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Mittwoch, 31. Juli

SEI EHRLICH, BIST DU SAUER AUF MICH? HAB ICH IRGENDWAS GEMACHT?

Müde ließ Linus sich auf sein Bett sinken, als er Rubens Nachricht immer wieder durchlas.

NEIN, DAS HABE ICH DOCH SCHON GESAGT

antwortete er schnell.

WAS IST ES DANN? BIST DU SCHWANGER?

Kurz musste der Ältere grinsen, doch dann seufzte er wieder.

ES IST ALLES GUT, WIRKLICH. ICH BIN NUR MÜDE.

Ruben antwortete darauf nicht. Ich bin so ein verdammtes Arschloch, dachte Linus frustriert. Ich habe Ruben gar nicht verdient. Nur, weil ich meine verflixten Gefühle nicht im Griff habe, tue ich ihm weh. Die letzte Woche hatte Linus Zuhause verbracht – alleine. Er hatte sich nicht danach gefühlt, mit irgendjemandem zu sprechen oder irgendjemanden zu sehen. Vielleicht sollte ich mich einfach umbringen, dachte Linus, während er aus dem Fenster starrte. Nie wieder die Sonne genießen, nie wieder den Wind in den Haaren spüren. Nie wieder Ruben küssen, ihn nie wieder berühren. Nie wieder in der Verzweiflung des ewigen Gedankenflusses versinken. Nie mehr vor Panik weinen. Nie mehr leiden. Linus schüttelte schließlich den Kopf, doch trotzdem malte er sich die verschiedenen Möglichkeiten aus. Erhängen? Definitiv nicht. Von der Klippe springen? Lieber nicht. Überdosis? Zu unsicher. Pulsadern aufschl- ganz sicher nicht! Verzweifelt raufte der Braunhaarige sich die Haare.

„Fuck!", fluchte er frustriert. „Ich halte das nicht mehr aus. Ich halte das nicht mehr aus. Ich halte das nicht mehr aus...", murmelte er immer und immer wieder vor sich hin, in der Hoffnung, endlich herauszufinden, was er dagegen tun sollte. Ich dachte, das würde weggehen, wenn wir erst mal so richtig zusammen sind. Wieso gehen diese Gefühle nicht weg? Wieso bin ich immer noch einsam und depri und ein Arschloch? Argh! Sauer schlug Linus gegen die Wand. Der Schmerz, der sich sofort durch seine Faust zog, befreite ihn ein wenig. Es lenkte ihn ab – also tat er es noch einmal. Er zog sein Handy heraus und öffnete Google. Kurz überlegte er, bevor er „Wieso bin ich so verdammt depressiv?" eingab. Die Suche ergab keine Treffer, die ihm Antworten lieferten, welche er wollte. Also versuchte er es mit „Warum bin ich nicht glücklich?" Auch diese Suchergebnisse stellten ihn nicht im Ansatz zufrieden. Ihm wurden hauptsächlich irgendwelche Meditations- und Motivationsvideos empfohlen. Dann suchte er „Der schnellste Weg, sich umzubringen", schloss Google jedoch noch bevor die Suchergebnisse auftauchten. Er steckte sich seine Kopfhörer in die Ohren, drehte die Musik auf und packte seine Tasche. Block, Stift, etwas zu trinken. Den Brief, welchen er geschrieben hatte, verstaute er in dem Geschenk für Ruben. Er fühlte sich dumm, als er damit durch die Straße lief, denn es war riesig. Er legte das Geschenk vor Rubens Tür, klingelte Sturm und rannte weg. Hinter der Hecke wartete er kurz, nur um zu hören, wie Ruben einen überraschten, glücklichen Laut von sich gab. Dann sprintete Linus – so leise er konnte – los. Er machte sich auf den Weg zu seinem Platz. Die Gedanken wurde er nicht los, sein Kopf wollte einfach nicht frei werden. Als er schon fast am Berg war begannen die Tränen zu rollen. Linus wusste nicht einmal wieso. Er wusste nur, dass er verzweifelt war. Ein verdammt verzweifelter junger Mann, der sich auf die Bank setzte und ins Leere starrte. Wie ein Zombie saß er da, reagierte weder auf Geräusche, noch auf Dinge, die in seinem Blickfeld auftauchten. Er starrte nur geradeaus und rührte sich nicht – stundenlang. Irgendwann zog er seinen Block heraus und zehn Minuten später begann er endlich, etwas aufs Papier zu bringen. Er zog die Flasche aus seiner Tasche und öffnete sie. Gedankenverloren umrundete er den Mund der Flasche mit seinen schlaksigen Fingern. Einige Minuten tat er das, bis er einen großen Schluck des hochprozentigen Schnaps' trank.

UPSIDE DOWN :(:Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt