Die wenigsten Soldaten hatten sie überhaupt bemerkt, geschweige denn begriffen, dass sie eine Frau war. Sie drehte sich im Kreis und blickte nach oben und besah sich der filigranen Baukunst. Sie zog Moonlight am Zaum mit sich und durchschritt den Torbogen. Dieser Innenhof war rundlich angeordnet. Die vielen Fackeln erhellten das Gemäuer und liessen Isabella erschaudern. Hier war der Boden nicht mehr bepflastert, sondern aus einer Art Sand, der jedoch fest auf dem Erdreich lag. In der Mitte stand ein Brunnen, allerdings hatte dieser kein Loch und keinen Eimer, den man hätte hinunterlassen können. Er war ebenfalls rundlich angelegt, hatte Verzierungen und Figuren aus Stein an den Rändern, aber das Ungewöhnlichste war, dass in der Mitte des Beckens eine Wassererhöhung war, woraus frisches Wasser aus dem Erdreich zu treten schien. Isabella hatte so etwas noch nie gesehen. Wasser musste normalerweise aus dem Boden gezogen werden, ausser es gab eine Quelle in den Bergen, die in einem Wasserfall endete. Isabella trat mit Moonlight an den Rand des Brunnenbeckens und liess ihre Finger ins Wasser gleiten. Moonlight stupste sie und tauchte ihr Maul in den Brunnen. Isabella liess ihre Finger durch die Wasserwölbung gleiten, die neues Wasser in den Brunnen brachte.
„Das ist eine spezielle Erscheinung, eine artesische Quelle" sagte eine Stimme hinter ihr. Rickard de Warenne kam auf sie zu und strich über den Rücken des Pferdes.
„Das habe ich noch nie gesehen" sagte sie und zog ihre Hand aus dem Wasser.
„Der ganze Anblick ist atemberaubend, nicht wahr Lady Isabella?". Sie nickte verhalten. Sie war unsicher, wie sie reagieren sollte. Die letzten Male waren ihre Zusammentreffen nicht gerade freundschaftlich verlaufen. „Bitte nennt mich Rickard" er setzte sich auf den Rand des Brunnens und sah sie an „hattet ihr eine angenehme Reise?" fragte er und lächelte sie an. Erneut nickte Isabella. „Ich sehe ihr seid immer noch ziemlich reserviert mir gegenüber... das verüble ich euch nicht. Ich möchte aber gerne von neuem beginnen" er streckte seine Hand aus „Ich bin Rickard de Warenne, der Bruder von Alexander und Elaine" sagte er freundlich. Isabella nahm die ihr dargebotene Hand und er küsste ihren Handrücken.
„Ich bin erfreut Mister Rickard de Warenne, ich bin Isabella Rose Campbell". Er lächelte zufrieden und liess ihre Hand los. Sein Blick wanderte umher, als er sprach
„Diese Burg hier steht schon seit Ewigkeiten, zumindest die Grundmauern. Als Alec sie vor über vier Jahren erhielt, hat er viel in die Modernisierung dieses Gemäuers gesteckt. Diese Burg ist nun uneinnehmbar für jeden feindlichen Trupp" sagte Rickard stolz „Selbst die Römer wären vor Neid erblasst, wenn sie dieses Schmuckstück erblickt hätten. Es gibt eine Badeanstalt, eine Wäscherei, Trainingsgelände für die Soldaten, die Ställe und" er lachte „was weiss ich noch alles"
„Überwältigend... ich kann es kaum erwarten diesen Anblick im Tageslicht zu bewundern" hauchte Isabella.
„Allerdings und hier" er zeigte auf diesen Innenhof „ist der sogenannte Privatbereich der Burg. Nur Familienmitglieder des Burgherrn oder Gäste haben zutritt". Isabella sah sich um, sie schluckte bei der nächsten Frage, da sie die Antwort fürchtete
„Und... und wo sind die Gefangenen untergebracht?" Rickards Lächeln gefror
„Ihr glaubt wohl nicht etwa, dass ihr in einen Kerker kommt Lady Isabella?" fragte er ungläubig. Sie sah ihn direkt an
„Nun ja, ich bin weder ein Familienmitglied noch ein Gast... also" stellte sie nüchtern fest.
„Betrachtet euch als eine Art Erweiterung des Begriffes Gast" sagte eine wohlklingende Stimme, die soeben durch den Torbogen schritt. Er trat elegant und gefährlich gutaussehend auf sie zu. Neben Alexander lief ein Mann. Er trug eine schwarze Ordenstracht mit Kukulle (7) und war ungefähr Mitte dreissig. Er hatte kurzes braunes Haar und war nur eine Handbreit grösser als Isabella. Sein Gesicht war äusserst markant. Seine Nase hatte eine Schräglage und war früher zweifellos gebrochen worden, die linke Augenbraue gab es nur noch zur Hälfte, während eine Narbe den hinteren Teil der Braue abgelöst hatte. Alles in allem war er ein stämmiger kleiner Mann. Als Gürtel trug er, wie üblich bei Mönchstrachten, einen Strick.
„Ich kümmere mich um Moonlight, es war eine anstrengende Reise für die Stute" meinte Rickard, zog sie am Zügel vom Brunnen weg und ging durch den Torbogen zurück. Alexander und der Mönch kamen auf Isabella zu.
„Ich möchte euch meinen Verwalter Constantino Farnese vorstellen. Er ist mit eurer speziellen Situation bereits vertraut. Er kommt ursprünglich aus Italien, aber ist schon von Anfang an hier mit mir" sagte Alexander zu Isabella. Constantino trat nach vorne und verneigte sich
„Salve. Ese freut mich euch kennen zu lernen Nobildonna und lasse sie sich von meine presenza nicht tauschen" lächelte er sie mit seinen blauen Augen an „Iche trage eine Monchskutte, aber diese vita habe iche schon einige Zeit hinter mir. Allerdingse musse man als Verwalter in Rollen schlupfen koennen" lachte er. Er hatte einen sympathischen italienischen Akzent. „Wenn ese euch beliebt Nobildonna, zeige iche euch der Unterkunft". Er ging auf die Flügeltür zu, die hinter dem Brunnen lag und öffnete eine Seite der Tür. Die Tür war aus hellen Holzplatten gezimmert. Verzierungen und feine geschwungene Metallstangen liessen die Tür träumerisch romantisch aussehen. Isabella schritt durch die dargebotene Türöffnung und war erneut komplett überwältigt. Alexander musste ein enormes Vermögen besitzen, wenn er sich einen solchen Bau leisten konnte. Constantino schloss die Tür und Alexander blieb draussen. Der gesamte Eingangsbereich war aus Marmor gefertigt. Der Boden hatte verschiedene Einlassungen von unterschiedlichen Marmorfarben, die ein Muster am Boden ergaben. Zwei Treppen, die links und rechts an der Wand waren, führten in ein oberes Stockwerk. Sie besah sich die Decke. Auch hier hatte man die runde Form beibehalten. Die Decke hatte ein grosses rundes Loch, um welches sich oben eine Marmorbrüstung schlang. Die Treppen liefen synchron am unteren Rand des Kreises zusammen. Die Decke, die sie nun vom zweiten Stockwerk erblickte, war mit Malereien verschönert worden. Es mussten tausende von Kerzen sein, die in den Kronleuchtern über ihnen schimmerten und an den Wänden. Es erinnerte Isabella an die Kuppel des Pantheons in Rom, die sie auf Gemälden gesehen hatte. Vom Eingangsbereich konnte man unter den beiden Treppen einen grossen Gang weit nach hinten gehen. Der Gang wurde hinten etwas schmaler und bog nach links ab. „Gefallen es ihnen Nobildonna?" fragte Constantino, den sie schon fast vergessen hatte.
„Ja" hauchte sie beeindruckt und schluckte. Innerlich schalt sie sich. Sie hatte tatsächlich geglaubt, wenn sie ihren Titel behalten hätte, dass sie beide zusammen sein könnten. Selbst ihre Herkunft erblasste neben all diesem Reichtum.
„Wenne sie mochten, iche zeige sie Morgen umher?". Isabella sah ihn an und war etwas verwirrt
„Ich bin mir nicht sicher, ob... es angemessen ist" sagte sie und blickte ihn an.
„Ach, iche denke da iche dabei bin" und er folgte der Treppe nach oben. Isabella ging ihm nach. Sie liefen den Gang entlang und sie sah diverse Türen, dann nahmen sie eine weitere Treppe nach oben und folgten einem Gang in die andere Richtung. Sie kamen nun an mehreren Mauernischen vorbei, in einigen von ihnen waren schmale Treppen die in Türme hinauf führten. Nachdem sie noch ein paarmal abgebogen waren, passierten sie eine lange Steinmauer, in der ebenfalls eine Turmtreppe nach oben führte. Diese war jedoch breiter als die bisherigen und auf den steinernen Stufen lag, bis vermutlich ganz oben, ein roter Teppich. Sie brauchte keine Erklärung wer wohl dort oben sein Gemach hatte. Der Burgherr. Constantino lief daran vorbei bis zum Ende des Ganges. Dort war eine schwere Holztür eingelassen. Constantino öffnete sie, schritt hinein und hielt ihr die Tür auf. Isabella trat ein. Der Steinboden war mit Teppichen ausgelegt und die Kerzen brannten bereits. Der Raum war gemütlich eingerichtet und in einer runden Nische, vor der eine Trennwand war, stand ein grosser Bottich. „Das aqua del bagno sollte noche warm sein. Leider kann iche euch noch nicht mit einer Kammerzofe dienen, allerdingse werde iche mich um eine kummern. Eure Truhe werde iche sofort herbringen lassen" sagte er freundlich und nach einer Pause, in der er sie gemustert hatte, fuhr er fort „Aufgrund eurer situazione Nobildonna, werden vor ihrer Ture Wachposten aufgestellt. Grundsatzlich koennen sie e sich naturlich libero also iche meine frei bewegen. Die Wachen werden sie in gebuhrendem Abstand esekortieren". Isabella hörte ihm zu und nickte. Sie wäre demnach keinen Augenblick alleine. „Sollten sie irgend de etwas brauchen, wenden sie e sich jederzeit an mich". Er verbeugte sich und verliess ihr nun neues Zuhause auf Zeit. Das Schliessen der Tür hallte in ihrem Zimmer nach. Sie war wieder alleine und auf sich gestellt. Ihr Geheimnis, ihren gut gehüteten Schutz, hatte sie nun endgültig verloren. Ihr Onkel hatte es erneut geschafft sie einzusperren und das nicht einmal selbst, sondern durch einen englischen Lord mit dem Einverständnis des Königs von England. Die Einsamkeit holte sie ein und es fröstelte sie. Sie wusste nicht, wie sie das ganze Wirrwar hätte auflösen können, noch wie sie alleine und unbemerkt fliehen könnte ohne den de Warennes Schaden zu zufügen. Sie zwang sich ihre düsteren Gedanken abzuschütteln und begann ihre Kleider aufzuknöpfen. Sie schritt zu ihrem Badewasser und liess sich hineingleiten. Das Wasser war angenehm und Isabella genoss die wohltuende Ruhe nach ihrer Reise.
(7) Kapuze
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1
Historical FictionEngland im Umbruch. Der junge König Henry VIII hat nicht das Geschick und das gute Herz seines Vaters geerbt. Er will Krieg und Schottland endlich unter englischer Herrschaft wissen. In diesen Sog gerät der kampferfahrene Alexander de Warenne, Lord...