Samstag, 18. Juli
Spontan war Linus am Freitag Abend zu seinen Freunden gefahren. Er hasste Zugfahren, doch er wollte ebenso wenig, dass Leo und Timo ständig zu ihm kommen mussten. Er hatte sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Auch Ruben hatte er diese Woche nicht zu Gesicht bekommen, denn wieder hatte er arbeiten müssen. Er hat nur keinen Bock mehr auf mich, weil ich ein faules Stück Dreck bin, dachte Linus, während sein Kopf auf dem Fensterbrett lag. Er beobachtete den Sternenhimmel und dachte an Ruben. Er schloss die Augen. Sah die strahlend grünen Augen vor sich. Das atemberaubende Lächeln. Verzweifelt versuchte er, sich an den Geschmack von Rubens Lippen zu erinnern, doch es war schon zu lange her, dass er die Lippen seines Freundes auf seinen eigenen gespürt hatte. Er schlug lautlos gegen die Wand und wendete sich ab. Linus trank noch einen Schluck von seinem Jacky-Cola und verzog das Gesicht. Es war widerlich, doch er wollte aufhören, zu denken. Aufhören zu fühlen. Nur Drogen konnten das schaffen – halbwegs.
„Alles gut, Bro? Komm-" Timo griff nach dem Arm seines Kumpels und half ihm auf. Dann nahm er ihm das Glas ab und stellte es weg. Sie setzten sich aufs Bett. „Genug getrunken für heute." Sanft lächelte er seinen Freund an. Die Jungs unterhielten sich, doch Linus war noch immer in seinen Gedanken gefangen, also saß er nur unbeteildigt da und starrte ins Leere.
„Das ist doch scheiße", unterbrach er plötzlich das Gespräch der Anderen.
„Was genau meinst du?"
„Alles", antwortete der Junge, ohne seine Freunde anzusehen. „Das ganze Leben. Es ergibt keinen Sinn. Keinen. Alles ist so verdammt sinnlos. Wieso kapiert das keiner?"
„Es gibt einen Sinn im Leben", sagte Leo lächelnd und stellte sein Glas weg.
„Und der wäre?" Skeptisch erwiderte Linus den Blick.
Leo zuckte gelassen mit den Schultern. Ihr habt keine Ahnung, dachte Linus.
„Spaß haben, glücklich sein. Jemandem Liebe zu schenken."
„Der Sinn des Lebens, ist leben", ergänzte Timo.
„Du sagst es!", grinste Leo.
„Und wenn ich das nicht kann?"
Für einen Moment herrschte Stille. Die Blicke seines Freunde klebten für an ihm, bis Leo sich zu ihm lehnte, seine Hand auf Linus' Schulter legte und ihm diesen einen, ganz besonderen, Blick gab.
„Du hast doch jemanden zum Lieben", zwinkerte er.
„Chanelle", meinte Timo gedehnt und schnalzte mit der Zunge. Linus' Herz zog sich zusammen, als er diesen Namen hörte. Er blickte Leo an, welcher offensichtlich nichts verraten hatte. Tief seufzte Linus. Er ließ sich auf den Rücken fallen und legte den Arm über sein Gesicht. Alles war schwarz. Nichts Neues, dachte er bitter.
„Nein", murmelte er.
„Hä? Liebst du sie denn nicht?"
„Ich habe Schluss gemacht", gab Linus endlich zu. Er richtete sich wieder auf und blickte in braune Augen, welche ihn verwirrt musterten. Genervt verdrehte er die Augen. Er wartete auf die Frage. Und wurde nicht enttäuscht.
„Warum?", fragte Timo.
„Weil ich schwul bin vielleicht?", meinte Linus, als sei Timo der dümmste Mensch auf Erden. Sie wussten es schließlich von Anfang an. Schon immer. Aber dann...
„Wie jetzt?"
„Ja, man, ich bin schwul. Und Schwulis wie ich stehen halt auf Leute, die nicht weiblich sind." Er deutete auf sich und seine Freunde.
„Sie wollte Sex und ich habe Panik bekommen", erklärte er. „Ich hab geschrien, dass ich schwul bin, zwei oder drei Mal. Dann bin ich abgehauen."
Er schloss die Augen wieder, denn er hatte sich dazu entschlossen, dass er den Blick seines Freundes doch nicht sehen wollte. Er hörte, wie Timo kurz lachte, aber dann verstummte er. Plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Arm.
„Ist okay, Li. Wir lieben dich so, wie du bist, kapiert? Ist doch egal, wen du liebst. Hauptsache du liebst."
Die Worte seines Freundes brachten ihn zum Lächeln. Es erwärmte sein Herz.
„Aber ich bin trotzdem froh, dass du kein so ein schwuler Schwuli bist", fügte Timo grinsend hinzu. Und ruinierte so – wie immer – den Moment.
„Ich wünschte, ich könnte einfach meine komplette Vergangenheit vergessen. Die Seiten aus dem Buch heraus reißen und verbrennen", murmelte Linus und wischte sich frustriert übers Gesicht.
„Das geht leider nicht, Süßer", begann Leo, wurde dann jedoch von dem Braunäugigen unterbrochen.
„Wir können dir ja ein paar Mal auf den Kopf hauen."
Leo verdrehte die Augen und stöhnte genervt, als er Timo zur Seite drückte.
„Ich meine, du kannst, wenn dann, nur das ganze Buch ins Feuer werfen."
„Toll, danke für den Tipp."
„Geht's dir gut, Alter?", fragte Timo dann. Besorgtheit lag in seiner Stimme.
„Ja, mir geht's gut ... Also ... naja..." Er seufzte tief. „Ich bin zumindest ... hier."
„Und in ein paar Monaten bist du immer hier mit uns und wir werden richtig viel krasse Scheiße erleben. Das wird so geil, man!", schwärmte Leo.
„Nein", flüsterte Linus. „Ich werde nicht-"
Er verstummte, denn seine Freunde machten Pläne für ihre geile Zeit. Sie hörten ihm nicht zu. Und Linus war froh darüber. Ein falscher Schritt. Ein einziger falscher Tritt, dachte Linus. Ein Schritt, aber es ist so verdammt schwer. Der Junge blieb stumm und versuchte das Gespräch der anderen Beiden auszublenden. Nicht, weil er mit seinen Gedanken alleine sein wollte – das wollte er nie. Er versuchte stets, genau das zu vermeiden. Er wollte nur nicht hören, wie seine Freunde eine Zukunft kreirten, welche niemals wahr werden würden. Er schloss die Augen und lächelte. Irgendwann wird das alles aufhören. Irgendwann wird es besser. Irgendwann wird es aufhören wehzutun. Es wird einfach werden. Bald, dachte er. Und lehnte sich lächelnd zurück.
:(:
Ein recht kurzes, aber meiner Meinung nach unglaublich wichtiges Kapitel :) Was ist dein Sinn des Lebens?
904 Wörter
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UPSIDE DOWN :(:
Teen FictionWird überarbeitet ~ And suddenly life flips you upside down, and you find out that this is the right way ~ Linus ist dabei, die zwölfte Klasse zum zweiten Mal zu versauen und somit sein Abitur zu verspielen. Dass seine besten Freunde den Abschluss...