106. Jaylin: Engel

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Mit gespanntem Bogen stand ich da und musterte die Jäger in der Ferne durch das Visier.

Wieso waren sie stehen geblieben?

Austin stand mit ausgefahrenen Krallen und gefletschten Reißzähnen neben mir, alle hatten ihre Waffen bereit.

Es war klar, dass wir sofort untergehen würden, immerhin waren wir nur zu siebt, während vor uns hunderte, wenn nicht sogar tausende Jäger waren. Aber je länger wir warteten, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass es nur schlimmer werden würde.

Es war still, man hörte nicht mal Grillen zirpen oder sonst irgendeinen Ton. Nur Atem.

Ich konnte nicht sagen, wie lange wir so dort standen, bis sich endlich etwas veränderte.

Ich hörte einen schrillen Ton, der mir bereits bekannt war und sah auch das grelle Licht, das mich beinahe erblinden ließ.

Ich entspannte den Bogen, um mir die Ohren zuzuhalten. Sie bluteten fast, so laut war dieser Ton.

Erst, als sowohl das Licht als auch der Ton verschwunden waren, wagte ich es, blinzelnd aufzusehen. Jemand stand vor uns, mit dem Rücken zu uns gedreht.

Er war groß, muskulös, breit gebraut, hatte schwarze Haare. So viel konnte ich sagen. Es war ein menschlicher Körper, in dem er sich da befand. Er drehte sich um, langsam, fast in Zeitlupe, aber ich konnte gut erkennen, wer es war.

Charlie.

Ich hörte einen Ton, der fast einem Kreischen gleichkam, von Boris und sah, dass er Charlie aus großen Augen anstarrte. Er trug Schock im Gesicht, aber auch Freude.

Ich war mir nicht sicher, ob letztes berechtigt war. Wir mussten davon ausgehen, dass er eine Hülle war. Alles andere war zu unrealistisch.

Zur Sicherheit hielt ich Boris' Arm fest, damit er nicht auf die Idee kam, Charlie in die Arme zu springen.

Er ging ein paar Schritte auf uns zu, aber Austin schien einen ähnlichen Gedanken zu haben wie ich, denn er befahl: „Bleib, wo du bist!"

Charlie hat es ruhig, hob beschwichtigend die Hände. „Hört zu, Leute. Ich weiß, ihr seid sauer auf mich, aber ich kann das erklären." Er klang schon nach ihm, nur irgendwie sanfter.

„Luzifer" Ich sah den Teufel auffordernd an. „Wer ist er?"

Er erwiderte meinen Blick und antwortete mit hundert prozentiger Sicherheit in der Stimme: „Charlie"

Er war also keine Hülle für irgendeinen Engel.

Charlie seufzte. „Ich erkläre euch die Kurzfassung, aber wichtig ist, dass ihr mir glaubt. Ich bins, okay? Ich bins wirklich. Ich habe mit dem Engel damals einen Deal abgeschlossen, dass ich zu einem von ihnen werde, wenn er Raphael, Silas und Austin befreit. Michael hat mich unter seine Fittiche genommen, aber ich hatte trotzdem immer ein Auge auf euch" Er sah Boris an. „Er hat öfter versucht, dich umzubringen, wollte es wie Unfälle aussehen lassen, um an deine Kraft zu kommen. Erinnerst du dich an das Auto beim Baumarkt? Oder die Axt, die vom Schrank gefallen ist. Ich war immer bei dir, ich habe auf dich aufgepasst,"

„Wie kann das sein? Du bist ein Vampir. Du kannst doch kein... Engel... sein" Boris sah Charlie ungläubig an, stand kurz vor einem Tränenausbruch.

„Du erinnerst dich noch an die Wünsche... Raphael ist ein Mittel, um sie weiter zu leiten, zu den Elohim, die sie dann erfüllen. Ich habe den Wunsch direkt an einen Engel geäußert. Und du weißt auch, dass jeder Wunsch einen Preis erfordert. Dieser war es in dem Fall das aufzugeben, was mir das wichtigste ist."

„Mich", flüsterte Boris.

Charlie nickte. „Hätte ich eine Wahl gehabt, hätte ich eine Andere getroffen. Aber ich kann jetzt nicht mehr ändern, was ich bin. Wenigstens eine gute Sache hat das alles aber"

Und wieso sah er dann so leidend aus?

„Ich weiß, dass Michael den Elohim befohlen hat, die Grenzen des Vampirreichs für die Jäger zu öffnen. Michael hat versucht, mich immer so zu beschäftigen, dass ich das nicht mitbekomme, aber ich bin ja nicht dumm. Ihr seht sie zwar nicht, aber wenn ich hinter euch blicke, erkenne ich, dass tausende von Engeln dort sind, die die Grenze offen halten. Das heißt, es bringt euch nichts, hier herum zu stehen. Wenn ihr kämpfen wollt, dann geht ins Schloss und wenn nicht und das halte ich für die bessere Variante, ihr verschwindet von hier. Denn es wird blutig" Mit diesem Satz krachte es einmal laut und im nächsten Moment stand ein paar weißer Flügel aus Charlies Rücken hervor.

Boris wollte zu ihm, er ging schon einen Schritt, aber stoppte, als Charlie mit den Flügeln schlug und verdammt nochmal davonflog.










Wuhu! Charlie ist zurück! ... Naja oder auch nicht...


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