Zurück in London

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Zwei Wochen später verabschiedeten Ally und ich, Henry und Claire am Flughafen. Henry hatte mich nach langen hin und her überzeugt, dass er es mit Claire alleine schaffen würde. Der Arzt, zu dem ich ihn geschliffen hatte, war mit der Wundheilung  zufrieden und erlaubte ihm bereits kürzere Spaziergänge.
„Warum darf ich nicht mit zu Daddy?“ fragte Ally beleidigt, als wir ihren Vater und ihre Schwester zum Flughafen brachten. „Weil dein Daddy noch nicht wieder gesund ist“, hatte ich ihr wiederholt erklärt. „Aber Claire darf auch“, bockte unsere Kleine. „Weil sie doch in ihre neue Schule gehen muss“, erklärte nun Henry. „Bald kommst du auch mit Mami. Es dauert nicht mehr lange“, versprach er.
„Vergiss bitte nicht, die Papiere zum Kindergarten zu bringen", bat ich Henry, nachdem sein und Claires Gepäck aufgegeben war. „Mach ich nicht. Versprochen“, versicherte er mir und zog mich an sich. „Und du, pass auf euch drei auf. Übertreib‘s nicht, ok?“ bat er mich.
„Versprochen“, lächelte ich und gab ihm einen Kuss. Sanft strich er über meinen Bauch. Gestern noch waren wir beim Arzt gewesen. Die kritischen 12 Wochen waren nun vorüber und ich war nun im zweiten Trimester. Das Ultraschallbild hatte er natürlich wieder eingesackt. Immerhin hatte er mir die ersten beiden wiedergegeben.
Er schloss die Arme um mich und drückte mich nochmal an sich. Dann wand er sich Ally zu, hockte sich vor ihr hin. „Und du bist schön artig, hörst auf Mama und passt auf sie auf, verstanden?“ „Jap“, machte sie und schlang ihre Ärmchen um den Hals ihres Vaters.
Ich zog Claire in meine Arme. „Viel Erfolg in der neuen Schule. Ruf mich unbedingt an, und berichte, wie der erste Tag war, ja?“ bat ich sie. „Mach ich, Mama. Pass auf dich auf.“ Ich lächelte und drückte sie an mich. „Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch, Mama“, lächelte sie.
„Ich liebe Dich", sagte ich Henry, als er mich noch einmal an sich zog. „Ich dich auch, Honey. Werd dich vermissen.“ Ich lächelte und dann verschwanden die beiden. Ally winkte, bis sie sie nicht mehr sehen konnte.
Ally und ich fuhren nach Hause und schon jetzt kam es mir viel zu leer und ruhig vor. In den letzten zwei Wochen hatten wir viel geschafft. Ich hatte auch schon einen Nachsendeantrag bei der Post gestellt, der in zwei Wochen beginnen würde. Bis dahin sollte ich das meiste erledigt haben. Die meisten meiner Möbel hatte ich ins Internet gesetzt, denn bis auf ein paar Lieblingsstücke, wie der alte Vitrinen Schrank meiner Großmutter, brauchte ich nicht. Vermutlich würden Henry und ich einiges neu kaufen, damit alles nach unserem gemeinsamen Geschmack eingerichtet wurde. Aber auf die Vitrine hatte ich bestanden. Henry hatte zum Glück nichts dagegen einzuwenden. Ihm gefielen alte Möbel ebenso wie mir. Deshalb waren wir uns auch gleich einig, welche Art von Haus unser Traum wäre. Es sollte auf jeden Fall ein großes Grundstück haben, damit Kal viel Auslauf hatte und vielleicht noch ein paar andere Tiere ein Heim bei uns bekommen würden. Henry würde wahnsinnig gern ein Pferd haben. Und wenn es nach Ally ging, sowieso einen ganzen Zoo. Es gab kein Tier, welches sie nicht mochte. Sogar Spinnen und Käfer fand sie faszinierend. Nur Mücken fand sie grausig.
In den nächsten zwei Wochen würde ich hoffentlich die meisten Möbel verkauft oder verschenkt haben. Ansonsten würde der Rest wohl spätestens zum endgültigen Auszug auf dem Sperrmüll landen müssen. Jedenfalls würde ich in den nächsten zwei Monaten wohl nicht sehr oft hier herkommen. Die wichtigsten Sachen waren bereits größtenteils in Kisten verpackt. Die würde ich gleich mit nach London nehmen. Ich würde dann mit dem Auto rüberfahren, allerdings nicht mit der Fähre. Ich hatte mich bewusst für den Tunnel entschieden. Ohne Henry würde ich das nicht überleben.

Ich schloss die Tür zu meinem Haus auf und Kal lief sofort hinein, checkte ob alles in Ordnung war. Claire stellte meinen Koffer an die Treppe und holte dann ihren. Es kotzte mich an, das meine Tochter meinen Kram schleppen musste, aber was sollte ich machen? Ich musste so schnell wie möglich wieder fit sein, hätte eigentlich schon längst mit meinem Workout beginnen müssen. Ich hing nach, würde es aber irgendwie hinbekommen.
Smilla würde in zwei Wochen nachkommen und da sag die ganze Sache sicher schon ganz anders aus.
„Dad, kann ich heute Abend noch ausgehen?“ fragte mich Claire. Mir war klar, das sie zu ihrem Freund wollte. Ich war längst dahintergekommen, wovon sie keine Ahnung hatte.
„Du kannst ihn auch gern hierher einladen", sagte ich nur und stellte Kal Futter und Wasser hin.
„Wen denn?“ tat sie, als wüsste sie nichts.
„Na deinen Freund. Ian, oder? Glaubst du ich weiß nichts davon?“ schmunzelte ich.
„Mom hats dir verraten?“ kam es schnaufend von ihr.
„Mom hat gar nichts. Ich bin nicht doof, Claire. Meinst du ich bekomme nichts mit? Sie hat mir lediglich den Namen gesagt.“
Nun biss sie sich verlegen auf der Unterlippe herum, was sie eindeutig von ihrer Mutter hatte. „Ich möchte ihn gern kennenlernen. Und dann könnt ihr immer noch los“, schlug ich vor und Claire nahm ihr Handy und verschwand tippend in ihr Zimmer. Ich schüttelte amüsiert den Kopf.
Ja ich wollte einen Blick auf den Jungen werfen, der es geschafft hatte, meiner sonst so taffen Tochter den Kopf zu verdrehen. Wenn er nicht anständig wäre, würde ich ihn hochkant aus dem Haus werfen.
Mir war klar, dass es etwas dauern würde, bis Claire wieder aus ihrem Zimmer kam. Also setzte ich mich daran, die Papiere auszudrucken, damit ich Claire hier anmelden konnte. Ich füllte die Papiere aus und es wartete nur noch ihre Unterschrift. Die Papiere für Allys Kindergarten legte ich gleich dazu, damit ich nichts vergaß. Wahnsinn, an was man alles denken musste. Das Kinder soviel Papierkram bedeuteten war mir bisher nie bewusst gewesen.
Für mich begann nun auch ein ganz neues Leben und ich war ein bisschen aufgeregt deswegen. Nie hatten wir alle so lange aufeinander gehockt. Aber die Ferien waren eine gute Probe gewesen und ich erlaubte mir, zu sagen, das alles bestens geklappt hatte. Ich freute mich auf ein Zusammenleben mit meinen Töchtern. Und ein Leben mit Smilla an meiner Seite.
Leider hatte ich noch immer keine Mail von der Maklerin bezüglich des Hauses. Stattdessen trudelten immer mehr Angebote ein. Alles, was Smilla noch nicht gesehen hatte, schickte ich gleich an sie weiter.

„Claire, ich geh eine Runde mit Kal!“ rief ich irgendwann zu ihr hoch. Ich hörte ihre Zimmertür. „Du sollst doch nicht alleine mit ihm laufen,“ erinnerte sie mich. „Dann wirst du wohl mitkommen müssen!“
„Können wir nicht später gehen?“ fragte sie und ich schaute auf meinen Hund.
„Ich glaube nicht.“
„Ja, ok. Moment.“ Die Tür schloss sich wieder und ich zog schon mal meine Schuhe an, wartete dann auf mein wertes Töchterlein, die mal wieder viel Zeit hatte.
Kal sah mich erwartend an und winselte kurz. „Sag das nicht mir. Claire kommt nicht in die Hufe", rechtfertigte ich mich. Kal sah zur Treppe und bellte zweimal.
„Jaha..“ kam es von oben und endlich kam meine Tochter runter. Kal eilte sofort zur Haustür und als ich sie öffnete schoss er auch schon raus. Ich zog ihn zurück. „Kal, Fuß" forderte ich ihn und er setzte sich brav zu meinen Füßen hin, während ich die Haustür abschloss.
„Soll ich ihn nehmen?“ fragte Claire und ich reichte ihr sie Leine. Wir gingen Richtung Park, der nur ein paar Gehminuten von meinem Haus entfernt war.
„Ian holt mich später ab. Er wird reinkommen und sich vorstellen", erwähnte Claire nebenbei und ich lächelte. „Gut", sagte ich. Ich war echt gespannt auf den Jungen. Was für einen Geschmack sie wohl hatte? Er war 2 Jahre älter als meine Tochter und da ich wusste, was man mit 19 für Gedanken im Kopf hat, musste ich sichergehen, das er anständig war. Meine Eltern hatten mich zwar auch anständig erzogen, aber dennoch war ich unvorsichtig gewesen, damals. Zum Glück, so wusste ich von Smilla, nahm Claire die Pille. Ich schüttelte den Gedanken ab. Ich wollte nicht daran denken, dass…. „Wie ist er denn so?“ Fragte ich, um mich abzulenken.
„Dad…“ maulte sie und ich fing an zu lachen. „Ist schon gut. Ich reiß mich zusammen. Versprochen“ ich legte den Arm um sie und drückte ihr einen Kuss an die Schläfe.
„Danke. Ich will nicht, das es peinlich wird“, gestand sie.
„Na wer will das schon. Meinst du ich fand es prickelnd, meine neue Freundin vorzustellen? Mom und Dad waren harmlos, aber meine Brüder können mehr als peinlich sein" erzählte ich lachend. „Ich weiß. Ich kenne die bescheuerten Typen. Und du bist einer davon“, kicherte sie.
„Du bist wirklich frech“, empörte ich mich. „Also erzähl mir von ihm, oder ich muss ihn nachher mit Fragen durchlöchern", warnte ich sie amüsiert. „Du ersparst mir nichts, oder? Jetzt wünschte ich, Mama wäre hier.“
Ich lachte. „Na komm so schlimm bin ich nicht.“
„Wir werden sehen.“, kicherte sie. „Also, was willst du wissen?“
„Was macht er so? Studiert er, oder geht er arbeiten?“ fragte ich.
„Beides. Ich hab ihn im Madame Tussauds kennen gelernt. Er verdient sich dort was neben dem Studium. Er studiert Film und Literatur“, begann sie.
„Klingt interessant. Was will er denn mal machen?“
„Er will Regisseur werden. Also das ist sein Traum. Er nimmt Kurse an der Academy.“
Ich musste zugeben, das mich das ein wenig beeindruckte. "Und wenn das nicht klappt? Als Regisseur meine ich“, wollte ich wissen.
„Keine Ahnung. Haben wir noch nicht drüber gesprochen. Man hat seine Träume vor Augen, die man anstrebt. Da denkt man nicht an deinen 'Plan-B' ", setzte sie in Anführungszeichen. Und ich musste ihr da Recht geben. Ich hatte auch nur mein Ziel vor Augen gehabt und es nie verloren. Ich nickte. „Und was treibt er sonst so?“ fuhr ich meine Befragung fort.
„Er dreht kleine Filme, hobbymäßig. Und das was alle neunzehn Jährige so tun. Was hast du so gemacht?“ fragte sie und ich merkte, dass ihr die Fragerei nervte. „Viel getrunken und deine Mutter geschwängert“, erinnerte ich sie.
„Man Dad! Schieb keine Panik. Wir sind noch nicht so weit. Also, ich bin es noch nicht“, wehrte sie ab und ich sah sie einfach an, wartete ob da noch was kommen würde. „Ich bin noch Jungfrau und habe nicht vor, es heute Nacht zu ändern. Bist du jetzt zufrieden?“ brummelte sie und wurde rot.
Ich lachte leise. „Ja bin ich. Und jetzt lass uns nach Hause gehen. Ich kann nicht mehr“,  gestand ich, drückte sie nochmal an mich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, den sie sich trotzig wegwischte. „Manchmal bist du doch peinlich“, kicherte sie und ich lachte. „Natürlich. Ich bin dein Dad“, sagte ich, als sei es die einzig vernünftige Erklärung. „Und du hast mal wieder eine Rasur nötig. Du kratzt“, beschwerte sie sich. „Nö. Keine Lust“, gab ich grinsend zurück und war froh, dass wir Zuhause ankamen. Das war doch anstrengender gewesen, als gedacht.
„Ich mach uns was zu Essen", erklärte Claire und werkelt schon in der Küche rum. Ich legte mich aufs Sofa und ruhte mich ein bisschen aus, machte den Fernseher an. Ich überlegte, mich heute Abend mal wieder seit langen an meinen PC zu setzen, um zu zocken. Das hatte ich ewig nicht gemacht. Und wenn ich schon alleine war, und nichts anderes machen konnte, wäre das eine gute Möglichkeit.  

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