Babykino

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Seit drei Tagen hatte ich das ok meines Arztes, das ich wieder Sport treiben durfte. Ohne Einschränkung. Seitdem stand ich immer schon sehr früh auf, ließ Smilla schlafen und schnappte mir meinen Hund, um joggen zu gehen. Nach der Dusche weckte ich die Mädchen und brachte Ally zum Kindergarten.
Das bereitete mir im Moment ziemliche Sorgen. Jeden Morgen weinte sie und auch, wenn ich sie am Mittag nach der ersten Runde im Fitnesscenter, wieder abholte, wirkte sie traurig und in sich gekehrt. Aber darüber reden wollte sie nicht. Laut den Kindergärtnerinnen war alles normal. Aber so kannte ich mein kleines Monsterchen nicht. Sonst war sie fröhlich und aufgedreht. Aber seit dem sie in diesen Kindergarten ging, war sie anders. Zuhause ging es, aber Morgens und nach dem Kindergarten war sie wie ausgewechselt. Smilla und ich konnten uns keinen Reim daraus machen und hofften, dass sie einfach Eingewöhnungszeit brauchte.
Als ich sie heute abholte, war ich ein paar Minuten früher da als sonst. Ich sah, wie sie malte. Ein Kind, das neben ihr saß nahm ihr immer wieder einen Stift weg, den sie grad benutzte. Ally nahm sich jedes mal einen anderen Stift, der ihr aber auch wieder weggenommen wurde. Ich beobachtete das Spiel eine Weile und mir zog sich die Kehle zu. Die Kindergärtnerin tat nichts.
Schließlich nahm das Kind neben Ally einen schwarzen Stift und kitzelte damit über Allys Bild. Mir reichte es, ich hatte genug gesehen. Ally knüllte das Blatt zusammen und ließ es auf den Boden fallen, wofür sie gerügt wurde. „Alison, das machen wir nicht. Wenn dir dein Bild nicht gefällt, kannst du es in den Müll werfen. Nicht auf den Boden“, schimpfte sie mit meiner Tochter und die sah zu Boden. Ich warf der Kindergärtnerin einen wütenden Blick zu. „Komm her, Monsterchen", sagte ich sanft und zog liebevoll an ihren Arm. Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und ich hob sie hoch. Ihr Gesicht vergrub sie an meinen Hals und ich spürte ihre heißen Tränen. Ich musste schlucken. Ich wusste, wie sich sowas anfühlte. In mir steckte  eben auch noch immer der dicke Junge von früher.
Ohne etwas zu sagen, verließ ich mit Ally die Gruppe und setzte mich im Flur auf eine Bank. Viele Eltern, Kinder und auch Mitarbeiter liefen an uns vorbei. Ally klammerte sich an mich und schluchzte. Es zerriss mir das Herz, meine Kleine so zu sehen. So hatte ich Ally noch nie erlebt. „Ich will hier nicht mehr hin", weinte sie an meinen Hals. „Das musst du auch nicht mehr. Versprochen.“ Ich drückte sie an mich und wiegte sie, bis sie sich etwas beruhigte. „Wollen wir nach Hause fahren, Monsterchen?“, fragte ich irgendwann und wischte ihr die Zränen aus ihrem hübschen Gesicht. Sie nickte. Ich half ihr beim Schuhe anziehen, band ihre Schleifen und hielt ihr ihre Jacke hin. Ihre Tasche nahm ich. Ihren Kal hielt sie fest umklammert. „Meine anderen Sachen?“ fragte sie. „Ich kümmere mich morgen darum", versicherte ich ihr und fuhr mit ihr nach Hause.
„Hey meine Süße. Hast du geweint?“ fragte Smilla besorgt, als wir nach Hause kamen. Fragend sah sie mich an. „Spatz, du darfst schon fernsehen. Ich muss kurz mit Mami reden“, sagte ich lächelnd zu meiner Kleinen und sie verschwand ins Wohnzimmer. „Was ist passiert?“ fragte Smilla und ich ging zu ihr, gab ihr einen sanften Kuss. „Ich werde Ally da nicht wieder hinbringen“, erklärte ich. „Henry, sie muss in den Kindergarten. Sonst kann sie nächsten Sommer nicht in die Schule.“
„Ich weiß. Wir finden einen Anderen. In den geht’s nie wieder.“
„Verrätst du mir endlich, was passiert ist?", forderte sie und ich erzählte sie, was ich beobachtet hatte, wie Ally sich rumschubsen lassen hatte und wie sehr sie geweint hatte. Mir selbst kamen allein bei der Erinnerungen fasr selbst die Tränen.
„Sie hat nichts unternommen?“ fragte Smilla ungläubig.  „Nein, sie hat zugesehen und dann geschimpft, als Ally das Blatt auf den Boden fallen lassen hat“, schnaufte ich und Smilla seufzte. „Mein armes Mäuschen“, sagte sie leise und lehnte sich an mich. „Ich fahre morgen hin und melde sie wieder ab“, entscheid ich und Smilla nickte. „Aber wir müssen einen neuen für sie finden", wandt Smilla ein. „Das werden wir. Wir könnten direkt in Mitchham suchen. Wir werden in zwei Monaten eh dort leben und sie wird dort zur Schule gehen. Dann kennt sie auch schon Kinder dort“, schlug ich vor und Smilla nickte. „Bald hat Claire ihren Führerschein und kann dich beim Fahren unterstützen, wenn ich in New York bin", fügte ich hinzu. „In Ordnung“, gab sie mir ihr Einverständnis. „Holst du das Hühnchen aus dem Ofen? Ich würde gern zu Ally gehen", bat sie mich und ich nickte. Ich deckte den Tisch und wartete, bis Ally und Smilla in die Küche kamen. Ally sah schon wieder viel fröhlicher aus, was mich erleichterte. „Du denkst noch daran, dass ich heute einen Arzttermin habe?“ fragte mich Smilla. Ich war zwar im Moment viel abgelenkt durch mein Workout, welches ich aufholen musste, aber das würde ich sicher nicht vergessen. „Natürlich. Ich verpasse doch das Babykino nicht.“ Schlimm genug, das ich beim nächsten nicht dabei sein konnte. Und bei dem darauffolgenden vielleicht auch nicht. Jetzt begann die spannendste Zeit der Schwangerschaft und ich würde wieder nicht da sein. Ich hatte alles versucht, den Film zu schieben, aber es war unmöglich. Blieb nur zu hoffen, dass wir termingerecht abdrehen würden. Dann wären wir im Dezember fertig. Die Dreharbeiten hatten schon letzten Monat begonnen, in drei Wochen würden meine beginnen.
Als Claire von der Schule kam, machte sie ihre Hausaufgaben, wobei sie wieder meine Hilfe in Französisch brauchte. Das war eindeutig nicht ihre Stärke. Ich würde mein Bestes geben, und ihr helfen, soweit ich konnte. Hauptsache sie würde bestehen. Die Note war letztlich egal.
Ian kam wenig später und er und Claire gingen mit Ally zum Spielplatz hier in der Nähe, während ich mit Smilla zu ihrem Arzt fuhr.
Wir mussten nicht lange warten und Smilla wurde reingebeten. Mittlerweile war es hier nicht mehr ganz so verstörend für mich, wie beim ersten Mal. Auch weil Smillas Arzt eine Frau war.
Die Ärztin untersuchte Smilla und war zufrieden. Alles sah gut aus. Dann begann das Babykino. Für mich was das immer das Highlight einer Untersuchung.  
Wie groß der kleine Bauchzwerg schon geworden war. Arme und Beine waren gewachsen und ich konnte sogar die Wirbelsäule erkennen. Das Herz schlug schnell und regelmäßig.
Während die Ärztin ihre Abmessungen machte, drückte ich Smillas Hand und lächelte ihr zu.
„Alles sieht super aus. Es macht sich gut. Sollen wir schauen, ob wir schon sehen können, was es wird?“ fragte die Ärztin und Smilla und ich tauschten einen Blick aus. Dann nickte sie.
Die Ärztin fuhr mit der Ultraschallsonde Smillas Unterleib entlang, bis sie stoppte. Ich musste lachen. Was ich da sah, war deutlich. „Da kann man ganz eindeutig einen Schniedel sehen. Alles da, was da sein soll.", sagte die Ärztin schmunzelnd und Smilla zog mich am Kragen meines Pullovers zu sich runter und küsste mich. Wir würden einen Sohn bekommen. Ich hatte es kaum für möglich gehalten. Letztendlich wäre es egal gewesen, doch es machte mich unsagbar stolz. Ein weiterer kleiner Cavill Junge. Charlie würde ebenfalls einen Jungen bekommen, was mich nicht sonderlich gewundert hatte. Simons Sohn war vor drei Wochen auf Die Welt gekommen. Einen Carl Henry. Er hatte den Zweitnamen von mir, was mich als Pate ebenfalls sehr stolz gemacht hatte.
Doch zu wissen, einen eigenen Stammhalter zu bekommen überwältigte mich beinahe. „Ich möchte, dass wir das für uns behalten“, bat mich Smilla. „Ok“, erwiderte ich und küsste sie erneut. Die Ärztin drückte ein Bild aus und ich schnappte es mir, bevor Smilla es nehmen konnte. Triumphierend grinste ich sie an. „Du musst schneller werden, wenn du das Bild haben willst.“ Sie zog eine Schnute und gnädiger Weise druckte die Ärztin ein weiteres Bild aus, gab es diesmal meiner Freundin. Freundin. Dieser Ausdruck war unpassend für Smilla. Sie war so viel mehr. Es wurde Zeit, dass sich das änderte. Schon seit Wochen trug ich den Ring in meiner Hosentasche mit mir rum, den mir vor Jahren meine Großmutter gegeben hatte. Es war ihr Verlobungsring gewesen. Ich wartete auf den passenden Moment, nur hatte es den noch nicht gegeben, oder ich zog den Schwanz ein.

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