Kapitel 9.5 - Carlisle Castle

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Am Abend des vierten Tages waren sie im County Durham in Darlington angelangt. Isabella blieb in ihrer Kostümierung und sie betraten gemeinsam die Taverne.
„Ein Zimmer für drei Reisende und eine warme Mahlzeit". Alec schnippte dem Wirt eine Goldmünze zu und dieser zeigte ihnen grunzend die Unterkunft. Schweigend nahmen sie in der Taverne das warme Essen ein und zogen sich dann zurück ins Zimmer. Das Zimmer war enorm klein und hatte knapp Platz für die beiden Betten und ein Nachttisch. Es gab ein kleineres einzelnes Bett, welches hinten beim winzigen Fenster an der Wand stand, und in der Mitte stand ein grösseres Doppelbett. Die Zimmertür konnte nicht vollständig geöffnet werden, da sie sich an der Kante des Doppelbettes stiess. Thomas schlenderte hinein und liess sich auf das einzelne Bett fallen, streifte die Schuhe ab und pfiff vor sich hin. Isabella ging zum Bett und nahm sich ein Kissen
„Ich kann am Boden schlafen" sagte sie und blickte zu Alexander. Er würdigte sie keines Blickes, als er antwortete
„Nicht nötig. Legt euch schlafen". Diese offenkundige Ablehnung ihrer Person war ihr mittlerweile zuwider. Mit geröteten Wangen legte sie ihren Wollmantel und die Schuhe ab und stieg ins Bett. Er war so unglaublich stur und uneinsichtig. Sie versuchte mit ihrem Zorn einzuschlafen, doch er liess sie nicht so schnell los. Thomas pfiff weiter und sie vermied es in seine Richtung zu sehen. Für ihren Geschmack hatte er ein zu gutes Verständnis für ihre Situation, als ihr lieb war. Sie fühlte, wie Alexander sich auf die andere Bettseite setzte und sich am Bettkopf anlehnte. Thomas hörte mit dem Pfeifen auf und sank schnarchend in den Schlaf.

Langsam glitt sie aus dem Schlaf und bemühte sich vergeblich in die Traumwelt zurück zu gleiten. Sie fühlte sich warm und umsorgt. Sie fühlte ihren Herzschlag deutlich am Ohr und kuschelte sich tiefer in die Laken. Schleppend nahm sie mehr wahr als nur sich. Es lag jemand neben ihr. Nein, sie schien auf jemandem zu liegen. Sie fuhr mit ihrer Hand zögernd umher und ertastete einen Oberkörper. Er war warm. Es war auch nicht ihr Herzschlag, den sie vernommen hatte. Ihr Kopf lag auf einer Brust. Völlig irritiert öffnete sie sachte ihre Lider und hob den Kopf. Der Arm, der sie umschlungen hielt, zog sie enger an den Brustkorb. Alexander war von seiner sitzenden Position nach unten gerutscht und schlief. Er hielt sie, wie etliche Male zuvor, in seinen Armen und sie lag nahe seines Herzens. Während sie überlegte, wie sie nun aus seiner Umarmung schlüpfen konnte, veränderte sich sein Atemrhythmus. Er schien aufzuwachen. Er drehte sich zu ihr auf die Seite und umschloss sie noch mehr. Plötzlich hielt er inne und öffnete seine Augen. Sie sahen sich an. In seinen Augen schimmerte der graue Streifen, der in seinem Zorn oder in seiner Leidenschaft nie zu sehen war. Der Augenblick schien still zu stehen und die Hitze zwischen ihnen war greifbar. Kaum merklich zogen sich ihre Münder an, ohne das Einverständnis ihrer Besitzer. Kurz bevor sie sich berührten, flog die Zimmertür auf und Thomas trat ein
„Aufstehen! Es ist ein". Isabella würde nie erfahren was es war, denn sie beide stoben auseinander und standen verlegen auf. Thomas war so freundlich sie nicht darauf anzusprechen und begann wieder zu pfeifen. Das verschmitzte Lächeln entging Isabella jedoch nicht. Sie richtete ihre Kleider und setzte sich den Hut auf. Eine halbe Stunde später ritten sie vom Platz der Taverne weiter nach Nordwesten. Die Sonne brannte bald unermüdlich auf die drei Reisenden und ihre Pferde. So verlässlich, wie das Krähen des Hahnes am Morgen, spürte Isabella nach einiger Zeit ihr aufkeimendes Unwohlsein und bat um einen Halt. Sie sprang vom Rücken ihrer Stute und hastete in das Gebüsch, welches sie vorhin passiert hatten. Heute schien es besonders schlimm zu sein. Sie kniete am Boden und musste das ganze Frühstück vom Morgen ausspeien. Schweissperlen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet und ihre Hände zitterten unkontrolliert. Nach einem erneuten Speischwall, legte sie sich kurz auf den Rücken. Die Ladies, die behaupteten eine Schwangerschaft sei der reinste Segen, logen wie gedruckt. So etwas kam wohl eher der christlichen Hölle gleich, als der Erlösung. „Isabella, was habt ihr?". Sofort erhob sie sich und wischte sich den kalten Schweiss von der Stirn. Sie ging um das Gestrüpp und trat Thomas entgegen. Er kam besorgt auf sie zu, da sie sicherlich äusserst erschöpft und bleich wirkte. „Stimmt etwas nicht, braucht ihr Hilfe?" fragte er zwar etwas verlegen, aber sehr fürsorglich.
„Nein... nein alles gut... etwas Wasser vielleicht". Thomas reichte ihr seine Lederfeldflasche. Sie nahm einen Schluck und spülte sich damit ihren Mund.
„Vielleicht sollten wir etwas langsamer reisen und mehr Pausen einlegen" meinte Thomas behutsam. Doch Isabella wiedersprach ihm prompt
„Das ist absolut nicht nötig Thomas". Er blickte sie ungläubig an „Wirklich. Ich habe nur etwas Schlechtes gegessen" antwortete sie und hoffte, dass Thomas nun nachgab.
„Wir haben alle dasselbe gegessen und Alec und mir fehlt nichts... Möglicherweise ist es die Erschöpfung von der Reise, die euch nicht gut bekommt". Isabella wollte nicht lockerlassen und meinte
„Thomas es geht mir hervorragend. Ich hatte noch ein Stück Brot, welches ich von Surrey mitgenommen habe. Ich vermute jedoch, dass es schlecht geworden ist und ich mich nun übergeben musste" schloss sie „bitte erzählt Alexander nichts davon". Thomas blickte sie skeptisch an. „Wenn ihr ihm etwas davon erzählt, wird er Pausen einlegen, die vollkommen unnötig sind. Es geht mir gut und ich möchte ungern die Reise deswegen verlängern. Ich verspreche euch, sollte ich mich schlecht fühlen, werde ich es selbstverständlich sagen". Diese Worte schienen ihn letztendlich überzeugt zu haben, denn er nahm den Feldbeutel entgegen und sie gingen zurück. Alexander lehnte entspannt an der Kutsche und betrachtete die beiden
„Ist etwas nicht rechtens?" fragte er. Beide antworteten gleichzeitig mit Nein. Isabella führte es weiter aus
„Ich war nur etwas durstig, ich fürchte wir müssen Thomas' Beutel neu befüllen" und ohne ein weiteres Wort stieg sie auf Moonlight. Thomas stand noch neben der Kutsche und blickte Isabella an, stieg dann aber mit einem Seufzer auf den Bock. Alexander zuckte mit den Schultern und schwang sich elegant auf Arac und ritt, wie immer, ein Stück weiter vor ihnen und gab die Richtung vor. Der Tag zog dahin. Immer stärker spürten sie den Küstenwind, der ihnen den Salzgeschmack in die Münder wehte. Nach mehreren Stunden, als es bereits eindunkelte, rief Thomas
„Nun haben wir die Grenze zu Cumberland überschritten. Nicht mehr allzu lange, einige Stunden noch. Das Meer ist nicht mehr weit entfernt und damit auch Carlisle Castle". Sie ritten weiter und der Wind fegte immer stärker um ihre Ohren, sodass Isabella den Hut in der Kutsche verstauen musste. Trotz der langen Reise, die sie schon hinter sich hatten, schien Arac zu merken, dass er bald Zuhause sein würde, denn sein Schritt wurde federnder und er tänzelte aufgeregt hin und her. Auch Alexander hatte nun weichere Züge und freute sich deutlich auf sein Heim. Isabella war erstaunt, in jedem Dorf, welches sie passierten wirkte es geordnet und sicher. Sie sah so gut wie keine Landstreicher. Die Bauernhöfe waren riesig und gut ausgestattet. Die Leute, die noch draussen anzutreffen waren, begrüssten ihren Landherren freudig und wechselten freundliche Worte mit ihm. Er war, ohne Zweifel, sehr beliebt bei seinen Untertanen. Sie schätzten seine Anwesenheit und auch seinen Rat. Thomas ergänzte ihr Wissen mit den Namen der Dörfer und der Leute, die sie trafen und erklärte ihr, dass Alexander darauf bedacht sei ein freundschaftliches Verhältnis mit den Bürgern zu pflegen und er nichts von Züchtigung oder Enteignung hielt, wenn es sich vermeiden liess. Weit nach Mitternacht ritten sie durch einen Wald. Moonlight waren die Geräusche des Waldes nicht ganz geheuer, sie hatte ihre weissen Ohren deutlich gespitzt und war äusserst angespannt. Ihre Schritte waren holprig und unsicher geworden. Isabella versuchte ihr beruhigend zu zureden und ihr Sicherheit zu geben. Ein Waldkauz schuhuhte und die Kutsche glitt über den steinigen Waldboden dahin. Eine knappe halbe Stunde später ritten sie aus dem Wald und was Isabella da sah, verschlug ihr den Atem. Obwohl es dunkel war, erkannte man die Pracht dieses Anblickes. Auf der linken Seite kam die Küste zum Vorschein und man sah die schwarze See, die sich im Wind bewegte. Ihre Augen folgten der Küste bis zum Horizont, dort sah sie eine mächtige Felswand in die Höhe ragen. Ganz schwach waren helle gelbrote Punkte auf der Felswand zu erkennen. Arac war stehen geblieben und auch Thomas hielt an.
„Carlisle Castle" sagten die beiden gleichzeitig und fast wehmütig. Isabella konnte ihre Augen kaum von diesem Anblick losreissen. Wie wundervoll der Anblick wohl am Tag gewesen wäre, überlegte sie. Sie ritten schneller und unverhohlene Neugier prägte Isabellas Schweigen. Bald würde sie erfahren, wie Alexander lebte und was er an seinem Cumberland so liebte. Es war offensichtlich, selbst in dieser Dunkelheit, dass er sein Land über alles vermisst hatte. Die Felswand wurde immer mächtiger und Isabella erkannte nun einzelne spitze Klippen im Meer, die das Wasser aufpeitschten und an den Felsen hinauf preschen liess. Sie ritten immer näher, während der Hügel weiter anwuchs. Er erstreckte sich weit ins Innere und in der Mitte, mit einem gewissen Abstand zu den Klippen, stand das majestätischste Steingebäude, dass sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Eine riesige Steinwehr erstreckte sich von einem Ende des Hügels bis zum anderen. Grosse hohe Türme ragten aus der Mauer und dem Inneren des Gebäudes. Vom Hügel hinab führte eine breite Steinstrasse, auf die sie nun abbogen. Arac stieg auf seine Hinterläufe und Alexander galoppierte mit ihm nach oben. Die Mähne flatterte und Isabella beobachtete neidisch, wie wild sie auf ihr Zuhause zu ritten. Überall auf dem Wehrgang brannten Fackeln, die sich im Küstenwind bewegten. Das übergrosse doppeltürige Eichentor war geöffnet und auf beiden Seiten standen Wachen mit ihren Lanzen. Sie blickte links an sich hinab und sah wie hoch die Steinstrasse über dem Boden lag. Sie schluckte und zwang sich nach vorne durch Moonlights Ohren zu sehen. Sie passierten die Lanzenträger, die Thomas begrüssten. Die Hufe der Pferde hallten zwischen den Mauern. Als Isabella und Thomas im Innenhof ihre Pferde zügelten, wurde das Tor geschlossen und mit einem dicken Holzstamm von innen verriegelt. Geschmiedete Eisenstangen, so dick wie ihr Bein, hielten die einzelnen Holzplatten des Tores fest zusammen. Dutzende Soldaten standen in einer Menge zusammen, grölten und lachten. In der Mitte der Meute standen Alexander und Arac. Reihen von Fackeln warfen ihr Licht auf die Versammelten. Thomas war ebenfalls vom Kutschbock gesprungen und begrüsste seine Männer herzlich. Isabella sass auf Moonlight und betrachtete das Geschehen. Es mussten hunderte Soldaten alleine hier im Innenhof sein. Isabella blickte umher. Der Boden des Innenhofes war mit Pflastersteinen bedeckt, in dessen Zwischenräume Gras hervor lugte. Um sie herum waren steinerne Gebäude errichtet und nach rechts weiter im Hof stand ein steinerner Torbogen. Durch diesen kam man in den eigentlichen Innenhof. Um den Torbogen rankten sich Dornenarme von Rosenbüschen, die sich aber nicht in der Mitte berührten. In der Mitte war aus Stein ein Wappen gemetzt worden. Das Wappen der de Warenne Familie. Es war unregelmässig geviertelt in Gold und Rot und in der Mitte stand ein dunkler Löwe mit einer Mähne, darüber prangten die Worte des Familien Credos viribus unitis(5). Auf dem Boden worauf der Löwe stand, war in etwas kleinerer Schrift der Schlachtruf vae victis!(6) sichtbar. Isabella war überwältigt von diesem Bauwerk und die Schatten der Nacht machten diese Burg noch beeindruckender, ja sogar furchteinflössend. Sie glitt vom Rücken ihres Pferdes und sah sich um.


(5) Mit vereinten Kräften

(6) Wehe den Besiegten

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt