Nachdem ich Boris und den anderen erklärt hatte, was die Tatsachen waren, flog ich zum Schloss.
Ich musste Raphael rausholen, denn er war der einzige, der all das aufhalten konnte.
In ihm waren alle drei Gruppen der Beteiligen vereinigt. Vampir, Jäger, Engel.
Es war seine Bestimmung, diesen Krieg zu beenden. Doch als ich mich mit einigen kräftigen Flügelschwingungen auf den Boden herabließ und Raphael mit dem toten Silas im Arm an der Mauer des Schlosses kauern sah, wurde mir bewusst, dass er erstmal sich selbst helfen musste, bevor er die Welt retten konnte.
Ich erkannte viele Leichen auf dem Boden, Blut, abgetrennte Gliedmaßen, aber auch Lebende, die sich kein Stück bewegten.
All das war jetzt aber nicht wichtig.
Ich näherte mich Raphael langsam an, damit er sich nicht erschreckte.
Er saß an diese Mauer gelehnt, hatte ein Bein aufgestellt und Silas auf dem Arm liegen, während er ihn festhob, als würde er ein schlafendes Baby halten.
Er sah ihm ins Gesicht, musterte ihn und strich dabei durch seine Haare.
Ich wusste, dass er tot war. Ich spürte, dass seine Seele fort war. Und es tat weh, dass Raphael das nicht zu realisieren schien.
Als ich knapp vor ihm angekommen war, ging ich auf die Knie, um mich mit ihm auf einer Höhe zu befinden.
Ich nahm Raphaels Hand, die über Silas Wange streichelte und hielt sie fest, damit er aufhörte. Das würde es nicht besser machen.
„Raphael" Ich sagte seinen Namen eindringlich, damit er mich ansah.
Das tat er. Sein Blick huschte hoch in mein Gesicht.
Einen Augenblick sah er geschockt aus, aber dann riss er seine Hand aus meiner, sah wieder zu Silas und machte weiter wie zuvor, so als sei meine Anwesenheit ohnehin nutzlos.
„Er ist tot, Raphael", machte ich ihm klar.
Es war ihm egal. Er ignorierte mich, machte weiter in seinen Taten.
Ich seufzte und wollte Ihm Silas abnehmen, aber Raphael presste den Jungen fester an sich und fauchte mich an. „Was willst du?!"
„Dir helfen"
Er schnaubte und strich Silas über den Hinterkopf, als wolle er ihn trösten. „Dann lass mich alleine. Das kannst du doch so gut"
Ich wusste, was ich da angerichtet hatte, als ich den Deal geschlossen hatte, aber was hätte ich denn für eine Wahl gehabt? Hätte ich den Engel einfach wegschicken sollen, nachdem er mir seine Forderung übermittelt hatte? Hätte ich sagen sollen, nein tut mir leid, aber das ist es mir nicht wert? Egal, was ich getan hätte, es wäre falsch gewesen, jemand hätte darunter leiden müssen. Ich hatte einfach die Hoffnung gehabt, so würde ich am meisten nützlich sein.
Aber ich wusste, alle Rationalität lag Raphael gerade fern. Immerhin wiegte er gerade seinen toten Freund hin und her.
„Raphael", versuchte ich es wieder. „Du kannst ihn solange festhalten, bis er nur noch ein Skelett ist. Das ändert nichts daran, dass er tot ist"
„Nein", widersprach Raphael. „Ich liebe ihn. Unsere Liebe kann alles überwinden" Er presste Silas fest an sich, strich ihm die Haare aus der Stirn und gab ihm einen Kuss auf die freie Stelle. "Wir können alles schaffen, Baby", flüsterte er dabei, als würde er Silas' Zuspruch erwarten.
Ich wusste, er war verzweifelt, aber das war doch nicht mehr normal.
Ich kannte das Gefühl, das er gerade hatte. Henrys Tod war bisweilen das schlimmste gewesen, das ich empfunden hatte. Die Vorstellung, Boris wäre tot, brachte mich schon beinahe um. Aber ich war mir sicher, selbst, wenn er tot sein sollte, würde ich nicht einfach aufhören zu kämpfen. Und, da Raphael nicht mehr die Kraft zu haben schien, von sich aus weiterzumachen, musste ich ihm helfen.
„Nur weil Silas tot ist, heißt das nicht, dass dein Leben oder das unserer Freunde auch vorbei ist. Sie brauchen deine Hilfe, Raphael. Die verdammte Menschheit braucht deine Hilfe. Ich weiß, dass es schwer ist. Dass du nicht loslassen willst. Aber du musst. Es ist deine Pflicht..."
„Als König? Als Freund? Als Mensch? Ich bin nichts davon und ich will nichts davon sein.", schnaubte er.
„Nein. Als Engel"
Sein Blick schoss zurück zu mir, er sah mich perplex an. Ich seufzte. „Das, was dich so besonders macht, ist nicht, dass du zum Teil Jäger und Vampir bist. Das ist die Grundlage dafür, dass du Engelsenergie in dir hast. Engelskraft. Du bist etwas besonderes, weil deine Macht an die eines Gottes grenzt, Raphael. Willst du das wirklich ungenutzt lassen, indem du hier sitzen bleibst und einem Umstand nachtrauerst, den du nicht ändern kannst? Oder willst du dich endlich mal darum kümmern, dein Potenzial zu entfalten und Silas stolz machen? Soll sein Tod umsonst gewesen sein?"
Ich hörte auf, als Raphael leidend die Augen schloss. „Woher soll ich wissen, dass ich dir glauben kann?"
Ich wusste, dass ich sein tiefstes Vertrauen schon lange verloren hatte, aber hier musste ich nicht auf mich plädieren. Es ging auch wer anders.
„Vertrau nicht mir, sondern deiner Mutter. Du weißt genau, was sie in ihren Tagebüchern geschrieben hat. Sie wusste, was du bist. Was aus dir werden wird. Warum denkst du denn, dass du so einen biblischen Namen trägst?"
Raphael schluckte, sah mich verzweifelt an. „Du weißt nicht, was du jetzt von mir verlangst, Charlie. Ich konnte nicht mal meinen Gefährten retten, wie soll ich denn alle anderen retten?"
„Das musst du nicht", sagte ich eindringlich. „Es reicht, wenn du ihnen zeigst, wer du bist. Dass du existierst. Die Jäger glauben, Vampire vernichten zu müssen, sei ihre Aufgabe. Und vielleicht ist es das auch. Aber, wenn alle sehen, was aus der Verbindung zwischen Vampir und Jäger entstehen kann, dass Liebe und Harmonie zwischen den beiden ein himmlisches Wesen hervorbringt, wo bleibt dann noch ein Grund für einen Krieg?"
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Only You
Fantasy-Alle lebten in Angst und Schrecken und das, obwohl offiziell noch Frieden herrschte.- Die Welt hat sich verändert. Die Menschen und Vampire haben sich verändert. Oder es hat einfach keiner mehr Lust auf Friede, Freude, Eierkuchen. Nach den verga...