Selbstzweifel

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Ian und ich fuhren zum Kino. Wir wollten uns den neuen Marvel Film mit Jared Leto ansehen. Morbius, der lebende Vampir. Ich stand total auf Superheldenfilme. Deshalb war ich damals auch so stolz gewesen, als Dad Superman wurde.
Wir suchten uns einen Platz ziemlich weit hinten, damit wir unsere Ruhe hatten. Mein Handy vibrierte. Ich hatte eine Nachricht von Marina. Sie hatte mir einen Link mit einem Lachsmily geschickt. Ich öffnete den Link und schüttelte den Kopf. Da waren Bilder von mir und Dad heute Nachmittag. Die Frage war, ob er eine neue Freundin hätte. Wir doof mussten die Leute sein. Ian hatte mir über den Arm geschaut und lachte. „Die Leute wissen, das er Töchter hat, und die erste Frage, die sie sich stellen ist, ob du seine Freundin sein könntest? Eine sehr junge wohlgemerkt", erläuterte er belustigt. „Total bescheuert“, antwortete ich und schickte den Link mit den Worten „du gehst Mom fremd?“ und inklusive einem vor Lachen weinenden Smily zu Dad und steckte das Handy dann weg. Ich lehnte mich an Ian und saute zur Leinwand, wo bereits die ersten Trailer liefen.

Irgendwie war mir die Lust nach Zocken vergangen. Heute hatte es irgendwie wenig Reiz. Stattdessen war ich nun neugierig auf die Flime, die Ian erwähnt hatte. Er sagte, er würde sie bei YouTube hochladen. Ich öffnete die Seite und gab seinen Namen in die Suchleiste ein. Ich wurde schnell fündig und klickte den ersten Film an. Ich war wirklich beeindruckt. In den Bemerkungen hatte ich gelesen, dass der Film nur mit der Handykamera gemacht wurde. Später hatte er einiges am Computer bearbeitet. Da steckte eine Menge Arbeit drin und einmal mehr war ich beeindruckt. Der Junge hatte nicht nur ein Talent was die Regie anging, sondern auch in der Produktion. Mit fiel ein, das Claire erwähnte, das er Kurse auf der Academy besuchte. Nun wunderte ich mich, warum er nicht ganz auf diese Schule ging. Denn da gehörte er meiner Meinung nach hin.
Das Piepen meines Handys lenkte mich ab und ich schielte aufs Display. Eine Nachricht meiner Tochter. Ich öffnete sie und erschrak zuerst. Ich und Smilla fremd gehen? Ich klickte den Link an und verdrehte die Augen. Man hatte mich und Claire beim Spaziergang heute Nachmittag mit Kal gesehen und fotografiert. Unter anderem, als ich den Arm um Claire gelegt hatte und ihr einen Kuss an die Schläfe gedrückt hatte. Man dichtete sie mir gleich als neue, sehr junge Freundin an. Was für ein dämlicher Bericht. Keiner kam auf die Idee, das sie eine meiner Töchter sein könnte.
Ich wollte grad das Handy zur Seite legen, als es klingelte. Es war meine Agentin, Jo. „Guten Abend, Jo.“ Begrüßte ich sie, wohlwissend, was sie wissen wollte. „Guten Abend Henry. Ich hoffe, ich störe nicht. Hast du eine neue Freundin?“ fiel sie gleich mit der Tür ins Haus und ich seufzte. „Ja, die habe ich.“, gab ich zu. „Henry, ist sie nicht ein bisschen jung für dich? Wie alt ist sie? 18?“
„Die auf den Bildern? Sie ist 17.“ gab ich wahrheitsgemäß zu.
„17?“ keifte sie mir entgegen und ich lehnte mich zurück, ihren Wutausbruch abwartend. „Bist du von allen guten Geistern verlassen? So jung? Du machst dich strafbar, das ist dir klar, oder? Sie könnte deine Tochter sein!“
„Bleib mal geschmeidig, Jo“, wand ich nun ein.
„Geschmeidig?“ Sie schnaufte und ich redete weiter. „Du hast mich gefragt, ob ich eine Freundin habe, und ich habe wahrheitsgemäß mit ‚Ja' geantwortet. Hättest du gefragt, ob es die auf den Bilder ist, hätte ich ‚nein‘ gesagt.“
„Du machst mich verrückt, Henry. Jetzt sag schon. Was muss ich wissen, um zu erkennen was Lüge, Spekulation und was Wahrheit ist?“ bat sie mich nun.
Ich atmete tief durch. „Also das Mädchen auf den Bildern ist meine Tochter. Sie wohnt jetzt bei mir“, begann ich und Jo unterbrach mich. „Sie wohnt bei dir? Wie soll das funktionieren?“ „Das ist meine Sache, Jo. Nicht deine.“ Sie schnaufte. „Gut ok. Und was ist mit deiner Freundin?“
„Ihr Name ist Smilla. Sie ist die Mutter meiner Töchter. Wir sind seit Mai zusammen und in zwei Wochen ziehen sie und unsere kleine Ally bei mir ein. Und wir sind auf der Suche nach einem Haus. Ach ja. Und sie ist schwanger", beendete ich meine Erklärung mit einem gewissen Unterton, denn ich hasste es, Erklärungen über mein Privatleben ablegen zu müssen. Aber es war besser so, dass sie Bescheid wusste.
Jo blieb still. Dann fing sie an zu lachen und so langsam wurde ich sauer. „Fast hätte ich es dir abgekauft. Aber mit der Schwangerschaft hast du dann doch übertreiben“, sagte sie unter Lachen. Dann wurde sie wieder ernst. „Erzähl mir keinen Scheiß, Henry. Ich will die Wahrheit", forderte sie und jetzt war ich sauer. „Wie redest du mit mir? Ich bin dein Klient, nicht dein Kind. Du solltest dir einen anderen Ton überlegen, denn ansonsten muss ich mir überlegen, ob ich noch mit dir zusammenarbeiten will. Ich erzähle dir keinen Scheiß, Jo. Darüber mache ich keine Witze. Das ist die Wahrheit. Jeder Punkt. Sind wir jetzt fertig?“ donnerte ich ihr entgegen und schnaufte. „Es… tut mir leid, Henry. Ich wollte nicht ausfallend werden.“ Kam es kleinlaut. „Es ist nur, das passt irgendwie nicht zu dir. Du machst also wirklich Nägel mit Köpfen?“ was bitte passte nicht zu mir? Das ich eine Familie hatte, und sie vergrößerte?
„Ja", gab ich nur zurück. Alles andere sollte mir am Arsch vorbei gehen.
„Das freut mich für dich. Wirklich. Und was davon darf ich dementieren oder bestätigen?“ fragte sie nach.
„Du darfst sagen, dass das Mädchen auf den Fotos meine Tochter ist. Und du darfst sagen, das ich in festen Händen bin, falls jemand danach fragt“, entschied ich.
„In Ordnung.  Und wenn sie fragen, ob es zwischen dir und ihr ernst ist?“ hakte sie nach.
„Dann bestätigst du das. Es ist mir mehr als ernst. So ernst wie noch nie zuvor in meinem Leben“, stellte ich klar.
„Gut, dann… schönen Abend noch", wünschte sie mir und ich legte nach einem kurzen „bye" einfach auf. Ich wollte nicht länger mit ihr reden. Das sie gelacht hatte, hatte mich schwer beleidigt. Das gab mir ein Blick darauf, was sie eigentlich von mir hielt. Aber es konnte mir egal sein. Sie war meine Agentin. Ich hatte sie engagiert und nicht umgekehrt. Solange sie ihren Job gut machte, war mir ihre Meinung scheiß egal. Ansonsten würde ich mich anderweitig umsehen. Und das war ihr klar, also würde sie sich jedes Wort, was sie über mich preis gab, gründlich überlegen.
Ich war aufgewühlt und tigerte nun im Wohnzimmer hin und her. Kal sah mich an und gab einen fiepsenden Laut von sich. „Was ist los, Bär?“ fragte ich ihn und setzte mich zu ihm auf den Boden, lehnte mich ans Sofa an. Mein Hund legte seinen Kopf auf meinen Schoß und ich krallte ihn. Er schnaufte zufrieden. Ich wollte Smilla anrufen und ihre Stimme hören, doch das Handy lag noch auf dem Schreibtisch und ich wollte nicht gleich wieder aufstehen. Zudem wusste ich nicht mal, wie ich hier ohne Schmerzen wieder hochkommen sollte. Ich seufzte. „Ist das so abwegig, Kal? Ich als Familienvater? Warum sieht mich keiner so? Dabei ist es doch das, was ich schon seit vielen Jahren bin…“ Das nahm mich alles doch mehr mit, als es sollte und ich sinnierte über mein vergangenes, öffentliches Leben. Ich hatte viele Frauen an meiner Seite gehabt. Von meinen Kindern wusste nahezu niemand. Jeder sah mich als Superstar und Frauenheld. Einen knallharten Kerl, der alles im Leben bekommen konnte, was er wollte. Kaum jemand kannte mich wirklich. Mich, als liebenden Vater und als jemand, der sich Ruhe wünscht. Die Ruhe an der Seite einer schönen Frau. Einfach ein normales Familienleben.  
Hätte ich meine Mädchen nicht versteckt, hätten die Menschen wohl eine andere Meinung von mir. Ich hatte einige Fehler in meinem Leben gemacht, aber jetzt war ich da, wo ich sein wollte.
Ich musste jetzt wirklich Smillas Stimme hören. Unbeholfen und unter Flüchen rappelte ich mich auf und nahm mein Handy vom Schreibtisch, wählte Smillas Nummer. Sie ging nicht dran und schnaufend ließ ich mich aufs Sofa fallen. Ich schaute auf die Uhr. Vermutlich würde sie Ally grad ins Bett bringen. Ich hatte ihr nicht mal gute Nacht gesagt. Ich schnaufte ein weiteres mal und Kal kam zu mir, legte seinen Kopf auf meinen Bauch und sah mich an. Ich schmunzelte. „Du verstehst mich immer“, grinste ich und kraulte ihn wieder.
Das Handy klingelte und ich ging ran, als ich sah, dass es Smilla war. „Hey, Honey", begrüßte ich sie. „Hey. Alles ok bei dir?“ fragte sie. „Ja. Sollte es nicht? Darf ich dich nicht einfach so anrufen, weil du mir fehlst und deine Stimme hören will?“ fragte ich empört und sie lachte. Ihr Lachen sorgte sogleich dafür, dass ich mich besser fühlte. „Du fehlst mir auch. Es ist so leer hier ohne Claire und dich.“
„Bald wird es noch leerer sein", schmunzelte ich. „Und mein Haus wird dafür aus allen Nähten platzen. Ich habe mir übrigens Gedanken gemacht, was mit diesem Haus nach dem Augzug passiert“, fiel mir ein. Als ich in Ungarn war, hatte ich mir schon Gedanken darüber gemacht.
„Ja? Und zwar?“, fragte sie neugierig.
„Ich hatte erst überlegt, es zu verkaufen, aber dann dachte ich mir, wir behalten es. Wenn ich in London arbeite und falls es mal zu spät wird. Oder für meine Familie, wenn sie hier sind und wir sie nicht alle bei uns im Haus haben wollen", erzählte ich und Smilla lachte wieder. „Keine schlechte Idee. Aber nicht das du auf die Idee kommst, dich ständig dort zu verkriechen, wenn du mal die Nase voll von uns hast.“ Diesmal war es an mir, zu lachen. „Das kann ich dir nicht versprechen“, scherzte ich. „Nein, keine Sorge. Von euch bekomme ich nie die Nase voll.“
„Das sagst du jetzt", kicherte sie und ich wechselte das Thema. „Claire und ich sind heute fotografiert worden. Es gibt einen Artikel, wo man vermutet, dass sie meine Freundin ist.“ Wieder lachte Smilla. „Ernsthaft? Deine Freundin? Niemand kam auf die Idee, dass sie deine Tochter sein könnte?“
„Bisher nicht“, lachte ich nun auch und wurde dann ernst. „Dann hat mich Jo angerufen.“ „Deine Agentin?“ harkte Smilla nach.  „Genau. Ich musste sie aufklären. Auch was uns angeht. Es ist besser, wenn sie Bescheid weiß. Damit sie weiß, was sie dementieren muss“, erklärte ich. „Henry, du musst sich nicht rechtfertigen. Du kannst jeden, den du willst von mir erzählen. Ich möchte mich nicht verstecken.“ Sagte sie sanft. „Ich weiß. Ich will dich auch nicht verstecken, aber ich habe gern meine Privatsphäre. Ich habe ihr gesagt, das sie erklären kann, wer das Mädchen auf den Bildern ist und das es dich gibt. Mehr muss erstmal keiner wissen. Jo weiß auch, das du und Ally herzieht, wir ein Haus suchen und du schwanger bist“, fuhr ich fort. „Das ist ok, denke ich. Es ist ja nun kein Geheimnis mehr.“
„Mhm", machte ich und seufzte. „Sie hat gelacht, als ich es ihr erzählt habe. Sie hat mir kein Wort geglaubt und mich ausgelacht“, gestand ich schließlich. „Sie...Was? Wofür hält sie sich?“ schnaufte Smilla. „Ich habe ihr ihren Standpunkt klar gemacht und sie ist sich im Klaren darüber, das sie ganz schnell fliegen kann. Und sie hat sich entschuldigt. Ob sie es so gemeint hat, keine Ahnung. Aber es hat mich verletzt“, erzählte ich. „Das verstehe ich. Mir würde es nicht anders gehen.“
„Bin ich echt so ein Ätztyp, für den sie mich hält? Ein Draufgänger ohne Familiensinn? Denken das sie Menschen von mir?“ wollte ich wissen und seufzte. Es wurmte mich .
„Baby, niemand sieht dich so“, begann ich und ich musste schmunzeln. Sie hatte Baby zu mir gesagt. „Du bist weder ätzend noch ein Draufgänger. Und das du ein Familiensinn hast, weiß jeder, der dich ansatzweise kennt. Du bist liebevoll, bodenständig und der beste Vater, den ich mir für unsere Kinder wünschen kann. Du bist ein wundervoller Mensch, und das wird dir jeder bestätigen kann, den du kennst. Sonst würde ich dich nicht so sehr lieben, wie ich es tue." Ihre Stimme klang sanft und liebevoll. „Henry, seit wann bringt dich die Meinung eines einzelnen Menschen so zum Grübeln? So viele Selbstzweifel?“
„Nein, eigentlich nicht. Keine Ahnung. Ich bin heute wohl etwas empfindlich. Ich vermiss dich wirklich schrecklich. Es ist verrückt. Wenn du in meiner Nähe bist, scheine ich erst richtig zu funktionieren. Ohne dich bin ich peinlich", brummelte ich du Smilla kicherte. „Peinlich? Was hast du angestellt?“
„Claire hat mir ihren Freund vorgestellt und sie sagte gleich, dass ich ohne dich peinlich wäre. Du hättest mich zurückgepfiffen“, erklärte ich und Smilla lachte. Und wie sie lachte. Sie lachte mich aus. „Du nicht auch noch", murmelte ich eingeschnappt. „Hör auf zu lachen, du Hexe.“ Das brachte sie nur noch mehr zu lachen und ich schnaufte, schmunzelte dann aber auch. Kal legte den Kopf schief. „Oh, Henry… hast du den armen Kerl in die Mangel genommen?“ fragte sie, als sie sich schließlich beruhigt hatte. „Nein, eigentlich nicht. Ich hab Claire vorher ausgefragt. Ich hab, naja..  vielleicht den großen, bösen Daddy raushängen lassen...", gestand ich und sie kicherte. „Der Ärmste.“
„Aber er ist echt in Ordnung. Und anständig“, sagte ich dann. „Das ist schön. Da hat unsere Tochter ja guten Geschmack bewiesen.“
„Ja. Und er ist echt talentiert. Ich hab mir einen seiner Filme angesehen. Wirklich nicht übel“, erzählte ich anerkennend. Smilla und ich telefonierten noch stundenlang und es tat gut. Sie war zwar nicht hier und ich konnte sie nicht küssen oder berühren, aber sich mit ihr zu unterhalten tat mir gut. Es war unglaublich, wie schnell sie mir so sehr ans Herz gewachsen war. Wie wichtig sie mir nach so kurzer Zeit war. Ich liebte sie einfach. Absolut und bedingungslos. Ich musste zwischenzeitlich schon mein Handy ans Ladekabel stecken, weil wir so lange telefonierten und es war schon kurz nach eins in der Nacht. Claire müsste auch bald nach Hause kommen.
Unser Gespräch wurde schließlich unterbrochen, als ich einen weiteren Anruf bekam. Ein Blick verriet mir, dass es Claire war. „Ich muss da ran, es ist Claire. Ich ruf dich morgen wieder an. Ich liebe dich", verabschiedete ich mich schnell und nahm das Gespräch mit Claire an. „Alles in Ordnung?“ wollte ich gleich wissen. „Ja. Oder Nein, eigentlich nicht. Ians Auto springt nicht mehr an. Gloria, Seine Mom hat kein Auto hier. Kannst du mich holen?“ fragte sie und ich richtete mich auf.  „Ähm, ja klar. Ich fahr gleich los. Schickst du mir die Adresse?“ fragte ich und stand auf. „Mach ich. Bis gleich.“ Damit legte sie auf und ich zog mir Schuhe an.
„Willst du mit?“ fragte ich meinen Hund und der ließ sich nicht zweimal bitten.
Ich ließ Kal ins Auto springen und stieg selbst ein. Die Adresse tippte ich ins Navi und machte mich auf den Weg zu Ians Elternhaus

FamilienbandeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt