Kein Abi, keine Abifahrt

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Dad kam, als es schon dunkel wurde. Ich hatte das Essen warm gestellt und der Tisch war gedeckt. Neben dem Teller für ihn hatte ich ein Geschenk von mir und Ally für ihn zum Geburtstag, den er gestern gefeiert hatte. Ich freute mich, das Dad hier war, auch wenn der Anlass nicht grad positiv war.
Als er die Tür aufschloss, begrüßte ich ihn sofort mit einer Umarmung. Ich hatte ihn sehr vermisst, und eigentlich hätte ich ihn erst Wochen später gesehen.
Dad knuddelte mich und brachte mich damit zum Lachen. „Ich hoffe, du hast Hunger. Ich hab Nudelauflauf gemacht", erzählte ich, als er sich Jacke und Schuhe auszog.
„Ich hab einen Bärenhunger", erklärte er und folgte mir in die Küche. Ich stellte den Auflauf auf den Tisch und setzte mich neben ihn.
„Ist das für mich?“ wollte Dad wissen und deutete auf das Geschenk neben seinem Teller. Ich  nickte. „Das haben Ally und ich für dich gemacht. Das Bild hat sie gemalt“ erklärte ich und er rollte zuerst das Bild auf. Ally hatte uns gemalt. Mom, Dad, Kal, sich und mich. „Das ist süß“, lächelte er und packte nun das Geschenk aus, welches ich liebevoll eingepackt hatte. Er betrachtete den Bilderrahmen, welchen Ally und ich bemalt und verziert hatten. Außerdem hatte ich das Foto ausgedruckt, welches wir drei beim letzten Mal in London gemacht hatten, als wir mit ihm das Harry Potter Museum besucht hatten. Sein Lächeln wurde breiter und er schien sich wirklich zu freuen. „Das ist toll“, freute er sich. „Das bekommt einen Ehrenplatz“, versprach er und zog mich nochmal in seine Arme. „Danke Spatz. Ich freu mich riesig.“
Dann fingen wir an zu essen und er fragte mich nach der Schule und so. Es lief alles gut bei mir, dennoch hatte ich ein Anliegen, worüber ich auch noch nicht mit Mama gesprochen hatte. Aber es lag mir schon eine ganze Weile auf dem Herzen. Ich haderte mit mir, es ihm überhaupt zu sagen, oder auf Mama zu warten, sagte es dann aber doch.
„Dad, du weißt doch. Das ich auf die Academy of Art in London gehen möchte“, begann ich und er nickte. Scheinbar spürte er, dass da was kommen würde, denn er zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Ich schaute weg und stocherte in meinem Auflauf herum, der noch vor mir auf dem Teller lag. „Ich will kein Abi machen. Man braucht kein Abi, um auf diese Schule zu kommen und…“, plapperte ich schließlich und wurde auch gleich von Dad unterbrochen.

„Ich will kein Abi machen", war das, was ich als erstes registriere. Ich kannte ihre Pläne, nach London zu gehen und ich wollte sie auch unterstützen, aber der Plan war anders gewesen. Sie war noch keine 18. Nichtmal 17.
„Moment, Moment…“ stoppte ich ihren Redefluss. „Kein Abi? Die Abmahnung war aber eine Andere, Claire“, erinnerte ich sie. Ich war von der Idee alles andere als begeistert.
„Ich weiß Dad, aber so verliere ich ein Jahr. Und ich hab mich auch schon beworben. Und, Dad, sie haben mich eingeladen“, sagte sie ungläubig. „Eine Woche mach meinem Geburtstag. Sie wollen mich kennenlernen.“
Ich blinzelte sie an und zog meine Augenbrauen zusammen. „Was sagt deine Mutter zu deinen Plänen?“ wollte ich wissen. Wenn sie eine Bewerbung geschrieben hatte, hätte jemand von uns unterschreiben müssen.
„Sie weiß nichts davon“, murmelte sie schuldbewusst und ich legte die Gabel auf dem Tisch, sah sie an. „Und wer zum Geier hat deine Bewerbungsunterlagen unterschrieben?“ wollte ich berechtigterweise wissen.
„Ich selber", murmelte sie kaum hörbar und ich wurde sauer.
„Verdammt nochmal, Claire! Du kannst nicht einfach eine Unterschrift fälschen!“ Fuhr ich sie an. Ich konnte es einfach nicht glauben.
„Hab ich doch gar nicht. Ich hab einfach meine Unterschrift drunter gesetzt", rechtfertigte sie sich kleinlaut.
„Das macht es keinen Funken besser! Das kommt gar nicht in Frage, das du da hingehst. Und außerdem ist dir eins klar oder? Kein Abi, keine Abifahrt!“, stellte ich klar und begann den Tisch abzuräumen.
„DAD! Das ist unfair!“ beschwerte sie sich. Aber für mich hatte sich das Thema erstmal erledigt. „Ich diskutiere nicht darüber. Du wirst dein Abi zu Ende machen!“ machte ich ihr klar und mit einem lauten Türknallen verschwand sie im Zimmer. Ich seufzte. Sofort dröhnte laute Rockmusik aus ihren Zimmer und irgendwie konnte ich sie ja verstehen. Sie hatte diesen Traum und ich wollte sie ja auch unterstützen, aber Smilla und mir war es wichtig, das man zuerst die Schule zu Ende brachte. Man brauchte immer einen Plan-B, und ich war mir nicht sicher, ob Claire auch daran gedacht hatte. Als Schauspieler wirklich Erfolg zu haben bedeutete harte Arbeit und dann war da noch diese gute Portion Glück, die man brauchte. Eine Riesenportion wohlgemerkt. Ich bestand darauf, dass die das Abi zu Ende machen würde und ich war mir sicher, das Smilla das ähnlich sehen würde.
Claire würde auch nächstes Jahr noch auf die Academy gehen können. Dafür würde ich sorgen.
Ich schloss murrend die Spülmaschine und griff dann nach meinem Handy. Ich musste Smilla fragen, was ich jetzt tun sollte. Ich wollte keine Entscheidungen ohne sie treffen und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, war das hier Neuland für mich.  Meistens hatte sich bisher immer Smilla mit diesen Auseinandersetzungen rumschlagen müssen, und ich war derjenige, der angerufen wurde. Nun war es anders herum.
Ich schrieb Smilla, ob sie ein paar Minuten Zeit hätte, um zu telefonieren und als Antwort rief sie mich gleich an.
Wie Claire schon gesagt hatte, hatte Smilla keine Ahnung von den Plänen unserer Tochter, die Schule schon früher zu verlassen. Und sie war mindestens genauso geschockt wie ich, als sie von der Unterschrift erfuhr.
Smilla und ich waren uns, wie meistens, einig und ich würde Claire einen Vorschlag machen und hoffen , das sie darauf eingehen würde.
Ich telefonierte noch kurz mit meinem kleinen Schatz, bedankte mich für die schönen Geschenke und verabschiedete mich.
Dann wagte ich mich in die Höhle der Löwin.
Ich klopfte, und wie erwartet hörte sie das Klopfen über die Musik hinweg nicht.
Ich öffnete also die Tür und lugte hinein. Claire saß auf ihrer Couch mit ihrem Tablet auf dem Schoß. Als sie mich erblickte drehte sie sich demonstrativ weg und mache die Musik nochmal lauter. Ich brummte genervt, und schaltete die Bluetoothbox einfach aus.
„Was soll das?“ pampte sie mir entgegen und sah mich genervt an.
„Ich will mit dir reden“ gab ich zurück und setzte mich einfach neben sie.
„Ich aber nicht mit dir", zickte mein Mädchen und ich schüttelte über ihre Bockigkeit den Kopf.
„Ich hab mit deiner Mutter telefoniert", begann ich dann einfach und bekam keine Reaktion von meiner Tochter. Sie war mächtig beleidigt. Sollte sie, dennoch würde ich meine Meinung nicht ändern.
„Wir sind beide der Meinung, das du dein Abi machen sollst“, sprach ich also weiter und sie schaute mich noch finsterer an. „Aber…“ unterbrach sie mich , doch ich hob die Hand und schnitt ihr so das Wort ab.
„Ich rede", machte ich ihr klar, während sie weiter schmollte. „Du wirst weiter zur Schule gehen und an deiner Abifahrt teilnehmen. Und wenn deine Schulnoten weiterhin so gut sind, lassen wir dich zu diesem Vorsprechen gehen.“ Jetzt schaute sie auf und ich hatte ihre Aufmerksamkeit. „Wenn sie dich wollen, kannst du auf die Academy gehen, sobald du dein Abi hast,“ beendete ich schließlich meinen Monolog. Claire atmete tief durch. „Aber, Dad. Wenn sie mich wollen, muss ich annehmen. Ich kann nicht noch ein Jahr warten. Dann hab ich meine Chance vertan und ich brauche mich dort nicht wieder zu melden. Das weißt du doch auch“, kam ihr Widerspruch.
„Ich werde mich darum kümmern, Claire. Wenn sie dich wollen, geben sie dir noch ein Jahr. Auch zwei, wenn es sein muss“, versicherte ich ihr.
„Und wie willst du das anstellen?“ fragte sie kleinlaut.
„Ich hätte dir auch dieses verdammte Vorsprechen organisieren können, ohne, dass du die Bewerbung hättest ausfüllen, oder gar unsere Unterschrift fälschen zu müssen“ erklärte ich. „Dennoch bin ich beeindruckt, das du es alleine zu einem Vorsprechen geschafft hast. Das macht mich schon verdammt stolz“, gestand ich und sie sah mich mit großen Augen an. „Ich dachte immer, du hättest etwas dagegen, dass ich Schauspielerin werden möchte“, gestand sie mir dann.
„Ich habe nichts dagegen, Claire. Im Gegenteil. Es macht mich stolz, das du in meine Fußstapfen treten möchtest. Aber es ist nicht ganz so einfach. Am meisten hatte ich einfach Glück. Und dennoch habe ich mein Studium beendet. Denn macht braucht immer einen Plan-B“, erklärte ich.
„Aber den habe ich doch, Dad“, sagte sie, was mich  überraschte. Damit hatte ich nicht gerechnet.  „Wenn das mit der Schauspielerei nicht klappt, möchte ich eine Ausbildung als Friseurin machen. Dann möchte ich Maskenbildnerin werden.“
Nun war ich es, der sie mit großen Augen ansah. „Du scheinst wirklich zu wissen, was du möchtest“, gestand ich beeindruckt. „Dennoch bitte ich doch darum, dein Abi fertig zu machen.“
„Ja, ich weiß was ich will. Warum also Abi?“ wollte meine Tochter wissen .
„Ganz einfach, weil es dir Türen öffnet. Was ist, wenn du doch noch studieren möchtest? Dann kannst du das tun, ohne vorher nochmal ein Jahr oder Zwei zur Schule zu gehen. Außerdem hast du fantastische Noten. Dir fliegt es doch, ohne großes Zutun einfach zu. Mach was drauß und zeig was du kannst. Und eine abgeschlossene Schulausbildung sieht immer tausend Mal besser aus, als eine abgebrochene. Und dann bist du 18 und kannst tun, was immer du möchtest. Selbst wenn wir es dir erlauben würden, schon diesen Sommer nach London zu gehen. Wer hätte dort ein Auge auf dich? Ich bin oft nicht da, und deine Mom ist hier. Ein fester Wohnsitz allein reicht nicht“, erklärte ich und hoffte, das sie verstand.
„Ok….“, kam es schließlich von ihr und ich lächelte. „Aber wie schaffst du es, das sie ein Jahr auf mich warten?“, wollte sie dann doch wissen.
„Ich habe die Schule schon bei einigen Projekten unterstützt, und wenn ich will, das meine Tochter auf diese Schule geht, dann würden sie dich lassen. Einfach weil sie sich mir gegenüber dazu verpflichtet fühlten. Selbst wenn du keinerlei Talent hättest. Umso stolzer bin ich, dass du es so geschafft hast. Wenn auch nicht ganz legal. Du hättest einfach nur mal den Mund aufmachen müssen.“ Ich stubste ihre Nase mit dem Finger an und sie verzog das Gesicht. „Tut mir leid, Dad,“ murmelte sie.
Ich schenkte ihr ein Lächeln. „Angenommen. Dennoch wird das Folgen nach sich ziehen. Über die Strafe werde ich mit deiner Mutter reden“, erklärte ich ihr, denn einfach so davon kommen lassen wollte ich sie nicht. Sie hatte Mist gebaut und würde sich dafür verantworten müssen.
Schließlich erhob ich mich, denn Kal stand winselnd vor mir. Da musste wohl jemand raus.
Ich wollte grad die Tür schließen, als Claire nochmal um meine Aufmerksamkeit bat. „Danke, Dad“, kam es reuvoll von ihr und ich lächelte. „Kein Problem.“ Entgegnete ich und schloss die Zimmertür hinter mir.
Ich ging eine kleine Runde mit meinem Hund, und warf mich dann in bequemere Klamotten. Dann machte es mir auf dem Sofa bequem und tappte durchs deutsche TV Programm.

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