Allein

517 18 1
                                    

Und weg war er. Er flog über den großen Teich und ließ mich mit den Kindern hier alleine. Claire war in der Schule und Ally in ihrem neuen Kindergarten, der ihr wesentlich besser gefiel als der direkt in London. Ich wusste, er ließ mich ungern allein, aber dennoch fühlte ich die Leere schon jetzt. Es war nicht mein Haus in dem ich nun lebte, und die Stadt war mir noch nie so fremd vorgekommen, als jetzt auf dem Weg nach Hause. Ich wäre einfach gern mitgeflogen, um ihn bei mir in der Nähe zu haben, aber das ging natürlich nicht.
Ich saß nun in seinem Auto, in seiner Garage, neben seinem Haus. Und ich sah meine Kisten. Ordentlich übereinander gestapelt an einer Wand. Küche, Wohnzimmer, Büro stand auf den Kartons. Es würde noch ein bisschen. dauern, bis ich sie auspacken könnte. Ich atmete tief durch und legte eine Hand auf meinen Bauch. Ich spürte es flattern. „Ich weiß, ich bin auch aufgeregt", murmelte ich. Warum eigentlich? Das hier war seit fünf Wochen mein Zuhause und ich fühlte mich wohl. Doch jetzt, wo ich allein war, wo nicht mal mehr Kal hier war, fühlte ich mich so allein wie schon ewig nicht. Henry hatte Kal mitgenommen. Natürlich. Er nahm ihn immer mit. Sonst wäre er doch ganz allein gewesen. Ich hatte unsere Mädchen hier.
Eigentlich müsste ich reingehen und aufräumen. Da standen noch die Sachen von gestern Abend auf dem Tisch. Die Mädchen hatten uns einen letzten Abend zu zweit gegönnt. Henry und mich hatten sie ins Kino geschickt. Und anschließend waren wir schick essen. Claire hatte mit Ian hier auf Ally geachtet und sie hatten sich einen gemütlichen Abend gemacht. Und die Sachen standen da jetzt noch rum. Ich wollte nicht rein. Ich wollte nicht alleine sein. Und zum ersten Mal bekam ich Heimweh. Ich brauchte eine Freundin. Ich kannte hier bisher nur eine. Ob ich einfach bei ihr vorbeifahren könnte? „Bist du Zuhause?“ schrieb ich Gloria. "Klar, komm einfach vorbei", antwortete sie und schickte mir ihre Adresse. Ich gab sie ins Navi ein, und schaffte es dennoch, mich zu verfahren, dank einer dämlichen Baustelle. Ich kurvte so hin und her, das sogar das Navi in Henrys Auto streikt e und nicht mehr wusste, auf welcher Straße ich mich befand. Es hatte dringend ein Update nötig.
Ich fluchte lautstark, regte mich über den beknackten Linksverkehr auf und hielt schließlich am Straßenrand und fing an zu heulen. Das war mir einfach alles zu viel heute. Ich hatte schon beim Aufstehen gemerkt, das es eindeutig nicht mein Tag werden würde, was natürlich damit zu tun hatte, das Henry nach New York flog. Er freute sich auf seine Arbeit und das war ok, aber dennoch fühlte ich mich verloren. Ich hatte immer auf dem Land gewohnt und meistens war Henry hier gefahren, und jetzt war ich total überfordert.
„Bitte in 200 Yards links abbiegen", ertönte die weibliche Stimme im Navi und ich schrie sie an. Dann wischte ich mir die Tränen weg und fuhr weiter. Diesmal kam ich ohne weitere Zwischenfälle bei Gloria Zuhause an.
„Ach Süße", sagte sie mitfühlend und zog mich gleich in ihre Arme, nachdem sie mich verheult an der Tür gesehen hatte. „Was ist denn passiert?“
„Henry ist weg und seine doofe Navischlampe hat mich quer durch London geschickt, bis sie selbst nicht mehr wusste, wo sie war“, erklärte ich schniefend und Gloria lachte. Ich musste nun auch lachen. Ich hörte mich an, wie ein kleines Kind. „Zum ersten Mal alleine in dieser Stadt?“ fragte sie mich. „Vor 18 Jahren war ich schon mal hier. Aber das war anders. Und sonst ist Henry immer gefahren. Aber der Idiot hat mich heute morgen alleine gelassen“, schnaufte ich. Ich war sauer auf ihn, was ich eigentlich gar nicht sollte oder wollte. Aber irgendwem musste ich doch die Schuld geben. Und er war nun mal nicht da, also war er Schuld. „Ich bin und bleibe ein Landei", murrte ich und Gloria zog mich in die Küche. „Kakao oder Tee?“ fragte sie mich. „Kakao", seufzte ich und stützte meinen Kopf ab. „Hormonschub?“ fragte mich meine Freundin und ich musste lachen. „Ja, ich glaub schon", kicherte ich schließlich. Schwanger sein war gar nicht so einfach. Vor allem nicht Ende 30. Bei Claire und Ally war das ein Spaziergang gewesen, aber jetzt… „Ich mag einfach nicht nach Hause fahren. Da erinnert mich alles an Henry. Es ist einfach zu leer und gleichzeitig zu vollgestopft“, brummelte ich. „Überall stehen Sachen unausgepackt von mir, oder schon eingepackt von Henry und den Kindern. Ich müsste eigentlich weiter einpacken. Zwei Monate sind schnell vorbei.“ Ich seufzte. „Möbel brauchen wir auch noch“, fiel mir ein und ich hatte keine Ahnung, wie wir das in zwei Monaten schaffen sollten.
„Wie spät holst du Ally?“ fragte meine Freundin. „Um zwei", antwortete ich und Gloria sah auf die Uhr. „Ok, Vorschlag. Wir fahren jetzt zu dir und packen ein paar Sachen ein. Dann holen wir Ally vom Kindergarten und fahren weiter zum Ikea. Du machst Fotos und schickst sie Henry. Dann könnt ihr euch in Ruhe überlegen, was ihr haben wollt. Wenn wir dann noch Zeit haben, zeigst du mir euer neues Haus und anschließend fahren wir wieder zu dir. Wir essen gemeinsam was und dann fahre ich mit Ian zusammen nach Hause, weil er eh bei euch sein wird“, schlug Gloria lächelnd vor und die Idee klang super. „Ich weiß schon, warum ich mir dich als Freundin ausgesucht habe“, schmunzelte ich und drückte sie einmal an mich. Sie war mir so schnell ans Herz gewachsen. Und Henry konnte sie und ihren Mann auch gut leiden.

FamilienbandeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt