**3. Raphael

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Die Feier ist im vollen Gange.

Ich sehe viele Paare tanzen.

Charlie und Boris, die zugegebenermaßen ziemlich gut darin sind, was wohl an Charlies Erfahrung liegt.

Mara und Phil, bei denen es aufgrund des Babybauchs eher schwer ist.

Amy und Alica, die sich bei jeden Schritt gegenseitig auf die Füße treten.

Claire und irgendeiner ihrer vielen Liebhaber.

Austin und Jay, die eigentlich mehr engumschlungen beieinanderstehen und sich langsam hin und her wiegen als zu tanzen.

Klar machen sie das nicht mit Absicht und ich bin froh, dass es aufgehört hat, dass sie ihr Leben darauf ausrichten, sich um mich zu kümmern, aber trotzdem fühle ich mich dadurch ziemlich alleine. Ich will zu meinem Baby.

Obwohl ich weiß, dass ich heute hier sein sollte, als Verantwortlicher für den Frieden, schleiche ich mich raus, um an die frische Luft zu gehen.

Die Nacht ist klar, der Mond und die Sterne reichen aus, um sie zu erleuchten. Wäre Silas hier, fände ich das wirklich sehr romantisch, aber so macht es mir seine Abwesenheit nur noch mehr bewusst.

Ich schlendere ein wenig durch das Dorf, laufe dabei Chad über den Weg. „Wohin des Weges?", fragt er mich mit einem einfühlsamen Lächeln.

Ich zucke mit den Schultern. „Das weiß ich noch nicht. Ich lasse mich überraschen"

„Hast du was gegen Begleitung?"

Ich schüttele den Kopf, was dazu führt, dass er sich mir anschließt.

Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinander her. Es ist kein bedrückendes Schweigen, eher eines, das beweist, dass unser Verhältnis gut genug ist, um nicht jede Sekunde mit Worten füllen zu müssen.

„Wie geht's dir?" Er stellt die blödeste, aber auch die wichtigste Frage, die man stellen kann.

Ich seufze, schiebe die Hände in die Hosentaschen. „Ich weiß nicht. Es ist eigentlich immer schwer, aber heute besonders..."

Er nickt verstehend, legt den Arm um mich beim Laufen.

Ich bemerke dabei, dass er ziemlich friert. „Du solltest ins Warme gehen, Chad. Du holst dir noch eine Erkältung"

„Seit wann so besorgt?", lacht er.

Ich zucke mit den Schultern.

Er seufzt. „Ach Raphael. Mach es dir doch selbst nicht so schwer. Geh zu ihm. Er wartet sicherlich schon"

Ich schließe kurz die Augen, atme tief durch. „Er hat gesagt, ich soll nicht zu oft kommen. Er hat Angst, dass ich vergesse, dass das Leben hier unten stattfindet und er meinte, wenn ich das nicht verstehe, sorgt er dafür, dass ich nicht mehr in den Himmel darf"

Chad seufzt und drückt mich etwas näher an sich. Dieser Schlingel will sich nur an mir wärmen.

„Er will nur das Beste für dich, das weißt du doch. Aber heute macht er sicherlich eine Ausnahme. Er wird sich freuen, dich zu sehen" Chad lächelt mich aufmunternd an.

Ich bin noch unentschlossen und wechsle daher das Thema. „Mal was von deinem Lover gehört?"

Chad schüttelt den Kopf, wirkt sofort weniger zuversichtlich. „Ich denke er hat viel zu tun" Er wirkt enttäuscht, was ich ja auch verstehen kann.

Im Anschluss beginnt er aber zu lächeln und obwohl es traurig wirkt, wirkt er auch wie ein frisch verliebter Vollidiot. „Aber letztens bin ich aufgewacht und neben mir lag ein ganzer Strauß an roten Rosen. Das war echt süß von ihm"

Kaum zu glauben, dass der Teufel so romantisch ist. Aber diese Vorstellung gefällt mir auch, deshalb steige ich in sein Lächeln mit ein. „Bist du glücklich so?"

„Was heißt glücklich schon?", meint er und sieht nachdenklich in den Himmel. „Das ist alles, was wir haben können, wenn wir zusammen sein wollen. Klar vermisse ich ihn sehr. Ich meine, ich hab ihn seit fast 10 Jahren nicht mehr gesehen, du weißt selbst wie das ist. Aber in manchen Moment, da spüre ich einfach, dass er da ist oder er macht mir ja auch manchmal kleine Geschenke. Das macht mich glücklich. Zu spüren, dass er mich nach der Zeit immer noch liebt und, dass er sich so Mühe gibt, mir das zu zeigen. Alles andere ist, denke ich, auch gar nicht wichtig."

Ich nicke verstehend.

Wenn ich ehrlich bin, war Chad eigentlich die größte Hilfe, als alles erst Mal vorbei war.

Klar, alle meiner Freunde haben sich wirklich lieb um mich gekümmert, aber sie haben es auch echt übertrieben. Austin hat verstanden, dass ich manchmal einfach meine Zeit  alleine gebraucht habe und mir dann die anderen von Leib gehalten. Er hat ja was Ähnliches mit Jay durchgemacht.

Aber als ich gelernt habe, zwischen Himmel und Erde hin und her zu pendeln, wurde es etwas besser. Leider war Silas aber nicht damit einverstanden, dass ich manchmal monatelang bei ihm geblieben bin.

Es ist wirklich schön im Himmel. Zusammen mit ihm ist es das Paradies, obwohl es ziemlich strenge Regeln gibt. Aber Silas hat mir vor einigen Jahren schon verboten, dass ich so oft zu ihm komme und dann so lange bleibe.

Er meint, ich habe auf der Erde ein Leben und bin dazu verpflichtet, das auch zu nutzen.

Ich weiß ja, dass er Recht hat. Aber was soll ich mit diesem Leben, wenn ich es ohne hin verbringen muss?

Chad hat das bisher am besten verstehen können. Er musste den Mann, den er liebt auch loslassen und lebt seitdem ohne hin. Es ist zwar nicht dasselbe, aber ähnlich.

Chad und ich laufen eine große Runde durch die Stadt, ehe wir wieder am Schloss ankommen. „Also ich gehe dann mal rein. Ich bin mir sicher, die vermissen mich schon alle unendlich" Er übertreibt total, weil er weiß, dass diese ganzen Pärchen da drinnen keinen Gedanken an ihn verschwendet haben.

Ich schmunzele. „Viel Spaß bei der Party... und danke"

Er lächelt mich an, umarmt mich. „Du kannst immer auf mich zählen, das weißt du doch", meint er dabei, ehe er mir einen Kuss auf die Stirn gibt und mit einem Winken verschwindet.

Ich habe das Gefühl, dass Chad manchmal versucht, was durch mich zu kompensieren. Früher hatte er Jay als „kleinen Bruder-Ersatz" und jetzt irgendwie mich. Aber ich finde das nicht schlimm. Ich fühle mich gut bei ihm. Und sehr oft hat er die perfekten Ratschläge.

Er hat Recht. Ich sollte zu Silas. Er wird mich heute nicht wegschicken.

Ich suche mir einen ruhigen Ort etwas abseits, wo nichts kaputt gehen kann, wenn sich meine Energie verstärkt, um die Sphären zu wechseln. Nach all er Übung ist es ziemlich leicht für mich, die Erde zu verlassen und in den Himmel überzugehen.

Sobald ich dort bin, fühle ich mich irgendwie zuhause. Ich weiß, dass das nur an Silas' Anwesenheit liegt, aber das macht ja keinen Unterschied.

Wie von alleine ziehen sich unsere Seelen an, wissen, dass sie zusammen gehören.

Wie zu erwarten ist er verständnisvoll, weil ich heute hier bin.

Wenn man geübt darin ist, dann visualisiert sich hier alles und nimmt auch etwas Form, Farbe und Masse an. Daher spüre ich, wie er mich umarmt, höre, wie er mitteilt, dass er mich vermisst hat.

Küsse auf dieser Ebene sind so viel belebender als irgendwo sonst. Von Sex brauche ich gar nicht erst anzufangen. Zwar ist es schwer, hier mal seine Privatsphäre zu finden, aber wenn man sie dann mal hat und loslegen kann, ist es... einfach himmlisch.

Silas und ich können uns nach wie vor genau das geben, was wir gerade brauchen, wenn nicht sogar mehr als das.

Ich weiß ja, dass er immer bei mir ist und zusieht, dass er auf mich aufpasst und sich wünscht, dass ich glücklich werde. Trotzdem ist meine Zeit mit ihm im Himmel die schönste meines Lebens.

Das liegt nicht daran, wo wir sind oder wie anders sich hier alles anfühlt, sondern einfach daran, dass ich hier bei ihm bin. Dass ich endlich nach all den Jahren und all den Problemen weiß, wer ich bin und wo ich hingehöre. Dass es sich richtig anfühlt, hier zu sein, dort, wo mein Herz ist. Denn da bin ich zuhause. Nur bei ihm.

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