London calling

532 19 1
                                    

London calling
Ich hatte Ally in den Kindergarten gebracht und fuhr nun meine Älteste zur Schule. Mit Koffer und Rucksack. Heute war ihr Abreisetag nach London. Die letzte Woche war sie furchtbar aufgeregt gewesen. Heute war es endlich soweit.
Claire passte es nicht, das sie nun stundenlang im Bus sitzen musste, aber so war das nun mal auf einer Klassenfahrten. Ein Flug wäre zwar viel komfortabler und schneller gewesen, aber auch eben um einiges kostspieliger.
Ich verabschiedete mich von Claire, wünschte ihr ganz viel Spaß und wartete, bis der Bus abfuhr. Ich winkte ihr zu und stieg dann in mein Auto. Ich nahm mein Handy und schrieb Henry. „Ich habe Claire in den Bus verfrachtet, sie ist nun also auf den Weg nach London.“ Schrieb ich und fuhr zur Arbeit.
In den letzten vier Wochen war nichts Spektakuläres passiert und es bleib beinahe alles, wie es war. Nur das Henry und ich jetzt jeden Tag miteinander schrieben, und wenn möglich abends auch telefonierten. Er fehlte mir sehr. Kaum zu glauben, das es nach so kurzer Zeit schon so schlimm war. Ich hatte das letzte mal vor 2 Tagen von ihm gehört, was nicht weiter tragisch war. Ich wusste, das er einen stressigen Tag vor sich hatte und das er abends dann noch von Budapest nach London fliegen wollte.
Als ich an der Pferdeklinik ankam checkte ich nochmal meine Nachrichten. Henry hatte geantwortet. „Danke, ich werde mich später bei ihr melden. Ich bin heile angekommen, allerdings hab ich mir in diesem verdammten Flieger eine beschissene Erkältung eingefangen.“ Schrieb er und schickte noch einen wütenden Smiley und einen mit Thermometer im Mund. Ich musste schmunzeln. „Ohoh. Männergrippe im Anmarsch. Geh mir bitte nicht ein“, schrieb ich und sendete noch ein „Gute Besserung. Du fehlst mir“, hinterher.
„Du mir auch“, kam zurück und ich ging in die Klinik, fing an zu arbeiten.

Endlich! Endlich war ich auf dem Weg nach London. Mit meiner Klasse. Ich freute mich auf die Stadt, die schon immer mein zweites Zuhause war. Hier kannte ich beinahe jede Ecke. Ich wusste, mit welcher Bahn ich wohin fahren musste, wo die coolsten Läden waren und die besten Restaurants.  Für Marina, meiner besten Freundin war es das erste Mal und sie hatte sich mit Reiseführern eingedeckt. „Das hier soll toll sein.“ Sie tippte auf eines der Restaurants in dem Reiseführer, in dem sie blätterte. „Zu voll, überteuert und viel zu viele Touristen“, wand ich gleich ein und schlug ihr ein viel besseres vor, in dem es auch viel leckerer schmeckte und fast nur die Hälfte kostete. „Aber da kriegen wir bestimmt keine Promis zu sehen“, merkte sie an. „Doch ab und zu schon. In dem Anderen mittlerweile weniger“, beratschlagte ich und Mike, ein Typ aus der Nebenklasse, den ich unheimlich niedlich fand, lehnte sich über seinen Rücksitz zu uns. „Du kennst dich aus, was?“, sprach er mich an und ich spürte, wie meine Wangen rot wurden. „Ja, ich kenne London“, bestätigte ich ihn. Das Vibrieren meines Handys lenkte mich ab und ich lugte drauf. Dad hatte mir geschrieben. „Deine Mom sagte, das du unterwegs bist. Meld dich doch einfach, wenn du da bist und Zeit hast. Vielleicht schaffen wir es ja noch für eine Stunde uns zu sehen. Freu mich“, hatte er geschrieben und ich schrieb schnell ein „freu mich auch“, zurück. Dann steckte ich mein Handy zurück in meine Hosentasche. „Dein Lover? Du grinst so", vermutete Mike und ich schüttelte den Kopf. „Mein Dad. Er lebt in London“, erklärte ich knapp. „Cool. Vielleicht kannst du mir ja den ein oder anderen Insider Tipp verraten“, schlug er vor und setzte sich wieder. „Klar", kam es schüchtern von mir zurück und ich wurde wieder rot. Marina zwinkerte mir zu und blätterte weiter in einem ihrer Reiseführer herum. Sie war ein bisschen verändert. Schon die letzten Tage. Wir hatten uns nur in der Schule gesehen und da war sie auch nicht so gesprächig wie sonst. Ich schob es auf die Aufregung.

Die Fahrt zog sich und stundenlang im Bus zu sitzen nervte mich. Immerhin hatten wir bald die Fähre erreicht, dann konnte ich mir endlich meine Beine vertreten. Es konnte spät werden bis wir ankamen. Mit dem Bus dauerte das ja immer gefühlt doppelt so lange. Vermutlich würden wir vor 20 Uhr nicht ankommen. Dann hatte sich das Treffen mit Dad quasi schon erledigt. Schade, ich hätte ihn gern gesehen.
Als wir auf der Fähre waren, war es schon fast 16 Uhr und ich schrieb Dad, dass ein Treffen wohl nicht mehr klappen würden. Wenn alles planmäßig lief, würden wir 20:40 im Hotel sein. Er fand es schade, aber nicht schlimm. So würde er sich einfach ins Bett verkriechen. Er hatte sich eine leichte Erkältung eingefangen. Ich wünschte ihm gute Besserung und gesellte ich dann wieder zu meiner Freundin, die oben auf dem Deck saß. Es war windig und frisch, weshalb ich meine Jacke zu machte und mein Halstuch enger wickelte. Es schaukelte ganz gut und ich war froh, dass ich nicht seekrank war, so wie Mama. Oder wie Marina. Die sah gerade alles andere als entspannt aus. Ich kicherte und reichte ihr meine Flasche Wasser. Sie nahm sie, trank einen Schluck und gab mir die Flasche wortlos zurück. „Eine halbe Stunde noch, dann hast dus geschafft“, versprach ich und sie lehnte sich an mich. „Danach heißt es nochmal, sich 3 Stunden lang im Bus den Arsch platt zu sitzen.“ Das brachte dann auch sie zum Lachen. Dann schaute sie mich an und ich merkte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. „Was ist los?“ wollte ich wissen und ich nahm ihre Hand. „Ich…“ begann sie und biss auf ihrer Unterlippe. „Sag schon. Was hast du aufgefressen?“
„Ich glaub, ich bin schwanger.“ Murmelte sie dann und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Ich sah sie einen Moment lang sprachlos an. Dann legte ich meinen Arm um sie. „Hast du denn schon einen Test gemacht?“ wollte ich wissen. „Nein.“ Gab sie kleinlaut zu. „Seit wann bist du überfällig?“
„Seit zwei Tagen. Eigentlich ist das nichts Ungewöhnliches, aber mir ist seit ein paar Tagen immer übel und ich bin so müde“, gab sie zu Bedenken. Scheiße. „Hast du Basti das schon gesagt?“ fragte ich. Basti war ihr Freund, mit dem sie seit ein paar Monaten zusammen war. „Bist du verrückt? Er würde bestimmt sofort Schluss machen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. So schätze ich ihn nicht ein. Er ist ein netter Kerl, er lässt dich nicht hängen“, versuchte ich sie zu ermutigen. „Ich hoffe, du hast recht, Claire. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Sie fing an zu weinen und ich tröstete sie. „Wir werden dir einen Test besorgen. Entweder heute Abend noch oder morgen. Und wenn der Test dann positiv ist, sehen wir weiter. Und wenn nicht, kannst du London genießen“, lächelte ich und sie erwiderte es sanft.
Ich versuchte sie während der Fahrt so gut es ging abzulenken. Der Busfahrer zeigte noch einen Film während der Fahrt. Als Man of Steel begann musste ich lachen. Ich erzählte Marina leise lustige Anekdoten meines Vaters, die er vom Dreh erzählt hatte. Oder wie er sich bei einer Szene beinahe die Zähne ausgeschlagen hatte, weil er unkonzentriert war. Dabei passte ich natürlich auf, das sonst niemand davon etwas mitbekam.
Gegen neun am Abend kamen wir endlich am Hotel an. Ich war geschafft von der langen Fahrt und auch Marina war müde. Ich ließ sie zuerst ins Bad. Während dessen rief und zuerst Mama, dann Dad an, dass ich gut angekommen war. Dad hörte sich verschnupft an und er klang auch ziemlich müde, weshalb wir nur kurz miteinander sprachen.
Als Marina aus dem Bad kam, ging ich hinein, duschte ausgiebig und als ich wieder ins Zimmer kam, schlief Marina bereits. Ich stöberte mich noch durch die sozialen Netzwerke und legte mich dann auch zum Schlafen hin. Ich dachte an meine Freundin. Was, wenn sie wirklich schwanger wäre? Was würde Basti sagen, oder ihre Eltern? Ich jedenfalls würde sie niemals im Stich lassen. In ihrer Haut wollte ich echt nicht stecken.

FamilienbandeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt