39. Raphael: Wahrheit

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Ich grinste stolz, als Silas sich deutlich auf meine Seite stellte. Natürlich wusste ich, dass er mir niemals dabei zusehen würde, wie ich andere ausweidete, aber mir reichte es schon, wenn er einfach wegsehen und mich machen lassen würde. Das wäre schön.

Philipp erkannte, dass dieser Punkt an mich ging, er fühlte sich herausgefordert.
Ich hatte keine Ahnung, mit wem ich mich hier angelegte.

Dana verdrehte genervt die Augen. „Ich lass euch dann mal in Ruhe euren Testosteronvergleich machen. Viel Spaß, Phil" Sie klopfte ihrem Sohn auf die Schulter und ging dann wieder.

Philipp sah auch noch so aus, als würde er sich freuen, mit uns alleine zu sein. „Dann lasst uns spielen, würde ich sagen", schlug er vor, trat näher an uns heran.

„Was hast du vor?", fragte ich misstrauisch.

Er ignorierte mich, wandte sich an meinen Freund. „Fangen wir doch mit dir an, Silas."

Er ging zu ihm, sah ihm in die Augen, so eindringlich, dass ich wieder begann, an meinen Ketten herum zu reißen. Aber Silas bekam es gar nicht mit. Er konzentrierte sich nur noch auf Phil, der meinen Freund mit diesem intensiven Blick ansah, den ich so sehr hasste.

„Liebst du Raphael wirklich so sehr, wie du behauptest?"

Silas sagte ohne zu zögern „Ja"

Phil legte den Kopf leicht schief, intensivierte den Blick noch mehr. „Gibt es dazu noch etwas zu sagen? Nur keine Scheu, wir hören dir gerne zu"

Silas presste die Lippen zusammen. Man sah ihm an, dass er nicht antworten wollte, doch er tat es. „Eine Zeit lang hatte ich Zweifel", presste er hervor.

Mein Herz blieb stehen.

„Ich wusste nicht mehr, ob ich Raphael wirklich liebe, für die Person, die er ist oder einfach, weil ich muss, weil eine Trennung zu kompliziert und stressig wäre"

Phil grinste so, als habe er einen Preis gewonnen. Er setzte an, wieder etwas zu sagen, aber ich wollte es nicht hören.

„Lass die Scheiße sein!", knurrte ich wütend.

Philipp sah zu mir. „Ach, hast du Angst?" Er lachte leicht, schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Raphael, aber das ist nur die Wahrheit. Es ist meine Kraft, jemandem die Wahrheit zu entlocken, und nicht das, was du für die Wahrheit hältst, sondern, was sich in den tiefen deines Unterbewusstseins verbirgt. Wollen wir mal nachsehen, was wir bei Silas noch so finden?"

Er grinste mich herausfordernd an. Ich wusste, zu verneinen ließ mich als Weichei dastehen, weil Philipp einfach tun konnte, was er wollte, aber bejahen konnte ich auch nicht.

Ich konnte gar nichts tun. Und Philipp machte weiter.

„Dann sag uns doch mal, Silas" Er sah ihn wieder an, nahm den Blickkontakt auf. „Hattest du schon mal vor, dich von Raphael zu trennen?"

Silas schluckte, er wollte seinen Blick losreißen, aber konnte nicht.

„Ich hab darüber nachgedacht", gab er gepresst zu. Phil wollte weiter machen, aber Silas war noch nicht fertig. „Ich habe das Gefühl, dass ich für seine derzeitige Mentalität und sein Unglück verantwortlich bin und fühle mich dazu verpflichtet, etwas daran zu ändern. Ich dachte, es sei das Beste, aus seinem Leben zu verschwinden. Aber ich war egoistisch und bin bei ihm geblieben. Und jetzt sitzen wir hier fest"

Das war sie also? Die Wahrheit?

„Wenn du eine Sache in der Vergangenheit ändern könntest, was wäre es?", fragte Philipp Silas ohne sein dreckiges Grinsen.

Silas traten Tränen in die Augen, als er antwortete. „Ich... Der Tag zum Beginn der 12ten Klasse. Ich würde Boris kein Furzkissen auf den Stuhl legen. So hätte ich vom Direktor niemals die Strafe bekommen, mich um Raphael und seine Freunde zu kümmern und wir hätten uns niemals auf diese Art kennengelernt, wie wir es getan haben. Wir wären heute vermutlich Fremde. Aber ihm würde es besser gehen." Er presste kurz die Lippen zusammen, sprach weiter. „Allen würde es besser gehen. Raphael wäre König, die Differenzen zwischen Vampiren und Menschen wären niemals wieder aufgetreten. Es wären so viele Leute nicht gestorben oder hätten leiden müssen."

Philipp legte den Kopf leicht schief. „Das ist ziemlich selbstlos von dir, weißt du das?"

Silas schüttelte den Kopf. „Ist es nicht. Es macht alles nur noch schlimmer, weil ich genau weiß, dass ich der Einzige bin, der zwischen allen und dem Frieden steht und ich zu feige und zu egoistisch bin, mir selbst das Herz zu brechen, indem ich einfach gehe." Eine Träne lief seine Wange hinab. „Ich liebe ihn. Aber das lässt andere leiden. Und es wird so viele umbringen"

Philipp schien geschockt zu sein, sein Blick veränderte sich. Es wirkte, als wurde Silas nicht mehr gezwungen, Phil in die Augen zu blicken, sein Gesicht fiel nach unten, er kniff die Augen zusammen, wollte eine Träne zurückdrängen.

Ich hasste es, dass Phil tat, was meine Aufgabe war. Dass er zu ihm ging, ihm seine Tränen weg strich, solange, bis er sich beruhigte.

„Tut mir leid", flüsterte Phil. „Ich hätte dich nicht angreifen sollen, nur um Raphael wehzutun"

Silas schüttelte den Kopf. „Lass mich einfach in Ruhe" Er drehte den Kopf weg, damit Phil verstand, dass er es sein lassen sollte. Das tat er. Er ging wieder zwei Schritte zurück, blickte Silas mitleidig an und dann mich. „Sieh zu, dass du ihn glücklich machst, falls ihr hier je wieder auskommt. Er hat es verdient"

„Das weiß ich", sagte ich.

Ich konnte gar nicht mehr sauer auf Philipp sein. Ich wollte gerade einfach nichts lieber als Silas in den Arm zu nehmen.

Klar tat es weh, worüber er nachgedacht hatte. Aber ein Teil von mir hatte das ohnehin schon gewusst. Daran  hatte ich noch nie etwas ändern können. Gerade war es nur wichtig, hier rauszukommen. Um den Rest konnten wir uns danach auch noch kümmern.

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