„Boris, die Deckung!"
Der Angesprochene verdrehte die Augen und nahm seine Deckung weiter hoch. Er war nach zwei Stunden Training schon ganz genervt, hauptsächlich von meinen Befehlen.
Ich war auch genervt und zwar davon, dass hier nichts passierte.
Boris und Silas liefen einfach im Kreis, keiner traute sich, den ersten Schlag zu machen. Das ging jetzt schon seit ungefähr immer so und es regte mich auf.
Charlie und Raphael hatten mich gebeten, ihren Schätzen kämpfen beizubringen, damit sie sich verteidigen konnten, doch so würde das sicherlich nichts werden.
„Einer von euch muss jetzt mal langsam anfangen! Im echten Leben starrt man sich auch nicht so lange an, bevor man zu kämpfen anfängt! Oder wollt ihr weiterhin nur wegrennen können, wie kleine Mädchen? Ihr seid Jäger, verdammt, benehmt euch auch so!" Ich schrie sie bewusst an.
Eigentlich war ich nicht so ungehalten und vor allem nicht kraftvoll genug, um komplett auszurasten, aber ich wusste, dass meine Freunde seit drei Jahren Angst vor mir hatten, weil ich so gut wie unberechenbar geworden war und das nutzte ich aus.
Sie waren meine engsten Bezugspersonen, mehr wie eine Familie für mich, mir war bewusst, dass ich ihnen nicht absichtlich Angst machen sollte, aber anders kamen wir ja nicht voran.
Boris war dann der Erste, der sich daran versuchte, einen Treffer zu landen, aber Silas wich schon lange vorher aus.
„Keine Kräfte, Silas!", warnte ich ihn.
Als er gerade über mich die Augen verdrehte, bekam er von Boris die Faust ab und krachte auf den Boden.
Boris kreischte erfreut los und hüpfte um seinen Cousin herum, ich konnte nicht fassen, in welchem Kindergarten ich mich hier befand, und Silas ließ das nicht lange auf sich sitzen, denn er zog an Boris' Bein und somit krachte der ebenfalls auf den Boden.
Bevor Boris auch nur blinzeln konnte, hatte Silas ihn unter sich begraben und in einer sehr schmerzhaften Position für Boris, weil er ihn mit dem Gesicht voraus auf den Boden presste und ihm fast die Schulter auskugelte, indem er seinen Arm nach hinten zog.
„Au au au!", jammerte Boris los.
Silas grinste. „Na, wer ist hier der Gewinner, du kleiner Wicht?"
„Ich bin größer als du, du Gollum!" Boris versuchte sich zu befreien, aber Silas' Griff wurde dadurch nur noch fester.
Boris war aber zu stur, um abzuschlagen und ließ sich deshalb fast den Arm brechen, statt einfach aufzugeben. Kampfgeist hatte er ja, das musste man ihm lassen.
„Ha, ich hab's dir gesagt!"
Als ich das hörte, sah ich zum Eingang der Halle. Raphael und Charlie traten rein und sahen sich den Gliedmaßenknoten von Silas und Boris an.
„Charlie, Silas tut mir weh!", jammerte Boris sofort los.
„Das ist so üblich beim Kampftraining, Kleiner. Ich wette, du hast mal wieder nur herumgealbert, mh?" Charlie sah mich fragend an und ich nickte bestätigend.
Boris gab einen frustrierten Ton von sich. „Mann, ihr hasst mich doch alle!"
Silas ließ Boris lachend los, stand auf, ging zu Raphael und forderte eine Belohnung.
Boris ließ sich wie ein Baby von Charlie hochnehmen und umklammerte ihn mit Armen und Beinen. Charlie strahlte dabei über das gesamte Gesicht.
Und ich? Ich dachte an Jay.
Irgendwie war ich jetzt froh, dass er sich nicht mehr mit ansehen musste, wie es mit der Welt den Bach runterging. Alle lebten in Angst und Schrecken und das, obwohl offiziell noch Frieden herrschte.
Angefangen hatte es nach Raphaels misslungener Krönung. Aus Rache, weil er sich in den Augen der Vampire für die Menschen entschieden hatte, hatten ein paar Vampire 10 Menschen hingerichtet. Sie nannten es den Mindestpreis dafür, dass sie „uns" Raphael als Prinz weggenommen hätten.
Ich war zwar an der Krönung, als all das angefangen hatte, nicht dabei gewesen, aber die Erzählungen der Anderen reichten mir, um beurteilen zu können, dass die Menschen keinerlei Schuld an dieser Misere trugen. Es war paradox, doch diesen ganzen Schlamassel hatten wir nur aufgrund der Intoleranz der Vampire. Aber jetzt zurück zum Thema.
Nachdem also in aller Öffentlichkeit Menschen hingerichtet worden waren, hatten sie Angst bekommen und begonnen, sich auszurüsten. Natürlich nicht offiziell, aber es sprach doch wirklich Bände, dass sie den Waffenläden fast die Buden einrannten, oder?
Nach wie vor versuchten wir uns bei ihnen zu integrieren, doch wir wurden ausgegrenzt und verachtet.
Immer wieder verschwanden Vampire und Menschen, beide wurden zugerichtet, verstümmelt, ausgeblutet nach Wochen wieder aufgefunden.
Die Menschen beschuldigten die Vampire, die Vampire die Menschen.
Es herrschte Krieg, ohne, dass es jemand wirklich aussprach.
Politiker suchten nach Lösungen, Menschen bauten Bunker, um sich abzuschotten... Eine Idylle sah anders aus. Und das war alles innerhalb eines Jahres passiert.
Ich fand es gut, dass Jayjay das nicht mehr alles miterleben musste. Er war im Himmel, wahrscheinlich als einer der wenigen, der sich diesen Platz auch verdient hatte.
Mein Problem war einfach nur, dass ich ihn vermisste, bei ihm sein wollte, aber es keine Möglichkeit dazu gab.
Ich wusste, wenn er mein Gefährte gewesen wäre, hätte das Schicksal einen Weg gefunden, ihn mir wieder zu bringen, und das war es eigentlich, was am meisten schmerzte. Dass ich so sehr litt für jemanden, der nie für mich bestimmt gewesen war.
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Only You
Fantasy-Alle lebten in Angst und Schrecken und das, obwohl offiziell noch Frieden herrschte.- Die Welt hat sich verändert. Die Menschen und Vampire haben sich verändert. Oder es hat einfach keiner mehr Lust auf Friede, Freude, Eierkuchen. Nach den verga...