Den ganzen Weg entlang in den Salon überlegte sich Alec, wie er reagieren sollte. Sein Bruder betrat vor ihm den Raum und setzte sich in einen Sessel in der Nähe der Bar. Seine Tante sass mit ihrem prachtvoll gestickten grünen Kleid auf ihrer Chaiselongue und nippte an ihrem Würzwein. Seine Tante war weich und rundlich. Ihre blauen Augen sahen über ihre Lesebrille hinweg und ein Lächeln breitete sich auf dem gesamten Gesicht seiner Tante aus.
„Alexander! Nein, dich hätte ich ja zu allerletzt erwartet! Welch eine Freude! Vor Wochen kommt dein Bruder und nun darf ich dich auch noch bei mir begrüssen! Das hatten wir schon lange nicht mehr... ein gemeinsames Fest! Und du... bereitest mir mit deiner Anwesenheit die grösste aller Freuden!" seine Tante kam auf ihn zu und umarmte ihn herzlich. Da sie jedoch eher von kleiner Natur war, kam sie ihm gerade bis zur Brust. Alec drückte seine Tante. John, Philipp und er waren gestern erst spät am Abend eingetroffen und so hatte Alec sich ein Gemach zuteilen lassen. Er glaubte allerdings keine Minute, dass seine Tante nicht schon lange gewusst hatte, dass er auch hier angekommen war. Aber Catherine liebte grosse Reden und dieser Umstand, Alec an einem Fest zu begrüssen, ergab sich selten bis nie.
„Äusserst viele Zufälle" und er liess den Blick von seinem Bruder auf seine Stiefmutter wandern „bringen uns hier zusammen Tante. Doch ich freue mich auch dich wieder zu sehen".
„Ach ivo mein Junge, das sind keine Zufälle! Das ist Schicksal! Ach du weisst gar nicht, wie viele junge Damen sich heute Abend freuen werden dich hier zu sehen! Ich hab ja schon so viel von dir erzählt... doch nun ist auch die Gelegenheit da, dich zu präsentieren!" schnatterte seine Tante los. Dies hatte er befürchtet und wollte ihr auch sogleich den Wind aus den Segeln nehmen
„Liebe Tante Catherine, wir haben noch genügend Zeit miteinander zu sprechen und das mit dem Teil der vielen jungen Damen... schlag dir lieber wieder aus dem Kopf" doch Alec lächelte. „Ich habe eine äusserst wichtige Sache mit meiner Stiefmutter zu besprechen. Wenn ihr uns kurz entschuldigen würdet?" Seine Tante liess sofort von ihm ab
„Aber natürlich mein Lieber" und bedeutete den vereinzelten anderen älteren Damen, die noch im Salon sassen, ihr zu folgen. Rickard blieb. „Kommt meine Damen. Ich habe eine ausgezeichnete Leckerei entdeckt, die müsst ihr euch" plapperte seine Tante, als sie ihre Freundinnen aus dem Salon führte.
„Liebe Mutter" begann Alec.
„Halt Alec, bevor ihr etwas sagt... ich musste aus diesem alltäglichen Trott hinaus... ich habe mich gelangweilt und deshalb beschlossen euch allen nach zu reisen. Irgendwann muss ich wieder die Pflichten einer Countess of Surrey aufnehmen". Seine Stiefmutter setzte sich kerzengerade hin und blickte ihm direkt in die Augen.
„Mutter... ich kann dies durchaus nachvollziehen. Doch nun ist meine Sorge, wer sorgt sich um Vater? Und Carson? Es ist ja fast noch niemand da. Dazu kommt, dass ihr absolut ohne Schutz oder Wissen aufgebrochen seid. Ich muss sagen meine Geduld hat einmal ein Ende" den letzten Satz sagte er so leise, dass sie es auf der anderen Seite des Tisches nicht hören konnte.
„Ich weiss eure Sorge, um mich sehr zu schätzen Alexander, doch bin immer noch ich die Herrin des Hauses. Carson kann bereits wieder auf seinen Beinen stehen und einige der anderen Dienstboten sind wieder zurück. Ausserdem sind wir kein Asylum. Wir können unserer Dienerschaft nicht erlauben, sich solche Freiheiten herauszunehmen" meinte sie unnachgiebig und funkelte Alec an, dann strich sie sich über ihren Satinrock und änderte ihre Miene schlagartig. Sie lächelte wohlwollend „Und ich bin absolut nicht alleine nach Cornwall gefahren". Alec hob eine Augenbraue
„Ihr seid mit einer Leibgarde gekommen, Madam?" Seine Stiefmutter rutschte etwas unbehaglich auf der Chaiselongue umher.
„Nein, doch ich hatte unseren Kutscher und diese Dienstmagd... wie heisst sie nochmals... ehm...Re... Rowina... ihr wisst, wen ich meine. Das vorlaute Ding. Warum wir sie eingestellt haben" seufzte sie.
„Ihr meint Miss Grey?" und auf ihr Nicken hin sagte Alec „Ja eine sehr... beeindruckende Schutztruppe. Naja, nun seid ihr hier, unversehrt, wie ich sehe und ich denke wir sind uns einig, dass ihr auf dem Nachhauseweg begleitet werdet. Ich werde mich morgen früh so schnell ich kann auf den Weg nach Surrey machen". Seine Pläne konnte er nun verwerfen, seine Lust musste zu einem späteren Zeitpunkt bei einer willigen Spielgefährtin gestillt werden. Damit war das Thema beendet. Alec verliess missmutig den Salon und gesellte sich zu seinen Freunden.
Das Abendessen wurde im grössten Salon des Hauses gereicht. Für dieses Dinner hatte Tantchen nur eine Handvoll Gäste eingeladen. Natürlich vorwiegend, wie Alexander zu seinem Leid feststellte, Damen aus der höheren Klasse mit ihren noch unverheirateten Töchtern und genauso viele gutbetuchte Junggesellen. Elaine sah bezaubernd aus. Sie trug eines zu ihren Augen passendes violettes Abendkleid aus feinster Seide mit Brokat verziert. Ihre Haare waren mit einer wunderschönen Brosche modisch nach hinten gesteckt. Viele der Gentlemen waren von ihr fasziniert und bemühten sich nach Kräften ihre Aufmerksamkeit lange genug auf sich zu lenken. Elaine machte sich nichts daraus, sie wollte die Leute unterhalten und schien noch nicht an einer festen Bindung interessiert. Sie würde in ein paar Jahren noch mehr Bewerber haben und Alec schmunzelte, weil er sich sicher war das Einige dieser Lackaffen sich die Zähne an seiner Schwester ausbeissen würden. Seine beiden Freunde Philipp Beaufort und der Marquess of Derby, James de Ferres, sassen nicht weit von ihm entfernt. Sein Bruder Rickard hatte sich wieder unter die Damen gemischt und unterhielt sie. Als das Abendessen vorbei war, begann der Abend erst richtig. Hunderte weitere Gäste strömten in den Ballsaal und es war rasch üppig voll. Schnell erklangen die ersten Klänge einer Geige und die ersten wagten sich auf die Tanzfläche. Er schenkte seiner Schwester den ersten Tanz und den zweiten der Schwester von Philipp, Elenore. Er wusste, dass sie eine Schwäche für ihn hatte, genau wie Philipps zweite Schwester Claire. Deswegen gab es zwischen den beiden oft Zwist. Dies hatte ihm Philipp anvertraut, da er manchmal zwischen die Fronten geriet. Sie waren wohl die einzigen Damen der Peerage, die sich einmal nicht für seinen Bruder Rickard interessierten und Alec folgerte, dass dies vermutlich daran lag, weil ihre Familien zusammen aufgewachsen waren. Sie kannten ihn von klein an. Auch schienen Beide von seinem düsteren Äusseren und seiner rohen Art nicht im Geringsten eingeschüchtert. Elenore und Claire hatten durchaus ihre Vorzüge. Beide hatten blondes langes Haar und braune Augen. Jedoch war Claire ein bisschen hübscher und dies liess sie ihre Schwester immer wieder spüren. Elenore galt mit ihren siebenundzwanzig Jahren schon als alte Jungfer. Alec kannte sie und er wusste, dass sie dieser Titel nicht kränkte. Sie machte sich einfach nichts aus Klatsch. Verglichen mit anderen Junggesellen in seinem Alter machte es ihm nichts aus, wenn seine Gattin etwas älter wäre. Im Gegenteil, er war der Meinung das jüngere Damen sehr viel schwieriger zu handhaben waren. Sie wäre sicher eine gute Partie, ohne Zweifel. Sie war zwar eigensinnig, aber auch eine angesehene Dame. Sie hatte alles was man sich für eine gute Gattin wünschte. Indem stand ihr ihre Schwester Claire aber in nichts nach. Sie war jedoch etwas zu impulsiv. Die Musik stoppte und ein neuer Tanz begann, diesmal tanzte er mit Penny. Ja beide waren wirklich eine gute Wahl und sie hatten eine Schwäche für ihn, was die Sache zumindest für die Damen sehr vereinfachen würde. Doch trotz all dieser Eigenschaften konnte er sich einfach nicht vorstellen, dass er ein solches Interesse für sie entwickeln würde, um ihren Personen gerecht zu werden oder dass seine Leidenschaft entfacht würde. Was zum Teufel wollte er eigentlich? Die Ehe war da, um Zweckmässig geschlossen zu werden, dass sich zwei Paare der Liebe wegen trafen war absurd. Sein Vater hatte einfach die Richtige gefunden und er wusste sie hatten sich innig geliebt. Dies allerdings selbst für sich zu beanspruchen, war jenseits von Gut und Böse. Wie hatte er sich dies vorgestellt? Dass seine Liebste einfach so auftauchen, ihn stupste und sagen würde; hier bin ich?! Es war einfach zum Haare raufen!
„Du bist mit deinen Gedanken wieder einmal irgendwo, aber sicher nicht hier" sagte Penny. Penelope war die Jüngste in der Familie Beaufort, gerade siebzehn geworden. Sie war sehr intellektuell und einiges reifer, als ihre beiden grösseren Schwestern Elenore und Claire. Sie könnte seine Reize wecken, jedoch war sie wie eine Schwester. Als Penny noch klein war, hatte sie sich meist an Alec gehalten und er hatte mit ihr gespielt und auf sie und Elaine aufgepasst. Zudem hatte sie ihm anvertraut, in ihrer direkten und ehrlichen Art, dass sie Interesse an Rickard habe. Sie jedoch nicht gewillt war eines seiner Nachtgeschichten zu werden und er anscheinend erst seine Hörner abstossen müsse. Falls er sie eines Tages bemerken würde, wäre sie bereit ihm eine Chance zu geben. Wenn nicht, tja dann würde sie ihre eigenen Vorstellungen weiterverfolgen. Alec war damals so verblüfft gewesen, als sie ihm dies erzählte, dass seine Bewunderung für sie noch einiges gestiegen war. Er hatte Rickard nie etwas davon erzählt. Er war selber sehr neugierig, ob sein Bruder jemals die Hörner abstossen und dann Penelope entdecken würde. Sie würde jedenfalls einen grossen Gewinn für seinen Bruder sein, in jeglicher Hinsicht. Dieser Gedanke stimmte ihn ein wenig traurig, in Anbetracht seiner Situation.
„Ja es gibt allerdings viele Dinge, die mich beschäftigen" meinte Alec lächelnd und schwang seine Tanzpartnerin um sich herum. „bist du schon weiter bei Rickard gekommen? Wir haben uns länger nicht mehr gesehen und ich frage mich, ob deine Theorie aufgeht"
„Ach Alec..." sie kicherte „du kennst doch deinen Bruder besser als ich, denkst du er ist schon so weit?" und sie liess ihren Blick durch die Menge gleiten und nickte in Richtung der Balustrade. Alec sah gerade noch wie ein Rock vor seinem Bruder durch die Tür schlüpfte und er ihm unauffällig folgte.
„Hmmm... er wird es wohl nie lernen. Manchmal denke ich wir sind gar nicht miteinander verwandt". Der Tanz wurde beendet. Alec und Penny verbeugten sich und schlenderten zu den Sitzecken.
„Du beliebst wohl zu scherzen?! Alec, nur ihr könnt euch in Charme und Anziehungskraft überbieten. Ich bitte dich... sie dir an was sich da sonst auf der Tanzfläche herumtummelt! Die meisten haben nicht einmal eine Ahnung davon, was es heisst ein Anwesen zu verwalten. Sie trinken, spielen und vergnügen sich. Ihr beide strahlt etwas Wildes aus. Und nur, weil die meisten Damen von deiner Erscheinung etwas eingeschüchtert sind" lachte Penny „heisst das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind. Es ist nur einfach so, dass du sie nicht bemerkst. Wenn ich es mir hätte aussuchen können, hätte ich dich erwählt, da du verantwortungsbewusst und erwachsen bist. Dinge, die dein Bruder... nun ja, nicht als seine Tugenden ausgeben kann. Aber". Penny blickte zu Alec hinauf und lächelte ihn an „du bist mir zu still und grüblerisch. Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass dich eine düstere Wolke begleitet, die du seit Jahren nicht los wirst". Alec seufzte. Sie kannte ihn zu gut. Um etwas von dem bedrückenden Thema abzulenken, witzelte er
„Penny, du bist wie eine zweite Schwester für mich und ich wünsche dir nur das Beste, aber ich kann nicht gerade behaupten, dass dies mein Bruder ist". Bevor sie antworten konnte, kam ihr Bruder Philipp durch die Menge auf sie zu und forderte Penny zum Tanzen auf. Alec liess seinen Blick durch die Tanzenden gleiten und da sah er etwas das er unbewusst schon den ganzen Abend gesucht hatte. Sie stand da, inmitten der höheren Peers, trug ein Tablett auf dem kleine Erfrischungen für die Gäste standen. Niemand beachtete sie, die gehobene Gesellschaft machte sich meist nichts aus Dienstboten. Sie stand in der Nähe kleiner Sitzgelegenheiten. Sie trug ein Gewand, das zum Personal seiner Tante gehörte. Alec war so fixiert, dass er gar nicht bemerkte als sich Jemand neben ihn setzte.
„Ich hoffe sie langweilen sich nicht Lord... ?" flüsterte eine süssliche Stimme zu ihm. Alec drehte sich um und sah in zwei der bezauberndsten Augen, die er jemals erblickt hatte. Sie waren von dunklem blau und es schimmerte etwas Aufgewecktes in ihnen. Diese Erscheinung zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1
Ficción históricaEngland im Umbruch. Der junge König Henry VIII hat nicht das Geschick und das gute Herz seines Vaters geerbt. Er will Krieg und Schottland endlich unter englischer Herrschaft wissen. In diesen Sog gerät der kampferfahrene Alexander de Warenne, Lord...