Kapitel 3

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Isabella erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen ihr Gesicht berührten. Sie blinzelte einige Male und in diesem Moment hielt die Kutsche mit einem Ruck an. Alice de Warenne kippte beinahe aus ihrem Sitz und wurde damit aus ihrem seligen Schlaf gerissen.
„Sacré! Qu' est que ca?" wütete sie, richtete sich auf und strich ihren Rock glatt. Howell rief
„Verzeiht eure Ladyschaft ein Schlagloch. Wir sind kurz vor Cornwall, möchtet ihr euch vorher kurz in dieser Unterkunft frisch machen?" Alice de Warenne antwortete sofort
„Natürlich! Öffne die Tür!" Sie hörte, wie der Kutscher vom Bock sprang und gleich darauf die Tür öffnete. Die Lady stieg aus der Kutsche. Isabella sah, wie sie die Nase rümpfte, aber zu ihrem Erstaunen fiel kein Wort. Isabella fuhr sich mit ihren Händen durch die Haare und steckte sie wieder zusammen. Im Schlaf hatten sie sich gelöst. Sie stieg ebenfalls aus der Kutsche und genoss die frische Luft und begann ihre steifen Muskeln zu massieren. Die letzte Nacht hatten sie in einem Gasthaus verbracht und waren dann früh aufgebrochen. Das monotone Geratter der Kutsche sorgte dafür, dass die Lady wie Isabella, auch wenn sie nicht Müde waren, schnell in einen dösigen Schlaf verfielen. Dies verkürzte zum Glück die peinlichen, schweigenden Momente, in denen die Lady versuchte so gut sie konnte den Umstand zu ignorieren, dass eine Dienstbotin mit ihr in der Reisekutsche sass.
„Miss, vielleicht wollen sie sich auch frisch machen?" fragte Howell höflich.
„Danke Mister Howell, doch die frische Luft reicht mir schon aus. Ausserdem achtet sowieso niemand auf mich" sagte Isabella mit einem kleinen Lächeln. Howell kratzte sich am Kinn und meinte
„Miss, das stimmt ganz sicher nicht. Obwohl sie keine Lady sind und nicht solche feinen Kleider tragen, sieht man dafür die Schönheit aus ihren Augen". Isabella sah, wie er rot wurde und seine Mütze verlegen gegen seinen Oberschenkel schlug. „Das sag ich auch immer meiner Mary. Ein gutes Kind. Sie ist auch eine Dienstmagd". Isabella lächelte, aber behielt ihre Erwiderung für sich, denn da schritt bereits ihre Ladyschaft aus der Unterkunft und stieg ohne ein Wort zu Isabella oder Howell in die Kutsche. Howell und Isabella tauschten Blicke und sie folgte der Ladyschaft hinein.

Ω

Alec hatte in dieser Nacht äusserst schlecht geschlafen und war deshalb schon früh auf den Beinen. Er war erst gestern Abend spät angekommen. Er hatte noch einen Halt bei seinem Freund John Philipp Beaufort, dem zweiten Erben des Earls of Somerset gemacht. John, Philipps Vater, hatte ihn davon überzeugt die paar Nächte vor dem Ball bei ihnen zu bleiben, um dann mit ihm und Philipp nach Cornwall zu reiten. Philipps Mutter Marie war mit seinen Schwestern und seinem Bruder Maximilian schon Tage zuvor nach Cornwall aufgebrochen. Ja, Alecs Tante war im ganzen Südwesten für ihre Veranstaltungen bekannt, besonders wenn es um das Debut einer Tochter aus ihrer eigenen Familie ging. Männer schlossen in den Salons Verträge, trafen Übereinkünfte und mancher Vater hatte eine gute Partie für seine Tochter dingfest gemacht. Es war ein verdammter Heiratsmarkt! Kein Junggeselle der besseren Klasse konnte sich diesen Veranstaltungen lange entziehen. Bisher hatte Alec immer einen Joker aus seiner Tasche ziehen können, um davon fernzubleiben. Nur konnte und wollte er dieses Jahr wenigstens einer Festlichkeit zusagen, seiner Schwester zu liebe. Seine Schwester Elaine hatte ihm praktisch jeden vierten Tag einen Brief zukommen lassen und ihn angefleht er möge doch vorbeikommen. Sie hatte zwar geschrieben, dass ihr die Gespräche und die Unternehmungen mit Tante Catherine äusserst gefielen, doch hatte sie Angst, dass Tantchen sie ab dem Fleck weg verheiraten würde. Alec wusste, dass seine Tante dies niemals tun würde, doch er verstand die Bedenken seiner kleinen Schwester sehr wohl. Seine Gedanken schweiften ab. Er sah Rickard, der gerade mit einer Dienstbotin hinter der Tür verschwand. Wie könnte es nur anders sein?! Er hatte Rickard kurz nach dem Vorfall im Gang nach Cornwall geschickt, bestimmt hatte er hier schon jede Zweite verführt. Ach... sollte er doch jeden Rock hier besteigen, sofern er dies nicht bei einem bestimmten tat... war es ihm egal. Es war zum Verrückt werden... jetzt war er Meilen von dieser Frau entfernt, aber seine Gedanken wurden dennoch durch sie beherrscht. Die Gedanken von ihr vertrieben zwar je länger, je mehr seine Alpträume, doch sie waren nicht wirklich besser. Seine Lust steigerte sich ins Unermessliche und er hatte das Gefühl es würde ihn innerlich zerreissen. Seine Nerven waren rund um die Uhr angespannt. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Wieso nur... er wollte endlich verstehen, was diese Frau an sich hatte... unbändiges Haar... dunkel, so dunkel... und ihr Lächeln... sie hatte nie für ihn gelächelt, aber als er sie beobachtet hatte, hatte er es oft gesehen... er wollte über ihre zarte Haut fahren, sie fühlen, schmecken, riechen... er wollte sich an ihr reiben, ihren verschwitzen Körper auf seinem fühlen, wenn sie sich dem Liebesspiel hingab... diese Faszination... er verstand sie nicht. Er fühlte nur, wie er die Kontrolle über seinen Körper und Verstand allmählich zu verlieren schien. Trotz allem was er sich vorgenommen hatte, hatte er sie im Gang vor Carsons Tür küssen müssen. Er hatte ihre Haut noch einmal schmecken und sie zärtlich berühren wollen, damit sie unter seiner Liebkosung vibrierte und sie hatte ihn vollkommen überrascht, als sie sich gegen ihn gestemmt hatte und ihn erneut mit einem Kuss herausforderte. Sie hatte ihm seine Vormachtstellung entzogen und er hatte handeln müssen. Hätte er sie nicht von sich gestossen, er hätte für nichts mehr garantieren können. So konnte er unmöglich nach Surrey zurück oder gar in einen bald möglichen Kampf ziehen... das wäre in seinem Zustand der sichere Tod... er wollte sich nehmen was er brauchte... er musste einfach... heute Nacht würde er sich eine dralle Dirne suchen und sich tief in ihr vergraben, dazu etwas Gebranntes, um seine Gedanken zu vertreiben... diese Frau würde ihn nicht klein kriegen! So tief in seinen Gedanken, hatte er nicht bemerkt, dass er über den Hofplatz gegangen war und im Stallgang stand. Arac schnaubte und Alec fuhr sich über die Stirn, um seine trüben Gedanken weg zu wischen.
„Guter Junge..." er strich über die Flanke seines Hengstes „Na, willst du dich ein wenig austoben? Das käme mir ebenso gelegen". Alec zäumte sein Pferd ein und schwang sich elegant auf den Rücken seines Schwarzen. Er wusste, dass Arac es liebte ohne Sattel los zu gehen und als er das Haupttor passiert hatte, verfielen sie in einen rassigen Galopp. Alec ritt bis zu den äussersten Klippen und stand mit Arac vor dem Abhang. Die Brise wehte ihnen durch Haar und Mähne, die Sicht war klar, er konnte gar die Scilly Inseln sehen. Arac bäumte sich auf und sie galoppierten der Küste entlang. Die Zeit raste nur so dahin und als die Sonne bereits weiter westwärts wanderte musste Alec sich zwingen den Rückweg einzuschlagen. Er konnte nicht noch länger wegbleiben, die ersten Gäste würden bald zum Dinner erscheinen und so ritten sie zurück nach Cornwall. Kurz vor dem grossen Tor zügelte Alec seinen Hengst und trabte in den Hof. Arac schäumte, doch Alec wusste, dass es ihm ebenso gefallen hatte, wie ihm selbst. Es war befreiend gewesen... zu verführerisch den festgefahrenen Gedanken zu entfliehen und genau das hatte der Ausritt bewirkt. Fern ab von allem, was seinen Kopf überfüllte. Er würde sich nun frisch machen und dann am Ball seiner Tante teilnehmen und war endlich auch zu dem Schluss gekommen, mal ein Auge auf eine mögliche Gattin zu werfen. Es war Zeit seinen Pflichten nach zu kommen.
In seinen Räumlichkeiten hatte man ihm einen Zuber mit Wasser bereitgestellt. Alec nahm die kleine Entspannung gerne an und wusch sich ausgiebig. Frisch duftend und glatt rasiert kontrollierte er vor dem Spiegel sein Erscheinungsbild und rückte den Schal gerade, als es an seine Tür klopfte. „Herein". Die Tür wurde aufgestossen und sein Bruder Rickard trat ein.
„Bereit fürs Dinner?" Alec nickte ihm durch den Spiegel zu. Nach einer kurzen Pause, in welcher Alec seine goldene Stecknadel angesteckt hatte, ergänzte Rickard „Wir haben übrigens Besuch bekommen. Unsere Stiefmutter, Lady de Warenne, ist vor ein paar Stunden hier, unverhofft, eingetroffen". Seit er Rickard nach Cornwall geschickt hatte, war der Ton zwischen ihnen etwas angespannt und Alec hatte im Moment nicht vor, etwas daran zu ändern. Doch die Nachricht, dass seine Stiefmutter hier war, liess ihn dies für einen Augenblick vergessen.
„Unsere Stiefmutter ist hier?! Was in allen Namen... reist sie etwa alleine?! Das wäre doch sehr untypisch...".
„Alec... nein natürlich ist sie nicht alleine gereist. Unser Kutscher ist dabei und ein Dienstbote" sagte Rickard ausweichend.
„Rickard, du weisst verdammt nochmals genau so gut wie ich, dass Carson noch nicht ganz auf den Beinen und unser Herr Vater bettlägerig ist. Wer ist denn noch da?!! Das heisst," zischte Alec zwischen den Zähnen hervor „dass sie die einzige Dienstbotin mitgenommen hat, die über alles Bescheid weiss! Und" er verkniff sich die letzte Bemerkung. „Wo steckt sie?" Rickard blickte ihn an und meinte
„Komm, ich bring dich zu ihr. Sie ist im Salon, bei Tantchen".

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt