85. Boris: Schutzengel

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Charlie? Wozu brauchte ich denn schon Charlie? Ich konnte auch sehr gut ohne ihn glücklich werden. Ich konnte Grillpartys mit meinen Freunden machen, zum Ficken konnte ich mir jemand anderen suchen und nachts bei Silas zu schlafen taugte auch.
Zwar war nichts von alle dem mit meinen Gefühlen vergleichbar, wenn es mit Charlie passieren würde, aber das konnte ich nicht ändern.

Ich hatte mich dazu entschlossen, mein Leben nicht wegzuwerfen, nur weil er mich wohl verlassen hatte.

Aber natürlich konnte ich es einfach nicht, lassen, mir Gedanken darüber zu machen.

Warum hatte er das getan? Jetzt, wo ich mir sicher war, dass er mich verlassen hatte und ihm nichts passiert war, fragte ich mich, wieso. Ich suchte nach den Gründen.

Lag es an mir? Hatte ich etwas falsch gemacht?

Ich konnte ihn ja nicht mal fragen, weil ich nach wie vor keinen blassen Schimmer hatte, wo er war.

An sich konnte ich mich vielleicht damit zufrieden geben, dass seine Gefühle möglicherweise einfach nicht mehr dieselben waren. Ich meine, ich hatte mich schon ziemlich verändert, seit ich mit 18 mit ihm zusammen gekommen war. Wir hatten viel zusammen durchgemacht. Unsere Beziehung war einfach nicht mehr die Frischeste. Vielleicht wollte er einfach einen Neustart, mit jemandem, mit dem er eine bessere Geschichte haben konnte als mit mir.

Aber wenn ich an unsere letzte gemeinsame Nacht zurück dachte, dann konnte ich das nicht glauben.

Er war noch liebevoller zu mir gewesen als sonst, noch sanfter, noch emotionaler. Damals war mir das nicht aufgefallen, aber alles, was er gesagt hatte, hörte sich in meinen Ohren jetzt wie ein unfreiwilliger Abschied an.

Aber, wenn er mich nicht verlassen wollte, wieso hatte er es dann getan? Ich verstand es nicht. Wieso hatte er nicht einfach mit mir geredet? Bisher hatten wir doch über alles reden und uns bei allem helfen können. Charlie und ich waren ein super Team. Wir liebten uns. Wir gehörten zusammen.

Ich verstand einfach nicht, wieso er das weggeworfen hatte.

Ich war völlig in meinen Gedanken versunken, während ich über den Parkplatz des Baumarktes lief, in dem ich den Grill gekauft hatte.

Ich hatte ihn schon ins Auto gebracht und musste jetzt nur noch den Wagen wegbringen, den ich gebraucht hatte, um ihn zu transportieren. Das Teil war zwar groß gewesen, doch nicht unbedingt schwer. Trotzdem hatte ich es für zu auffällig gehalten, einen Grill mit der Hand durch den Laden zu tragen. Dann hielten mich doch alle gleich für einen Vampir und fielen mich an.

Jedenfalls rollte ich den Wagen gerade zurück, dachte an Charlie und bekam so gut wie nichts mit. Auch nicht, dass ich im toten Winkel eines SUVs stand, gerade als dieser nicht wirklich langsam ausparkte.

Ich hörte warnende Schreie, das Kreischen eines Kindes, das hinter mich zeigte, doch von ihrer Mum zurückgehalten wurde, und realisierte, dass ich kurz davon war, angefahren zu werden.

Mir schossen viele Gedanken durch den Kopf, die plötzlich gar nichts mehr mit meinem Freund zu tun hatten.

Warum raste dieser Idiot so beim Ausparken? Spinnt der? Ich wollte schnell hier weg! Was, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffte?

Ich wusste, ich musste wegrennen, aber ich konnte mich einfach nicht bewegen.

Ehe ich mich versah, wehte mich eine starke Windböe zwei Meter weiter an das Häuschen, in dem die Wagen gelagert wurden.

Ich prallte unsanft daran ab und sank auf den Boden.

Die Frau mit ihrem Kind eilte zu mir, sie halfen mir hoch und fragten, ob alles okay sei.

Ich war verwirrt, ich sah mich um, erkannte den SUV seelenruhig wegfahren und achtete auf den Wind. Nicht mal ein leichtes Lüftlein wehte, genau wie zuvor.

Wo war das denn jetzt hergekommen?

Ich versuchte mich auf das Gespräch mit der Frau zu konzentrieren, weil sie davon überzeugt war, es sei nötig, einen Krankenwagen zu rufen. Das war es nicht. Es ging mir gut. Ich war einfach nur geschockt.

Nachdem ich der Frau und ihrer Tochter das versichert hatte, hielt ich der kleinen einen fünf Euro Schein hin als Dankeschön, weil sie mich gewarnt hatte und damit sie sich eine Kleinigkeit kaufen konnte.

Die Mutter bat mich, besser auf mich aufzupassen und aufmerksamer durch die Straßen zu gehen und dann ging sie und zog ihr kleines Mädchen hinter sich her. Sie winkte mir mit ihrem Geldschein freudig zu und ich musste schmunzeln.

Eigentlich mochte ich ja keine Kinder, keine Ahnung, was mit mir los war. Das brachte mich auf meinen nächsten Gedanken.

Die Kräfte, die ich von Charlie übernommen hatte. Wie zur Hölle war das passiert? Ich hatte keine Ahnung und ehrlich gesagt war mir das alles Mal wieder zu viel. Ich wollte nicht mehr darüber nachdenken, verdrängte einfach alles und ging, diesmal vorsichtiger, über den Parkplatz zu meinem Auto.

Ich versuchte mir zu erklären, was genau da eben passiert war, doch konnte es nicht, ich war nämlich nicht so dumm, das als pures Glück zu bezeichnen.

Vielleicht hatte ich einfach einen guten Schutzengel. Aber, wenn man mal so an den Engel dachte, den ich bisher getroffen hatte und Luzifers Erzählungen, dann war das eher unwahrscheinlich.

Vielleicht war das alles auch nicht so wichtig. Ich meine, was würde das Wissen darüber schon groß ändern? Mir ging es gut, soweit das eben möglich war, ich hatte vor, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen und etwas aus mir zu machen. Und vielleicht, ja vielleicht würde ich Charlie irgendwann wieder sehen und dann würde er stolz auf mich sein, weil ich die Stärke gehabt hatte, weiter zu machen.

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