Gedanken

619 20 0
                                    

Mit hochrotem Kopf war ich ins Wohnzimmer geflüchtet und fluchte über mich selbst. Wie, verdammt nochmal, konnte mir sowas passieren? Ich hatte einfach meine Gedanken laut ausgesprochen. Ich war nach Hause gekommen und der erste Blick, der sich mir bot, war Henrys knackiger Allerwertester. Dieser Mann machte es mir unmöglich, noch klar zu denken.
Ich hatte vorhin erst noch mit einer Kollegin darüber gesprochen. Sie kannte Henry nicht, nur von Erzählungen her.
Ich konnte gut mit ihr reden, sie behielt immer alles für sich und gab mir meistens gute Ratschläge.
Als ich ihr erzählt hatte, das Henry da wäre und ich ihn angestarrt und auf den Hintern geglotzt hatte, war ihr Ratschlag einfach nur der Gewesen, dass ich mich darauf einlassen sollte, wenn er ähnliche Gedanken hätte. Das Problem war, dass Henry seine Gedanken meist ganz gut im Griff hatte. Zudem war er Schauspieler, ein verdammt guter wohlgemerkt. Wie sollte ich da merken, was er dachte. Und vor allem, wollte ich das überhaupt? Und WAS genau? Spaß? Alles? Nein, es sollte alles so bleiben, wie es war.

Dennoch ließ er mich nicht kalt. Seine Präsenz hatte einen merkwürdigen Einfluss auf mich. Ich ordnete meine Papiere von einem Stapel auf den Andern, ohne das es Sinn machte. Es sollte mich ablenken, oder sowas, aber es brachte natürlich rein gar nichts.
Ich konnte kaum klar denken und ständig stellte ich ihn mir nackt vor. Oder ich dachte an unsere letzte gemeinsame Nacht. Auch wenn sie über sechs Jahre her war, erinnerte ich mich an jede Einzelheit. An die Gänsehaut, die ich hatte, als er mit den Fingerspitzen über meine nackte Haut gewandert war. Oder an die Küsse, die er auf meinen Körper verteilt hatte, mit seinen weichen Lippen.
Ich pustete Luft aus meinen Lungen und grummelte vor mich hin. Das war doch albern. Wir kannten uns nun schon so viele Jahre und viele Tage hatten wir miteinander verbracht, ohne das ich einen Gedanken an unsere letzte gemeinsame Nacht verschwendet hatte. Wir konnten ganz normal miteinander umgehen, aber jetzt war er für ein paar Tage hier und brachte meine ganzen Gedanken durcheinander. Ich atmete noch einmal hörbar durch und beschloss nun, mich zusammen zu reißen.
„Lucy ist hier, ich hoffe das ist in Ordnung für dich", riss mich Henry aus meinen Gedanken und ich fuhr erschrocken herum. „Was?“ fragte ich, weil ich es erst nicht registrierte. „Lucy? Ja natürlich“, fügte ich dann schnell hinzu und lächelte leicht. Jetzt hörte ich die Mädchen  auch oben poltern.
„Ally scheint der Gips überhaupt nicht zu stören“, plauderte Henry und ich war dankbar für die Ablenkung und die Normalität. „Ist mir auch aufgefallen. Sie hat auch überhaupt keine Schmerzen mehr. Ich hoffe, sie passt dennoch ein bisschen auf“, gab ich zu bedenken.
„Das hoffe ich auch. Allerdings habe ich sie nochmal dran erinnert“, lächelte er. „Ich hab Kaffee gekocht. Möchtest du?“
„Gerne", lächelte ich und begab mich mit ihm in die Küche. Kal lag mitten im Raum und schnaufte. Ihm schien es gut zu gehen. „Warum hast du vorhin den Boden gewischt?“, fragte ich Henry, als ich mich daran erinnerte, wie ich ihn vorgefunden hatte.
„Der Bär ist mir beim Reingehen entwischt und hat hier alles eingesaut. Inklusive meiner Klamotten, als er sich geschüttelt hat“, erzählte er schmunzelnd und ich kicherte leise. Der besagte Bär erhob sich schwerfällig und kam zu mir, wo er sich ausgiebige Kraul- und Streicheleinheiten abholte.
Pünktlich um halb sieben wurde Lucy von ihrer Mutter abgeholt. Während wir auf die Mädchen warteten, die sich nicht losreißen konnten, stand Monika, ihre Mutter mit uns in der Küche und warf Henry verführerische Blicke zu. Sie flirtete offensichtlich mit ihm und ich hätte beinahe gekotzt. Henry ging auf ihre Flirtversuche jedoch gar nicht ein, sondern blieb distanziert, aber freundlich wie immer. Monika war seit gut einem Jahr von ihrem Mann getrennt und sie schien gnadenlos untervögelt zu sein. Aber an Henry würde sie sich die Zähne ausreißen, da war ich mir sicher. Ein bisschen schadenfroh machte es mich ja schon.
Endlich kamen die beiden Mädchen die Treppe herunter gepoltert und liefen noch lachend in der Küche umher, bis Henry seine Tochter einfach vom Boden plückte und sie auf die Kücheninsel setzte. „Lass mich runter, Papa", forderte sie und wollte schon wieder runterspringen, aber Henry hielt sie fest. „Du hast genug getobt für heute. Du musst noch ein bisschen aufpassen“, erklärte er ihr liebevoll. „Du gehörst gleich erst mal in die Wanne.“ Entschied er und stubste ihre Nase an.
Ich verabschiedete Lucy und Monika und brachte sie zur Tür.
„Ich kann gleich Claire holen fahren. Ich hab eh noch was vergessen und muss nochmal los.“ Erklärte ich und Henry nickte. „In Ordnung. Dann sehe ich zu, das unser kleines Monsterchen was zu futtern bekommt und wasche ihr dann den Unsinn aus dem Kopf", scherzte er und wuselte Ally durch den rotblonden Schopf. Sie kicherte und hielt seine Hand fest, als er diese wegzog. „Nochmal“, forderte sie und Henry tat, worum er sie gebeten hatte. Dann hob er sie hoch und trug sie zum Kühlschrank. „Was will das Monsterchen essen?“ Fragte er sie, während ich ein wenig aufräumte, bevor ich losmusste.
„Burger und Pommes!“ rief sie. „Nein, Spatz. Sowas fettiges bekommst du nicht mehr so spät. Du bekommst davon höchstens Bauchweh“, erklärte er ihr. Henry achtete immer auf eine ausgewogene Ernährung. Er wollte nicht, das seine Mädchen mit Figurproblemen kämpfen mussten, so wie er damals. Er verboten ihnen nichts, aber er achtete auf Menge und Zeit.
„Dann will ich Quark und Erdbeeren", entschloss meine Kleine und Henry gab ihr, worum sie bat.
„Ich fahr dann mal“, sagte ich, während Henry die Erdbeeren klein schnitt. „Bis gleich Mami", kam es von Ally. „Bis gleich, Mami“ kam es ebenso von Henry und er grinste mich an. „Spinner“ lachte ich und fuhr los, meine Post in den Briefkasten zu werfen und unsere älteste Tochter abzuholen.
Als wir zurückkamen hörten wir Ally oben lachen. Claire verzog sich in ihr Zimmer und ich ging nach oben, um nach meiner Wasserratte zu schauen. Ich hoffte, das Henry den Arm gut eingetütet hatte, damit der Gips nicht durchweichte.
Als ich die Badezimmertür öffnete kniete Henry mit nacktem Oberkörper vor der Badewanne und schäumte lachend die Haare und das Gesicht unserer Tochter ein. Ich schluckte bei dem Anblick, denn ich hatte Henry bei weitem nicht so massig in Erinnerung. Mir war bewusst, das er breiter geworden war, aber nun die Muskeln unter seiner Haut sehen zu können raubte mir fast den Atem.
„Guck Mami, ich bin ein Schaummonster", lachte unsere Kleine. Henry schaute zu mir herüber und schenkte mir ein Lächeln, was meine Knie weich werden ließ. Ally pustete den Schaum von ihrem Gesicht, der dann in Henrys Gesicht landete und uns alle schließlich zum Lachen brachte.
Ich ließ die beiden alleine und ging runter. Holte mir den Salat und das restliche Hühnchen aus dem Kühlschrank. Das Hähnchen schnitt ich klein und gab es in den Salat, welchen ich dann aus der Schüssel futterte.

FamilienbandeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt