Unser Haus

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„Aufwachen Schlafmütze", hörte ich Henry sagen und ich regte mich brummend. Ich wollte nicht aufstehen. Ich war doch grad erst ins Bett gegangen. Ich hörte ihn leise lachen, dann seine Lippen an meiner Schläfe. Träge öffnete ich meine Augen. „Lass mich schlafen“, murmelte ich und drehte mich auf den Bauch. Noch ging das.
„Willst du etwa nicht mit, Ally in ihren neuen Kindergarten bringen?“, fragte er ich und merkte, wie er sich auf die Bettkante setzte. „Doch", brummelte ich und gähnte. Er beugte sich über mich und strich meine Haare zur Seite, hauchte mir einen Kuss in den Nacken, was mir ein Lächeln entlockte. „Mach weiter“, bat ich und er küsste meine nackte Haut. Ich bekam eine wohlige Gänsehaut und drehte mich zu ihm um, schlang meine Arme um seinen Hals und zog ihn an mich. „Honey, dafür haben wir keine Zeit", lachte Henry. Er war bereits geduscht und fertig angezogen. Ich schielte auf den Wecker, als er sich aus meiner Umklammerung befreit hatte. Schon halb sieben. „Komm steh auf, Dornröschen. Frühstück ist fertig und die Mädchen auch schon fast startklar. Wir warten nur auf dich.“ Er schenkte mir ein hinreißendes Lächeln und stand dann auf, zog meine Decke mit weg. „Hey!“, beschwerte ich mich, doch statt sie mir wieder zu geben, warf er sie über seinen Stuhl. „Menno", murmelte ich , als er das Schlafzimmer verließ und richtete mich auf. Träge erhob ich mich, suchte mir Sachen zusammen und schlurfte ins Bad. Die Dusche tat gut und machte mich wach. Ich zog meine Jeans an und schnaufte, weil sie so eng um den Bauch war. Würde schon irgendwie gehen. Ich zog mein Shirt über und ging zurück ins Schlafzimmer, schloss das Fenster, was Henry weit geöffnet hatte und machte das Bett. Beim Bücken drückte die Hose aber dann doch zu sehr meinen Bauch ein, das ich das Gefühl hatte, sie würde mich zerdrücken. Ich öffnete den Knopf und atmete erleichtert aus. Nein, das ging gar nicht. So ein Mist, das war die Hose, die noch am besten gepasst hatte. Grummelnd zog ich die Jeans aus und überlegte, welche Hose ich nun a ziehen sollte. Letztlich schlüpfte in eine meiner Leggins. „Du wächst zu schnell", sagte ich zu meinem Bauchbewohner und streichelte über meine Minimurmel.
„Die letzte Jeans ist jetzt auch aussortiert", bekundete ich brummend, als ich die Küche betrat. Claire lachte und Henry schmunzelte. „Hauptsache du hast noch was anzuziehen."
„Ich hatte kurzzeitig überlegt, eine von deinen anzuziehen, aber die sind mir zu lang“, kicherte ich. „Die stehen dir auch nicht besonders“, kam es von Henry. „Mami, wann werde ich denn endlich große Schwester?“ wollte Ally wissen und ich drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Das dauert noch ein paar Monate“, erklärte ich und sie zog eine Schnute. Ich nahm mir eine Scheibe von dem Brot, welches Henry gestern noch gebacken hatte, und beschmierte es mit Frischkäse, darauf kam eine Scheibe Pastrami. Zusätzlich noch ein paar Gurkenscheiben und zwei Kleckse scharfen Senf. Claire und Henry sahen mich an. Henry fing an zu lachen und Claire verzog das Gesicht. „Mama du bist ekelig“, beschwerte sie sich. „Das sieht komisch aus, Mami“, bemäkelte Ally. „Seit wann magst du eigentlich Senf?“, fragte Henry und ich zuckte mit den Schultern,  biss beherzt in mein mit Liebe belegtes Brot. „Hm… lecker" murmelte ich mir vollem Mund und wischte mir den Senf aus dem Mundwinkel. Claire verzog angewidert das Gesicht.
Draußen hupte es und Claire drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Bis heute Nachmittag“, verabschiedete sie sich. „Viel Spaß im Kindergarten, Allymaus", wünschte sie ihrer kleinen Schwester und verschwand.  
„Ich will nicht in den Kindergarten“, murmelte Ally. „Aber warum denn nicht, Spatz? Du gehst doch immer gern in den Kindergarten“, wollte ich wissen. „In meinen alten Kindergarten. Aber nicht in den Neuen.“ Sie senkte den Kopf und zog eine Schnute. „Dein neuer Kindergarten ist bestimmt genauso toll, Monsterchen“, sagte Henry besänftigen. „Und wenn mich da die anderen Kinder nicht mögen?“, gab sie zu bedenken. „Du findest bestimmt ganz schnell neue Freunde“, versicherte Henry ihr. Sie war ein aufgeschlossenes Kind und hatte eigentlich nie Probleme, auf andere Kinder zuzugehen.
Wir überredeten sie, es wenigstens zu versuchen und brachten sie gemeinsam in ihre neue Gruppe. Nach etwas Geweine, was ganz untypisch für unsere Maus war, ließ sie uns widerwillig gehen.
Anschließend fuhren wir zum Notar, wo wir heute den Termin beim Notar hatten. Henry hatte darauf bestanden, dass ich den Kaufvertrag mit unterschreibe und mit im Grundbuch stehe. Er wollte, dass das Haus uns beide gehörte. Ich hatte auch einen Teil bezahlen wollen, aber das lehnte er konsequent ab. Es hatte eine ellenlange Diskussion gegeben, aber letztendlich blieb es dabei, das er zahlte. Aber nur unter der Bedingung, dass er endlich die Zahlung für den Unterhalt sein ließ, da er mir jahrelang eh viel zu viel gezahlt hatte. Widerwillig hatte er sich darauf eingelassen.  
Wir betraten das Büro des Notars, wo auch schon die Maklerin auf uns wartete. Die Verkäufer waren ebenfalls anwesend.
Wir gingen den Kaufvertrag durch, wovon ich wenig Ahnung hatte, Henry aber aufmerksam war. Anschließend nahm Henry den Stift und wollte seine Unterschrift drunter setzten, als das Telefon der Immobilienmaklerin klingelte. „Warten sie", bat sie und Henry sah sie fragend an, wartete aber. Wir tauschten mit den Verkäufern unwissende Blicke aus. Dann wandte sich die Maklerin an uns. „Das Haus in Mitchham steht wieder zum Verkauf. Die Käufer sind abgesprungen", sagte sie. Mitchham. Dort stand das Haus indem wir uns sofort verliebt hatten. Henry und ich sahen uns an. „Wenn wir es uns nicht wenigstens ansehen, werden wir es immer bereuen“, sagte ich und Henry nickte. Die anwesenden Verkäufer waren alles andere als begeistert, aber der Mann sprach beruhigend auf seine Frau ein. Henry entschuldigte sich, blieb aber dabei, das wir uns das andere Haus wenigstens ansehen sollten. Es bestand natürlich die Gefahr, das wir die Zusage für dieses Haus los waren, aber das Risiko mussten wir eingehen. Es war ja nicht so, dass wir bald auf der Straße stehen würden.
Henry entschuldigte sich noch mehrmals, bis wir das Gebäude verließen.
Die Maklerin hatte für sofort einen Termin aushandeln können und schon waren wir unterwegs. Ich war zugegeben ganz schön nervös. Auf dem Weg dorthin hatte ich das Inserat nochmal aufgerufen und sah mir noch mal die Bilder an. Ja, es war eine gute Entscheidung gewesen, noch nicht den Kaufvertrag zu unterschreiben. Mein Bauchgefühl verriet mir, dass etwas Besonderes auf uns wartete. Henry sah mich an, als ich meine Hand auf meinen Bauch legte, der durch meine Klamotten kaum zu sehen war, und lächelte, legte seine Hand kurz auf Meine.
Wir fuhren durch Mitchham durch und bogen von der Hauptstraße in eine Waldstraße ab. Von dort aus auf eine Schotterstraße, wovon man von dort aus schon das Haus sehen konnte. Haus war etwas untertrieben, denn das Anwesen war schon verdammt groß. Es gab ein Haupthaus, welches wohl mal die Scheune gewesen war. Daneben das kleine Ferienhaus. Eine weitere Scheune war ein paar Meter weiter zu sehen.
Das Haupthaus hatte viele große Fenster, aber die Glaswand war noch nicht zu sehen. Vermutlich war sie auf der anderen Seite.
Wir steigen aus dem Wagen und neugierig schaute ich mich um. Es war eine himmlische Ruhe. Alles was man hörte war das Gezwitscher der Vögel und das Rauschen der Bäume. Die Autos der Hauptstraße waren kaum zu vernehmen. Wir waren mitten in der Natur und schon jetzt war ich verliebt. Henry nahm meine Hand und er strahlte mindestens so wie ich.  
Durch die Haustür konnte man ins Innere des Hauses sehen. Besser gesagt in den großen Flur, oder eigentlich schon Diele. Ein älterer Herr öffnete uns, und begrüßte uns freundlich. Wir betraten das Haus und rechts sah ich gleich die Treppe, die nach Oben führte. Geradeaus ging es in die großzügige Küche, die hell eingerichtet war und einen Blick auf die Glasfront gab. Wie schon auf den Bildern zu sehen war, lag darunter der Wohnbereich. Zwischen Küche und Wohnbereich stand ein großer Esszimmertisch. Vom Wohnbereich konnte man fast bis unter das Dach sehen und von der Balustrade im oberen Stockwerk konnte man hier her runter schauen. Im hinteren Bereich des Wohnraumes war ein großer Kamin, der gemütliche Winterabende versprach. Der alte Herr erzählte die Geschichte des Hauses. Es hatte bereits seinen Großvater gehört, wobei dieser Teil einst als Stall für die Rinder gedient hatte. Das eigentliche Wohnhaus war das kleine Häuschen nebenan. Er selbst hatte diese Scheune vor 30 Jahren umgebaut als Wohnhaus für ihn, seine Frau und seine sieben Kinder. Das kleine Haus blieb für seine Eltern. Vor drei Jahren war das Haus auf den neuesten Stand gebracht worden. Leider lebten all seine Kinder weiter weg und seine Frau war im letzten Jahr gestorben. Für ihn alleine war das Haus einfach viel zu groß und nun wünschte er sich, dass eine neue Familie hier ihr neues Glück findet. „Haben sie Kinder?“ fragte er, als wir nach Oben gingen. „Zwei Töchter", verriet Henry lächelnd. „Das dritte ist unterwegs.“ Der Herr, der sich uns als Rupert vorgestellt hatte lächelte. „Wir alt sind ihre Mädchen. „17 und 5“, erzählte ich.
„Ein großer Altersunterschied“, bemerkte er.
„Wir haben eben ein bisschen länger gebraucht", erklärte Henry schmunzelnd und hauchte mir einen Kuss auf die Hand, die er noch immer hielt.
Rupert schwärmte von seiner großen Familie und seinen vielen Enkeln, was Henry nachempfinden konnte. „Ich habe vier Brüder.  Wenn alle zusammen sind, mit Kind und Kegel, platz das Haus meiner Eltern aus allen Nähte ", erzählte Henry und er und Rupert lachten. Unten gab es zwei weitere Zimmer. Potentielle Brüro, oder Gästezimmer. Im oberen Stockwerk waren vier großzügige Schlafzimmer, wobei zwei davon eine Dachschräge hatten. Eines mit großem Dachfenster und eines mit einer Leiter, die unter das Dach führte. Ich wusste schon jetzt, das sich Claire dieses Zimmer unter den Nagel reißen würde. Das Bad war gegenüber, hatte eine große Badewanne und eine Dusche. Dafür nur ein Waschbecken, was aber kein Problem für uns sein würde. Im Dachgeschoss war einmal der Dachboden, der viel Stauraum versprach, denn einen Keller hatte das Haus nicht. Und auf der andern Seite war das Dachzimmer mit der restlichen Glasfront. Dort drunter stellte ich mir ein Bett vor, mit Blick auf den Himmel und den Garten. Dahinter wäre ein Ankleidezimmer möglich, das Henry für all seine Klanotten schon fast brauchte.
„Das war früher das Zimmer meiner Frau. Sie hat hier gemalt, genäht und all ihrer Kreativität freien Lauf gelassen. Später, als sie nicht mehr gut die Treppen laufen konnte, zog mein jüngster Sohn hier unter Dach und bekam ein Badezimmer dazu“, erklärte Rupert und zeigte uns das besagte Bad. Es hatte eine wirklich große, ebenerdige Dusche, und eine Badewanne über Eck mit integriertem Whirlpool. Henry grinste mich an und zwinkerte, was mich kichern ließ. Ich konnte mir sein Kopfkino denken.
Wir schauten uns noch das restliche Haus an und dann das kleine Nebenhaus, welches wirklich gemütlich war. Es hatte einen Kamin und gerade mal drei Zimmer. Der Giebel zur Gartenseite war ebenfalls komplett aus Glas. Einfach traumhaft.
Die Scheune war groß und bot Platz für mehrere Autos, und auch Henrys Motorrad würde hier auf jeden Fall noch Platz finden. Außerdem war dort noch ein Raum, der zur Zeit als Werkstatt und als Abstellplatz für die Gartengeräte diente. Ein Aufsitzmäher war ebenfalls vorhanden, der auch hier bleiben würde. Den würde man auch auf jeden Fall brauchen. Denn das Gelände war riesig. Sogar eine Streuobstwiese gehörte dazu und ein kleiner Teil des Waldes. Es gab eine große Terrasse, die man von der Küche aus erreichen konnte. Außerdem gab es eine Gartenhütte, die zu Grillabenden einlud. Selbst dort drinnen war ein kleiner Kamin. Einen Teich gab es ebenfalls, in dem man sogar schwimmen konnte. Es war alles perfekt und in Gedanken war ich bereits eingezogen.
„Warum sind die letzten Käufer abgesprungen?“ wagte Henry zu fragen, weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, wie jemand so etwas traumhaftes ausschlagen konnte.
„Sie sind nicht abgesprungen. Ich habe mein Angebot zurückgezogen. Das Paar stritt unentwegt und ich konnte sehen, wohin es führen würde. Ich will mein Haus nicht an ein Paar verkaufen, dass sich wohl eher früher wie später scheiden lässt. Ich will dass durch dieses Haus Kinderlachen hallt, kein Streit.“, erzählte Rupert und ich staunte nicht schlecht. Das sein Herz an diesem Haus hing war zu spüren. „Bei ihnen allerdings hätte ich ein sehr gutes Gefühl", gestand er und Henry lächelte. „Wir nehmen es“, sagte er ohne zu Zögern. „Ich meine, wenn sie es uns anvertrauen würden“, fügte er schnell hinzu.
„Wem sonst, wenn nicht ihnen? Sie sind mir sympathisch und sie Beide wirken sehr glücklich.“ Henry und Rupert reichten sich die Hand. Alles würde so schnell wie möglich in die Wege geleitet werden und ich konnte es noch gar nicht richtig fassen. Es wäre sogar möglich, ein paar der Möbel zu übernehmen, aber das würden wir später noch mit Rupert klären können.
Wir verabschiedeten uns und die Maklerin, die sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, fuhr davon. Als wir am Wagen standen, quiekte ich und sprang Henry um den Hals. Er hob mich einfach hoch und wir küssten uns. „Es ist einfach perfekt", flüsterte ich und küsste ihn nochmal und nochmal.
Er stellte mich wieder auf die Füße und dass er mich eigentlich noch gar nicht hätte tragen dürfen, ignorierte ich jetzt einfach. Die sechs Wochen waren zwar um, aber noch hatte er nicht das Ok von seinem Arzt. Der Termin war Morgen.
Wir stiegen in seinen Wagen ein und fuhren wieder zum Kindergarten. Es war schon Zeit, Ally abzuholen. Die Zeit war wie im Fluge vergangen.

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