wegen der Sicherheit der Gäste. Wir wissen nicht, ob dieser unbekannte Schütze einfach nur jemanden treffen wollte oder ob er explizit auf eine bestimmte Person gewartet hat. Sollte ein Gast zu Schaden kommen, wird dies unweigerlich auf unserem Familiennamen lasten. Ich bin äusserst entsetzt über eure, nun ich muss es so nennen, nicht vorhandenen Qualitäten einer Lady des Hauses". Lady de Warenne, die inne gehalten hatten in ihrem hin und her gehen, lief rot an.
„Wie könnt ihr es wagen so mit eurer Mutter zu sprechen?! Wenn euer Vater dies gehört hätte" und sie rang um Worte. Doch de Warenne liess ihr keine Möglichkeit etwas Weiteres zu erwidern
„Aber er ist nun mal nicht hier, nicht wahr?! Und ich bin ehrlich gesagt, am Ende mit meiner Geduld. Sollte sich noch einmal etwas ereignen, worin ihr eure Finger im Spiel habt, werd ich mich vergessen... ich bitte euch nun mein Gemach zu verlassen". Auf diese Worte hin, drehte sie sich wütend um und stolzierte aus der Tür, die sie etwas zu hart in die Angel warf. Isabella fühlte sich unwohl, sie wollte nicht lauschen und doch sah es nun wieder danach aus. Unsicher hob sie den Blick und sah zum Bett. De Warenne sah sie direkt an. „Rose... bitte kommt zu mir... sonst muss ich euch holen". Da ihr klar war, dass er dies tun würde, ging sie auf ihn zu. „Ihr solltet euch nicht mit meiner Mutter auf einen Streit einlassen, auch wenn es sehr... nun ja gute Gründe gäbe. Sie hätte euch schneller entlassen, als ich etwas erwidern könnte". Er hielt ihr seine Hand entgegen und zog sie auf das Bett.
„Glaubt ihr, dass man auf euch schiessen wollte? Wollte man euch töten?" Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und meinte mit etwas heiserer Stimme
„Du bist so schön meine Rose" er zog sie zu sich hinunter und küsste ihre feuchten Lippen. Der Kuss war mehr als nur die Leidenschaft, die zwischen ihnen vibrierte... Sie fühlte, dass er ihr damit die Angst vor ihrer Frage nehmen wollte. Doch das Gegenteil war der Fall... denn sie wusste nun was seine Antwort sein würde, nur würde er sie nicht aussprechen, damit sie sich keine Sorgen machte. Das Grauen kroch ihr den Hals hinauf und setzte sich fest. Sie löste sich von ihm und spürte, wie sich langsam Tränen in ihren Augen bildeten. Sie wollte auf keinen Fall, dass er dies mit ansah. Sie stand hastig auf und nahm das Tablett, welches sie zuvor zusammengestellt hatte und sagte mit etwas erstickter Stimme
„Gute Nacht Mylord". Sie hörte noch, als sie die Tür schloss, wie er sagte
„Rose bitte... gute Nacht".

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt