Kapitel 8

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Isabella schlüpfte lautlos aus den Laken und kleidete sich an. Sie blickte zum Bett und sah, dass er halb auf dem Bauch auf einem Kissen schlief. Sie wollte ihn auf keinen Fall aufwecken und aus seinem Schlaf reissen. Sie hatte zwar nicht mehr erlebt, dass er solch starke Träume hatte wie in der Taverne, doch sprach er im Schlaf und sie spürte, wie ihn diese Erlebnisse belasten mussten. Leise schlich sie zur Tür und trat in den Flur. Es war noch stockdunkel als sie die Treppe in den zweiten Stock nahm, doch schon bald würde die Morgenröte den Himmel in helles Rosa tauchen und alle Dienstboten würden aufstehen. Bisher hatte ihre Zimmergenossin keinen Verdacht geschöpft. Sie war immer davon ausgegangen, dass Isabella beizeiten schon das Zimmer verlassen hatte. Doch wenn sie sich nicht bald zusammenriss, würde es auffliegen und einen solchen Skandal wollte sie tunlichst vermeiden. Soeben wollte sie die nächste Treppe in den ersten Stock nehmen, als am Ende des Flurs Jemand aus dem Zimmer des Earls trat. Es war ihre Ladyschaft persönlich. Sie schloss die Tür und stand eine Zeit lang davor. Isabella wagte nicht sich zu bewegen. Alice de Warenne drehte sich plötzlich um und schritt schnellen Schrittes auf ihre Gemächer, auf der gegenüberliegenden Seite, zu und schloss ihre Tür von innen. Isabella atmete erleichtert aus, bewältigte die Stufen und lief so schnell sie konnte in ihre Kammer. Ihre Zimmergenossin Maddie schlief noch tief eingewickelt in ihren Decken. Isabella schnappte sich ein frisches Hemd, zog es an und verliess das Zimmer gleich wieder. In der Küche angekommen half sie Emil beim Zubereiten der Brötchen für die Herrschaften. Nun glitt die Zeit rasch voran. Kurz nachdem Molly in der Küche eingetroffen war, wies sie die Dienstmädchen an den Tisch für die Peers zu decken. Einige der Peers waren im Hof bereits mit Carson und anderen Dienstboten beschäftigt ihre Kutschen vorfahren zu lassen und das Gepäck darauf sicher zu verstauen. Gerade als die Sonne ganz aufgegangen war, schwebte Alice de Warenne in den Speisesaal und liess sich von Moris das Essen bringen. Bald darauf war die ganze Familie de Warenne im Speisesaal versammelt und nahm mit dem grössten Teil ihrer Hausgäste das Frühstück zu sich. Lady Elaine amüsierte sich köstlich mit ihrer Freundin Julia de Clare und zwinkerte Isabella zu. Die Dienstmädchen beeilten sich, um die leeren Teller so schnell es ging abzuräumen und den Gästen neue Erfrischungen zu bringen. Nachdem ausgiebigen Frühstück verweilten die meisten Gäste nicht allzu lange und machten sich einer nach dem anderen auf den Heimweg. Alle Dienstboten des Hauses de Warenne standen im Hof in einem halben Kreis, dessen Mitte Molly und Carson bildeten. Die letzte herrschaftliche Kutsche verliess den Torbogen und Lady Elaine winkte ihr neben ihrer Mutter, die stocksteif dastand, nach. Die Familie ging voraus durch den Haupteingang und die Dienerschaft folgte ihnen. Carson schloss gewissenhaft die Tür, gerade als der Kammerdiener Collin leichenblass die Haupttreppe hinunter hastete. Die Familie war soeben im Grünen Salon verschwunden. Collin schritt auf Carson zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Carson erbleichte sofort und blickte zu Molly
„Molly lass Doktor O'Leary und den Priester kommen!" Ohne ein weiteres Wort schlug er die Richtung in den Grünen Salon ein. Molly stand wie erstarrt da und Isabella ging auf sie zu
„Molly soll ich nach Doktor O'Leary und" doch Isabella musste den Satz nicht beenden, denn Molly nickte bereits und drehte sich zur restlichen Dienerschaft um
„Geht in die Küche, sofort". Isabella hastete in die Stallungen, wo sie den Stallburschen Walther beim Striegeln der Pferde fand.
„Guten Tag Miss Grey" sagte er fröhlich.
„Guten Morgen Walther" lächelte sie zurück „Könntest du bitte Doktor O'Leary und den Priester herbringen? Es scheint sehr dringend zu sein". Walther nickte und holte sich einen Sattel von der Holzwand ganz hinten und trat auf das Pferd zu, dass er zuletzt gesäubert hatte. Isabella sah ihm zu wie er zum Tor hinaus trabte. Als sie wieder ins Haus trat, machte sie sich auf den Weg in den Grünen Salon, wo zweifellos Carson noch sein müsste. Die Tür stand offen und sie hörte ein Schluchzen. Langsam ging sie durch die Tür und blickte auf die Szene. Die Damen sassen auf einer Chaiselongue, Rickard de Warenne in einem goldenen Stuhl und Alexander stand am Kamin. Carson war in der Mitte und Molly etwas hinter ihm. Bei Isabellas Eintreten, drehten sie sich um. „Ich habe soeben nach Doktor O'Leary und dem Priester geschickt" sagte sie zögerlich und Carson nickte.
„Mylords, Myladies, ich werde sie informieren, wenn die Herren eingetroffen sind". Sie sah, dass Lady Elaine in ein Seidentuch schluchzte. Rickard de Warenne wirkte äusserst betrübt und Lady de Warenne wirkte so kalt und unnahbar wie eh und je. Sie regte sich und sagte mit klarer Stimme
„Als ich das letzte Mal gestern Morgen bei ihm war, ging es ihm noch gut". Elaine de Warenne weinte noch mehr, doch ihre Mutter ignorierte sie. Das Gesicht von Alexander konnte sie allerdings nicht sehen. Er hatte seinen Blick in den Kamin gerichtet und blickte stur in die kleinen Flämmchen. Carson verneigte sich und verliess den Salon. Molly und Isabella folgten ihm. Carson schritt geradewegs auf die Küche zu und meinte
„Wir werden nichts verkünden solange Doktor O'Leary nicht hier ist. Die Dienstboten sollen ihrer Arbeit nachgehen" und damit betraten sie die Küche. Als Doktor O'Leary und etwas später dann der Priester eintraf wurde kurze Zeit darauf der Tod des Lords, John der Zweite de Warenne, Earl of Surrey, verkündet. Carson und Molly unterrichteten die Dienstboten und Mägde darüber. Molly und Carson, die schon ihr Leben lang hier gearbeitet hatten, betrübte es am Meisten. Sie hatten den Lord noch gesund und mit seiner ersten Frau gekannt. Einige der Dienstboten hatten sich nach getaner Arbeit betrübt zurückgezogen und nur noch Isabella, Molly, Emil und Carson waren in der Küche. Isabella hatte Kaffee aufgesetzt und lauschte den Erzählungen von den dreien. Sie mussten sicher schon eine Stunde hier gesessen haben, als die Küchentür aufglitt und Alexander herein trat. Carson und Emil erhoben sich sofort und verneigten sich. Doch Alexander winkte ab und bat darum sich zu ihnen zu setzen. Molly nahm ihn in den Arm und er legte seine Arme um die kleine runde Frau.
„Die Beisetzung wird am Dienstag stattfinden. Im Familiengrab auf unserem Grundstück" er machte eine kurze Pause „Wer war der Letzte, der bei meinem Vater war?" Es war Molly, die antwortete
„Es muss Moris gewesen sein. Die meiste Arbeit hat die Countess ihm übergegeben und er hat sozusagen" sie hielt kurz inne und blickte Carson an „Carson entlastet". Isabella spürte, wie sich Carson neben ihr anspannte, doch er sagte nichts.
„Carson verzeihen sie mir, dass ich ihnen den Rücken nicht gestärkt habe. Sie waren schon immer und werden es immer bleiben, der beste Butler den Surrey sich wünschen kann. Niemand von ihnen muss um seine Arbeit fürchten. Ich werde alles regeln" sagte er und erhob sich wieder. Er sah Isabella an und sagte „Würdet ihr Miss Grey mir eine Flasche Met in meine Gemächer bringen?" Isabella nickte. Keiner der Anwesenden schien dies merkwürdig zu finden und sie verabschiedeten sich von Alexander de Warenne. Isabella holte eine Flasche aus dem Vorratsschrank, stellte sie auf ein Tablett mit ein paar Brötchen und trug sie in die Gemächer von Alexander. Sie klopfte sachte an die Tür und er öffnete sie sofort. Sie ging hinein und stellte das Tablett ab. Sie drehte sich um und blickte unsicher zu ihm. Er verweilte immer noch an der Tür.
„Mein herzliches Beileid Alexander... es tut mir so leid". Er blickte auf und schritt zu ihr. Sanft drückte er sie gegen seine Brust und schloss sie in eine warme Umarmung
„Es war nur eine Frage der Zeit" meinte er trocken.
„Und doch schmerzt es einen Menschen". Er erstickte ihre Worte mit einem liebvollen Kuss.
„Ich bin nur froh, dass du meiner Aufforderung gefolgt bist"
„Wie könnte ich nicht?" sagte Isabella überrascht. Wie könnte sie ihn in einer solchen Zeit alleine lassen? Sie war froh, dass er sich diese Ausrede mit dem Met hatte einfallen lassen. Da sie sich schon überlegt hatte, mit welcher Geschichte sie ihn hätte besuchen können. Doch er schien ihre Gesellschaft zu mögen und dies hiess in Anbetracht der Umstände viel. Wenige Männer zeigten eine sanfte, einfühlende und verletzliche Seite, selbst den eigenen Frauen nicht. Sie konnte aber auch noch nicht wirklich behaupten, dass sie ihn kannte. Sie hatte zwar nun die ganze Woche in seinem Bett verbracht, doch mehr hatte sie von ihm nicht erfahren. Vorsichtig schenkte sie ihm ein Glas Met ein und reichte es ihm. Er setzte sich damit auf einen Sessel nicht weit von seinem Bett entfernt. Sie beobachtete ihn. Er hatte sich nach hinten gelehnt und war in seinen Gedanken versunken. Sie wollte ihn nicht stören, goss sich selbst ein Glas ein und setzte sich in den zweiten Sessel neben ihn. Nach einer Weile fragte sie „Wie war er so?". Alexander ruckte aus seinen Gedanken und blickte sie an. Er schmunzelte, als er antwortete
„So rau, wie die See sein kann... ich habe viele Facetten meines Vaters kennengelernt... leider mehrheitlich die schlechten, als die guten Seiten" er nahm einen Schluck „Als die Zeit verging und die Jahre durchs Land zogen, konnte ich ihm verzeihen... aber leider war es dann zu spät, um unseren Zwist beizulegen" schloss er.
„Das muss bedrückend sein... ein böses Wort zu den Menschen die man liebt, kann einem schnell über die Lippen fliessen... doch der Schmerz den es auslöst, wenn sie dann für immer verloren sind, ist... unbeschreiblich". Sein Blick war undurchdringlich als er sie ansah und seine Stirn lag in Falten. Isabella blinzelte ein paar Mal und sagte dann „Meine Eltern". Seine Stirn glättete sich
„Das tut mir leid". Er hielt ihr seine Hand hin. Isabella legte die ihre in seine und er zog sie zu sich auf den Schoss. Er lehnte sich mit ihr zurück und legte seinen Kopf an ihre Schulter. Sie ruhten geraume Zeit still auf dem Sessel und liessen den Met ihre Kehlen hinab fahren. Als die Gläser leer waren, standen sie auf und Isabella wollte das Tablett wegräumen, doch er hielt sie zurück. Er küsste kurz ihre Lippen und Isabella schloss ihre Lider. Daraufhin küsste er sie noch einmal, dieses Mal allerdings länger, zärtlicher. Bevor sie widersprechen konnte, hob er sie hoch und legte sie ins Bett. „Bleib" sagte er und als er sie bis aufs Hemd ausgezogen hatte, tat er dasselbe mit sich. Er löschte alle Kerzen und stieg zu ihr ins Bett. Er küsste im Dunkeln ihren Hals und strich über ihren Körper. Diese Geste war vertraut, so dass Isabella das Gefühl erhielt sie würde ihn schon ihr Leben lang kennen. Sie zog ihn, wie eine liebende Ehefrau, an sich und strich ihm sanft übers Haar.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt