Schlaflos & Goodbye Jersey

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Smilla wurde wach, als ich zur ihr ins Zimmer kam. Ally schlief tief und fest. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken“, flüsterte ich. „Macht nichts. Ich wollte eigentlich gar nicht schlafen. Wie spät ist es?“ fragte sie verschlafen. „Kurz nach Elf“, antwortete ich und zog mich aus. Ich ging noch kurz ins Bad und legte mich dann zu meinen beiden Mädchen. Ally lag nun zwischen uns und ich fühlte ihre Stirn. „Sie ist immer noch ganz warm", gab ich zu Bedenken.
„Aber sie bricht nicht mehr und schläft ruhig.“ Ich nickte und schaltete den Fernseher aus, der immer noch an war. Ich beugte mich zu Smilla rüber und gab ihr einen Kuss.  „Und euer Tag heute war schön?“ fragte ich sie, als mir einfiel, das ich noch gar nicht richtig nachgefragt hatte. Wir waren gleich beim Thema Haus gelandet.
„Er war wirklich toll. Danke dafür“, lächelte sie und ich griff nach ihrer Hand, die auf Allys Seite lag. Ich verschlang ihre Finger mit meinen. „So einen Mutter Tochter Tag hatten wir wohl mal nötig. Sie hat mich ausgefragt.“
„Worüber?“ wollte ich wissen.
„Über uns. Wie wir uns kennengelernt haben. Unseren ersten Kuss, mein erstes Mal", erklärte sie und ich hob eine Augenbraue. „Du hast ihr von unserem ersten Mal erzählt?“
„Sie  wollte wissen,  wie mein erstes Mal war. Und das hatte ich nun mal mit dir“, schmunzelte sie und ich verzog den Mund. „Ich hoffe, die hast du Einzelheiten ausgelassen.“
Smilla lachte leise. „Natürlich. Sie wollte hauptsächlich wissen, ob es wehgetan hat.“
„Warum will sie so etwas wissen? Will sie etwa…“ Smilla unterbrach mich. „Henry, sie ist siebzehn. Irgendwann musste sowas kommen. Und ich bin froh, dass sie mich gefragt hat.“
Vermutlich hatte sie recht. „Hab ich dir denn wehgetan damals?“ wollte ich dann wissen und Smilla lächelte. „Es hat wehgetan, ja. Aber nur kurz. Hauptsächlich war es wirklich sehr schön.“ Sie strich mir über die Wange. Ich hatte ewig nicht an unser erstes Mal gedacht. Ich hatte nicht besonders viel Erfahrung, aber scheinbar hatte es gereicht, damit es Smilla gefallen hatte. „Ich fand es auch sehr schön damals“, lächelte ich und strich ihr über den Arm. Für meinen Geschmack war sie zu weit weg, aber Ally ging heute vor. Ich dachte einen Moment über mein erstes Mal nach, verwarf den Gedanken aber gleich wieder, denn es war nicht der Rede wert. Kaum hatte es angefangen, war es auch schon vorbei. Da war ich 16 oder so. Smilla gähnte müde und ich beugte mich noch mal über Ally gab meiner Liebsten einen Kuss. „Schlaf gut, Honey", wünschte ich ihr und sie kuschelte sich ins Kissen. „Gute Nacht, Henry.“ Sie hatte keinen Kosenamen für mich, aber das brauchte sie nicht. Ich mochte es, wie sie meinen Namen aussprach. Ich machte das Licht aus. Sie legte ihre Hand auf meinen Unterarm, den ich über Ally gelegt hatte, und spielte schläfrig mit meinen Armhaaren, bis sie sich gar nicht mehr regte. Ich lag wach da und war irgendwie gar nicht mehr müde. Und Ally strahlte eine unmögliche Hitze aus. Ich schlug die Decke zurück und genoss die kühle Luft auf meiner Haut. Ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Ich dachte an Smillas und mein Kennenlernen. Wie sie da an der Bar gesessen hatte und dieser Schmierlappen sie und Melissa anbaggerte. Danach ging alles ziemlich schnell. Schon am Abend danach küssten wir uns das erste Mal. Und jetzt wo ich drüber nachdachte, war der Kuss echt mies gewesen. Ich grinste in mich hinein. Eigentlich hatte sie mir gezeigt, wie es richtig ging.
Unser gemeinsames erstes Mal hatten wir schon drei Tage später. In meiner Studentenwohnung. Kyle hatte ich rausgeworfen. Ich glaube, er hatte sogar ein Date mit Melissa.
Ich hatte die ganze Bude geschrubbt, damit ich ja einen guten Eindruck bei Smilla machen würde. Ich hatte sogar das Fenster in meinem Zimmer geputzt und das Bett frisch bezogen. Ich war nervös gewesen. Ich war nie der coole Typ, für den mich heute viele halten. Was Mädchen anging, war ich immer schon einer der langsameren und schüchternen. Zumindest, wenn mir ein Mädchen wirklich gefallen hatte.
Ich hatte Spaghetti gekocht mit einer Lachs Sahne Soße. Das war einfach. Ich hatte schon immer gern gekocht und Mom hatte es mir früh gezeigt. Sogar eine Kerze stand auf dem Küchentisch. Es war ein schöner Abend mit Smilla. Schon damals konnten wir uns über alles mögliche unterhalten und hatten viele gemeinsame Interessen und Ansichten. Sie hatte mich voll erwischt.
Von der Küche waren wir ins Wohnzimmer gewechselt und schon auf dem Sofa ging das Geknutsche los und schließlich landeten wir in meinem Zimmer im Bett. Wir hatten es nicht geplant, aber ich hatte es natürlich gehofft, weshalb ich auch Kondome besorgt hatte. Die an diesem Abend allerdings nicht zum Einsatz kamen. Smilla hatte sich wundervoll angefühlt. Es hatte nicht besonders lange gedauert, aber für mich war es dennoch unbeschreiblich.  Bevor ich gekommen war, hatte ich mich aus ihr zurückgezogen, aber dass das ein beschissenes Verhütungsmittel war, wusste ich damals schon. Wir waren einfach beide zu abgelenkt gewesen. Bei den Malen danach hatten wir immer verhütet. Was wir uns im Nachhinein hätten schenken können. Ich hatte oft bedauert, das ich zu blöd gewesen war, ein Kondom zu benutzen. Aber als ich Claire das erste Mal in meinen Armen gehalten hatte, war dieses Bedauern verschwunden. Ich bereute es nie mehr auch nur eine Sekunde.
Und heute? Claire lag in meinem alten Kinderzimmer, siebzehn Jahre alt. Ally lag vor mir, friedlich schlummernd. Meine Güte. Mein Leben war ein ganz schönes Abenteuer. Ein wundervolles. Ally hätte Smilla und mich damals beinahe zusammen gebracht. Ich hatte meine Verlobung gelöst, nachdem Smilla mir gesagt hatte, dass unsere Nacht Folgen mit sich getragen hatte. Ja, wir hatten diesmal verhütet, aber das Kondom hatte nicht standgehalten. Und meine Verlobung danach ebenso wenig. Ich bedauerte es nicht. Schon als ich die Nacht mit Smilla verbracht hatte, war mir klar, dass ich nicht heiraten würde. Sonst wäre das erst gar nicht passiert. Mein Herz schlug für Smilla, aber es war schwierig. Ich war kaum da, jeder wollte etwas von mir und ich musste erstmal selbst damit klar kommen. Ich hatte Karrieretechnisch das erreicht, wovon ich geträumt hatte, aber im Leben? Meine Chance mit Smilla war vertan. Sie hielt mich auf Abstand und ich musste mich damit abfinden. Wir machten das Beste aus der Situation und wir waren gut darin. Smilla war immer einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben gewesen. Und jetzt konnte ich es irgendwie kaum fassen, dass sie nun Meine war. Und ich würde den Teufel tun und sie wieder gehen lassen.  Ich freute mich auf eine Zukunft mit ihr. In London. Sie und die Mädchen würden tatsächlich bei mir einziehen. Und wir bekamen ein Baby. Zuerst hatte ich zugegebenermaßen ein bisschen Schiss, aber jetzt freute ich mich. Sehr sogar. Und ich war gespannt, ob wir wieder ein Mädchen bekommen würden. Oder vielleicht doch einen Sohn?
Ich schwitzte immer noch, und hätte am liebsten das Fenster aufgerissen, doch das ging wegen Ally nicht. Also stand ich kurz auf, ging ins Bad, trank Etwas und klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
„Papi…“ hörte ich und ich drehte mich um. „Hey mein kleines Monsterchen. Du sollst doch schlafen“, sagte ich sanft und hob sie hoch. „Mir is so warm“, jammerte sie, lehnte sich an mich und lag schlaff in meinen Armen. Ich setzte mich auf den Klodeckel, nahm einen Becher und füllte ihn mit kaltem Wasser. „Hier trink was“, sagte ich sanft und sie trank den Becher leer. Ich fühlte ihre Stirn und beschloss, nochmal ihre Temperatur zu messen.
Das Fieber war gestiegen und ich gab ihr ein Zäpfchen, hoffte dass es bald helfen würde. Ich ging mit ihr wieder ins Bett und legte mich mit ihr auf den Arm hin. Sie lag nun auf meinem Oberkörper und schlief. Mir rann der Schweiß, aber wenigstens schlief mein Mäuschen wieder. Besonders gut schlief ich nicht, aber wenigstens lag ich nicht mehr wach im Bett. Hoffentlich würde es Ally morgen wieder besser gehen.

Die letzten Tage auf Jersey waren unspektakulär. Ally quälte sich die nächsten Tage mit Übelkeit und Bauchweh durch. Keiner steckte sich an, bis auf Henry, der die letzten Tage etwas blass um die Nase war und ebenfalls mit Übelkeit kämpfte. Dennoch kümmerte er sich rührend um Ally. Gönnte sich oft mit ihr eine Pause. Die Insel erkundigte ich mit seiner Familie oder mit Claire, die hier alles genauso kannte.
Als es Zeit was abzureisen, hing Henry allerdings richtig durch, während es Ally endlich wieder besser ging.
Die meiste Zeit des Vormittags hatte Henry vor der Kloschüssel verbracht und war nun echt nicht in der Lage, Auto zu fahren. Ich macht ihm den Vorschlag, einfach noch ein paar Tage länger zu bleiben, aber er wollte nach Hause, was ich verstehen konnte. Ich würde das schon irgendwie hinkriegen mit dem Linksverkehres war ja nicht das erste mal. Charlie und Simon waren so lieb und halfen mir beim Auto einräumen. Henry war dazu echt nicht in der Lage, aber immerhin hatte sich sein Magen soweit beruhigt, dass er sich nicht mehr ständig übergeben musste. Er sah fürchterlich aus. So wie ich mich noch vor einigen Tagen gefühlt hatte.
Wir verabschiedeten uns von Henrys Familie und versprachen anzurufen, sobald wir Zuhause waren. Die Fahrt zur Fähre war kein Problem, nur als ich drauf fahren musste, hatte ich Mühe, meine Panik zu unterdrücken. Henry hatte angeboten, den Wagen drauf zu fahren, aber ich winkte ab. Irgendwie würde ich das schon hinkriegen. So war dem auch. Der Wagen stand und ich kümmerte mich um Kal, gab ihm Wasser und Futter.
Die nächsten Stunden würde eine Herausforderung sein. Ich musste lachen. „Vermutlich hängen wir beide gleich über der Kloschüssel. Wie gut, dass Claire alt genug ist, um auf Ally zu achten. Sonst hätten wir echt ein Problem.“ Henry brummte nur. Ihm war nicht nach Lachen zu Mute. Krank war er doof. Maulig wie jeder Mann, dachte ich mir schmunzelnd. Wir nahmen Platz und als die Fähre absetzte, dauerte es nicht lange und Henry war eingeschlafen. Immerhin hatte er kein Fieber. Es schaukelte ein wenig und ich konzentrierte mich auf meine Atmung, trank hier und da einen Schluck Wasser.  Zwischendurch ging ich an Deck um frische Luft zu schnappen. Auf Claire war wie immer Verlass und sie beschäftigte ihre kleine Schwester. Henry verpasste beinahe die ganze Fahrt. Die letzte halbe Stunde kam er zu mir, setzte mich auf der Bank hinter mir und suchte meine Nähe. Er schlang seine Arme um mich, legte seine Hände schützend auf meinem Bauch und lehnte seinen Kopf an meine Schulter. „Ausgeschlafen?“ fragte ich, aber von ihm kam zunächst nur ein Brummen. Ich kicherte. „Is mir schleierhaft, wie du das tagelang ausgehalten hast.“ Murmelte er an meinem Nacken und ich schmunzelte, antwortete nicht. Das Männer mehr litten, als wir Frauen war im allgemeinen bekannt. Deshalb bekamen wir ja auch die Babys.
„Wo sind die Mädchen?“ fragte ich. „Drinnen Karten spielen.“ Murmelte er. Vermutlich hatte er die Augen wieder geschlossen. Wir blieben an Deck, bis wir zu den Autos gehen konnten und sammelten dann unsere Töchter ein.
Drei einhalb Stunden später nach zwei Staus kamen wir endlich Zuhause an.
Wir packten alle mit an und räumten das Auto aus. Anschließend nahmen Claire und Ally Kal und gingen mit ihm eine große Runde.
Ich kochte eine leichte Suppe, während Henry auf dem Sofa lag und wieder schlief. Er tat mir ja schon leid, denn er litt ganz schön. So übel war es mir nicht gegangen. Immerhin war Schokolade drin geblieben. Henry jedoch wollte gar nichts essen, blieb nur bei Tee und Wasser. Er ging früh ins Bett und ich schaute mit den Mädchen noch einen Film. Dann brachte ich Ally ins Bett und wenig später verabschiedete sich auch Claire. Ich ging noch eine kleine Runde mit Kal, und dann auch hoch, um ins Bett zu gehen.
Henry lag nicht im Bett. Dafür hörte ich ihn im Badezimmer. Hoffentlich war das bald durch. Claire hatte in zwei Tagen ihr Vorsprechen und ich wusste, dass Henry unbedingt mitkommen wollte.

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