Streit

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Für heute hatten wir Freizeit. Marina und ich wollten mit ein paar anderen Mädels die Stadt unsicher machen. Zum Mittag würde ich mich mit Dad treffen.
Als erstes steuerten wie eine Drogerie an, in der Marina ihren Test bekommen würde. Während sie unsere Freundinnen ablenkte, kaufte ich schnell den Test für sie und verstaute ihn in meiner Tasche.
Wir schlenderten durch die Mall und machten uns dann auf den weg zum Hide Park. Das Wetter war herrlich und nicht klischeehaft verregnet. London war gar nicht so verregnet. Nicht viel mehr als bei uns. Ich verstand sie Leute nicht, die das immer sagten. Wir suchten uns einen schönen Platz auf der Wiese und ich schickte Dad meinen Standort, damit er wusste, wo er mich abholen sollte.
Mike und ein paar seiner Kumpels gesellten sich später zu uns. Mike setzte sich neben mich, was mich schon ein wenig wunderte. In der Schule war ich bisher Luft für ihn gewesen.
„Muss doch eigentlich langweilig für dich sein, wenn du schon alles kennst, oder?“ wollte Mike wissen und ich verneinte. „Überhaupt nicht. Ich liebe London. Ich bin hier genauso Zuhause, wie in Deutschland auch. Ich kenne hier fast jede Ecke und trotzdem entdecke ich immer wieder Neues“, schwärmte ich und Mike lächelte. Ich bekam weiche Knie und war heilfroh, zu sitzen. Sein Lächeln war einfach zum Dahinschmelzen.
Wir unterhielten uns ganz gut und auch eine ganze Weile. So dass ich Dad beinahe vergessen hatte. Bis mich eine kalte Hundenase anstubste. „Kal!“, freute ich mich und knuddelte Dads Hund. Ich drehte mich um, und da stand Dad an seinem Wagen und winkte mir zu. Kal stiefelte zwischen meinen Freunden hin und her und machte sich bekannt. „Leute , ich muss los. Wir sehen uns später“, verabschiedete ich mich fürs erste und pfiff Kal zu mir, der sofort angerannt kam. Ich hörte noch wie Ariana sagte, das mein Dad verdammt viel Ähnlichkeit mir Henry Cavill hätte. Ich tat, als würde ich es nicht hören und begrüßte meinen Vater mit einer Umarmung. Wir stiegen ein und fuhren los. Dad fuhr uns zu unserem Lieblingsitaliener. Er sah wirklich ziemlich verschnupft aus. Seine Nase war rot und seine Stimme hörte sich an, als hätte er gesoffen. „Du hättest auch Zuhause bleiben können. Du siehst müde aus“, stellte ich fest, aber er winkte ab. „So schlimm ist es nicht. Und ich wollte dich gern sehen. Wer weiß, wie voll unsere Terminkalender in den nächsten Tagen sind“, zwinkerte er mir zu und er hatte recht. Ich hatte ihn ja auch sehen wollen. Wir setzten uns nach draußen, damit Kal bei uns bleiben konnte. Er legte sich zu meinen Füßen.
Ich bestellte meine Lieblingsnudeln. Tortellini in Schinken-Sahne-Soße. Hier gab es die besten weltweit. Na gut, vielleicht nicht weltweit, aber die besten, die ich je gegessen hatte.
„Wer war der Junge, mit dem du vorhin gesprochen hast?“, fragte mich Dad irgendwann und ich seufzte. Bitte nicht. „Mike. Ein Junge aus meiner Parallelklasse", erklärte ich knapp. „Hast dich gut mit ihm unterhalten“, schlussfolgerte er.
„Ja, es war nett.“ Ich hatte keine Lust auf diese Gespräche mit ihm.
„Nur nett?“ er zog eine Augenbraue in die Höhe und ich seufzte. „Dad, bitte", flehte ich und schob mir noch eine Nudel in den Mund. „Steht er auf dich?“ wollte er dann wissen.
„Boar, Dad. Keine Ahnung. Wir haben gestern zum ersten mal miteinander geredet.“ Erklärte ich genervt und er hob abwehrend die Hände. „Bin ja schon ruhig.“ Ich nickte und aß meine Nudeln auf. „Darf ich noch Nachtisch?“ fragte ich und lugte in die Karte. „Klar“, kam es von Dad. „Bestell mir Tiramisu mit, ok?“ bat er mich und verschwand Richtung Toiletten. Die Kellnerin räumte unsere Teller ab und ich bestellte unseren Nachtisch.
Das Tiramisu war mal wieder göttlich, doch ich war satt und bekam es nicht auf. „Magst du noch? Ich krieg nichts mehr runter“ fragte ich Dad, doch er lehnte ab. „Danke, ich bin auch voll. Und was habt ihr für die nächsten Tage noch geplant?“ wollte er wissen und ich erzählte. „Heute wollten die Mädels noch ein bisschen bummeln gehen. Und morgen ist Madame Tussauds dran. Übermorgen das übliche Touristenprogramm. Big Ben, Tower, Buckingham Palast und was man noch alles zu Fuß erreichen kann. Ich glaube, wir gehen auch irgendwo rein, aber keine Ahnung wo.“
„Klingt doch toll. Keine Langeweile“, lächelte er. Ich entschuldigte mich und verschwand kurz zum Klo. Als ich zurückkam hielt er den Schwangerschaftstest für Marina in der Hand. Scheiße.
„Du bist schwanger?“ fauchte er mir entgegen, aber so, das es niemand mitbekam. „Nein! Bin ich nicht. Wühlst du in meinen Sachen? Spinnst du?“ ich riss ihm den Test aus der Hand und stopfte ihn zurück in meine Tasche, nahm diese dann an mich.
„Wenn nicht du, wer dann?“ forderte er zu wissen, doch ich würde dicht halten. „Das geht sich gar nichts an!“ fauchte ich.
„Und ob mich das was angeht. Ins Auto!“ befahl er und stand auf. Ich schnaufte und folgte ihm trotzig hinterher. Ich konnte nicht fassen, das er meine Tasche durchwühlt hatte.

Ich hatte nicht in ihre Tasche sehen wollen, doch ich sah diese Schachtel. Erst dachte ich, dass sie vielleicht heimlich rauchen würde. Doch dann das. Ein Schwangerschaftstest . Mein Herz rutschte in die Hose und ich starrte auf diese verdammte Schachtel.
Auf die Frage, ob sie schwanger wäre, fauchte sie mich an. Das würden wir nicht hier ausdiskutieren. Bezahlt hatte ich bereits, also gingen wir.
Im Auto angekommen sah ich sie herausfordernd an, doch sie schwieg. „Rede!“ forderte ich. „Da gibt’s nichts zu reden. Du durchwühlst meine Sachen! Was fällt dir ein?“ wollte ich wissen.
„Solange du nicht volljährig bist, kann ich so oft deine Sachen durchwühlen, wie ich das für richtig halte!“ ich war sauer. Aber so richtig. Sie weichte mir aus, und das machte mich rasend. „Verdammt, Claire. Jetzt sag mir, für wem dieser scheiß Test ist!“ brüllte ich ihr entgegen. „Einen Scheiß werde ich!“ fuhr sie mich an und stieg aus meinem Wagen. „Claire!! Steig ins Auto!“ rief ich ihr wütend entgegen.
„Nein, Henry! Lieber laufen ich!“ Autsch, das hatte gesessen. Sie hatte mich bei meinem Vornamen benannt. Scheiße, verdammt! Ich fluchte lautstark, setzte mich zurück ins Auto. Claire war schon Richtung Underground und mir war klar. Das sie sich jetzt auf keinen Fall wieder zu mir ins Auto setzen würde.
Also fuhr ich nach Hause. Das ich unterwegs von einem Blitzer erwischt wurde, war mir scheißegal.
Ich sah auf die Uhr. Mit etwas Glück hatte Smilla schon Feierabend. Ich wählte ihre Nummer. „Hey, Hast du Sehnsucht?“ Hörte ich ihre gut gelaunte Stimme und ich seufzte. „Das auch, aber eigentlich... “, fing ich an. „Oh, oh. Das klingt irgendwie nicht gut. Was ist los?“, fragte sie sanft und ich setzte mich. Ich rieb mir übers Gesicht. „Claire und ich hatten einen Streit. Wir waren essen. Und als sie zur Toilette gegangen ist, hab ich eine Schachtel in ihrer Tasche gesehen…“ „Du hast ihre Tasche durchwühlt?“ unterbrach sie mich geschockt. „Nein…. Ja… Ich wollte nicht, aber ich hab die Schachtel gesehen. Smilla, es war ein Schwangerschaftstest“, stotterte ich. Ich war total aufgewühlt und durcheinander. „Schwangerschaftstest? Bist du dir sicher, das es ihrer war?“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, das sie den Ernst der Lage nicht erkannte.
„Nein. Ich hab sie gefragt, und sie hat es abgestritten. Aber sie wollte nicht sagen, wem er gehört. Smilla, ich will noch kein Großvater werden", jammerte ich. Nein, dafür war ich eindeutig noch nicht bereit!
„Henry, reg dich ab“, kam es beruhigend von ihr. Abregen? Hörte sie mir überhaupt zu? „Wenn sie sagt, dass es nicht ihrer ist, dann wird das auch so sein.“
„Und was macht dich da so sicher?“ fragte ich kleinlaut. Ich war immer noch sauer und aufgebracht. „Hey. Wenn du Stress mit deiner Tochter hast. Lass das nicht an mir aus.“
Ich seufzte. „Tut mir leid, ich weiß grade einfach nicht wohin mit mir“, entschuldigte ich mich.
„Vertrau ihr. Soweit ich weiß hat sie keinen Freund. Und außerdem nimmt sie die Pille“, hörte ich sie sagen. „Pille? Warum zum Geier nimmt sie die Pille? Seit wann? Und warum weiß ich das nicht?“, pflaumte ich sie an. „Weil es Mädchenkram ist, Henry. Sie nimmt sie schon seit fast zwei Jahren. Weil sie immer Schmerzen während ihrer Periode hatte. Sonst noch was?“, erklärte sie und ich hörte, das auch sie jetzt angepisst war. Ich wollte mich nicht streiten.
„Sie ist sauer auf mich“, murmelte ich nun. „Zu recht. Du hättest ihre Sachen nicht durchwühlen dürfen.“ Sie klang vorwurfsvoll.
„Hab ich doch gar nicht. Ich hab nur…“ ja was eigentlich. „Ach scheiße!“ wir schwiegen einen Moment.
„Sie hat mich Henry genannt“, verriet ich nun. Das hatte mich am meisten getroffen.
„Autsch“, murmelte sie. Ja das traf es ganz gut.
„Hör zu. Du kommst jetzt langsam runter, und ich werde mit ihr reden“, schlug sie vor, und vermutlich hatte sie recht.
„Danke Smilla. Es tut mir Leid. Ich beneide dich. Wie schaffst du es immer, so locker dabei zu sein? Ich wäre wohl kein besonders guter Vollzeitdad“, gab ich zu Bedenken.
„Das ist doch Quatsch. Du bist ein toller Dad. Und jeder Vater kommt bei einem Teeny Mädchen an seinen Grenzen. Auch ich manchmal. Sie vertraut mir nur mehr an“, besänftigte sie mich.
„Wird sie mir verzeihen?“ irgendwie hatte ich da meine Zweifel.
„Natürlich wird sie das. Sie liebt dich und sie weiß, das du manchmal ein Idiot bist“, kicherte sie.
„Hey! Ich bin kein…. Ok, du hast recht“ gab ich zu und seufzte. „Du fehlst mir.“
„Du mir auch“, gab sie zu und ich hätte sie am liebsten rund um die Uhr um mich. „Reden wir heute Abend nochmal?“ wollte sie dann wissen und ich bejahte. Ich hoffte, dass sich das mit Claire schnell wieder hinkriegen würde. Ich hasste es, Streit mit meiner Tochter zu haben.

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