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Linus wollte mit jemandem reden. Er musste mit jemandem reden. Er wusste, dass seine Freunde sofort vom Skatepark zurückkommen würden. Er wusste, dass sie ihm zuhören würden. Er wollte reden, doch er wusste, dass er kein Wort herausbringen würde. Er wusste nicht was er sagen sollte, wie er es beschreiben sollte.

„Um was geht's?", würde Leo fragen. „Was zieht dich runter?" Er hätte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte.

„Alles." Das war das einzige, was ihm dazu einfiel, denn es war die Wahrheit. Linus öffnete die Flasche Wodka, die er von seiner Schwester geklaut hatte und zündete sich einen Joint an. Er schaute sich Bilder an. Kindheitsbilder von sich und seinem Vater. Wie er als vierzehnjähriger dastand, mit stolzem Grinsen und einem Regenbogen auf der Wange, den seine Schwester ihm aufgemalt hatte. Dann erinnerte er sich an die Zeit nach diesem Bild. Er wollte sich nicht erinnern, doch die Bilder in seinem Kopf ließen sich nicht mehr verdrängen. Er trank noch einen Schluck. Und nahm noch einen Zug. Der Junge ließ die Tränen hinaus, denn er dachte, dass er sich danach besser fühlen würde. Doch so war es nicht. Er lehnte seinen Kopf an die Wand und starrte an die Decke. Er war müde, doch er wusste auch, dass seine Freunde ihn sowieso wieder aus seinem Schlaf reißen würden, wenn sie zurückkamen. Schlaf war wie eine Droge für ihn. Nur wenn er schlief war er von seinen endlosen Gedanken befreit. Er dachte immer, er würde sich erholen, doch sobald er aufwachte kamen die Gedanken zurück. Jedes einzelne Mal. Er wischte sich hastig die Tränen weg, als er Frauenstimmen hörte.

„Ich räume mal Linus' Wäsche weg. Er macht das ja eh nicht", sagte Melissa mit genervtem Unterton.

Linus versteckte die Wodka Flasche und öffnete das Fenster.

Als die Türklinke heruntergedrückt wurde, wusste er nicht so recht, was er tun oder sagen sollte. Er starrte einfach aus dem Fenster, damit seine Mutter ihn nicht sehen musste.

„Oh, was machst du denn hier? Ich dachte du wärst mit deinen Freunden draußen."

Linus zuckte mit den Schultern und blieb stumm. Er hörte seine Mutter seufzen.

„Manchmal fühlt man sich einfach nicht danach raus zugehen, nicht wahr? Einfach mal alleine sein und seinen eigenen Gedanken nachgehen ist ja auch mal schön", sagte sie. Schön wär's, dachte Linus.

„Mhh", brummte er.

„Linus!", rief Hannah glücklich, als sie sein Zimmer betrat. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn von der Seite, denn er drehte sich nicht zu ihr. Er zwang sich zu einem Lächeln.

„Wann räumen wir endlich das Baumhaus aus?"

Linus fluchte innerlich. Könnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Er war froh um die Ablenkung, doch gleichzeitig würde er sie am liebsten rausschmeißen und wieder in seinen Gedanken versinken.

„Wenn es nicht so heiß ist."

Hannah stöhnte genervt und verdrehte die Augen.

„Und im Winter sagst du dann, wenn es nicht so kalt ist?"

Er reagierte nicht darauf, starrte weiterhin aus dem Fenster auf die Straße.

Er merkte Hannahs kritischen Blick auf sich und drehte sich noch ein wenig mehr weg. Er senkte den Blick und entfernte sich von ihr, doch sie hielt ihn fest.

„Hast du schon wieder gekifft?", zischte sie leise in sein Ohr. Melissa wusste, dass er kiffte, doch Hannah hatte ihrem Bruder versprochen ihr nicht zu erzählen wie viel er wirklich rauchte.

Linus nickte leicht.

„Mum, du kannst später aufräumen, okay? Geschwister Gespräch."

Melissa starrte ihre Kinder an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch sie wusste nicht was, also presste sie ihre Lippen aufeinander, verließ den Raum und ließ die Tür mit leisem Klicken ins Schloss fallen.

UPSIDE DOWN :(:Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt