Der letzte Abend

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Es war wieder passiert. Aber diesmal schien es anders zu sein. Dieses mal waren echte Gefühle mit im Spiel. Er wollte mit mir zusammen sein. Ich hatte Angst und Zweifel. Wenn wir es versammeln würden, würde es alles kaputt machen. Aber er hatte recht. Ein Versuch war es wert. Ich war total verrückt nach Henry und das auch nicht erst, seit er hier war. Ich war es immer gewesen. Und tief in mir drinnen, war es schon immer mein Wunsch, ihn als Partner an meiner Seite zu haben. Ich hatte es mir nur nicht eingestehen wollen.
Nun lag ich hier in seinen Armen und ich fühlte mich wohl und sicher. Er hatte die Decke über uns gezogen, nachdem er das Kondom entsorgt hatte. Ich würde nicht die ganze Nacht hier bleiben können, denn das Risiko, dass Ally reinplatzen könnte, war zu groß. Und ich wollte noch nicht, dass die Mädchen von uns erfuhren. Wir mussten erst sehen, wohin es uns führte.
Dennoch widerstrebte es mir, aufzustehen, und ihn alleine zu lassen.
Henry neben mir schlief entspannt und ich betrachtete ihn. Er lag auf der Seite, mir zugewandt und ich musste zugeben, das er wie ein Koloss wirkte. Wie ein anmutiger, muskulöser Koloss. Und er gehörte mir. Ich lächelte in mich hinein und strich ihm sachte über die Stirn, ehe ich mich vorsichtig aus deinen Armen befreite. „Wo willst du hin?“, hörte ich ihn tief brummeln, was mich schmunzeln ließ. „Ich muss rüber, Henry. Schlaf weiter“, flüsterte ich und er rollte sich brummend auf dem Bauch, schlief schon wieder. Ich grinste, suchte halb blind meine Klamotten zusammen, zog mir Slip und Shirt an und schlich dann hinüber in mein Zimmer. Ich legte mich ins kalte Bett und dachte an die vergangenen Stunden. Den Gedanken festhaltend schlief ich irgendwann ein.

„Papa, ich muss Pipi!“, krakehlte meine Tochter und riss mich so aus dem Schlaf. Unmittelbar danach ein Türpoltern. Ich schaute auf die Uhr. Es war halb 8 und ich hatte gefühlt nicht geschlafen.
Ich rappelte mich auf und schlurfte verschlafen Richtung Bad. Die Tür stand sperrangelweit auf. Ally saß auf dem Klo und Henry stand mit nacktem Oberkörper am Waschbecken, putzte sich die Zähne.
„Morgen", murmelte er mit Zahnbürste im Mund. „Nettes Shirt“, zwinkerte er mir zu und spülte den Mund aus. Ich schaute an mir herunter und wurde rot. Ich hatte letzte Nacht sein Shirt erwischt und es angezogen. Ally  wusch sich die Hände und flitzte an mir vorbei, zurück in ihr Zimmer. Ich schaute ihr nach und ehe ich mich versah, hatte Henry mich ins Bad gezogen und die Tür hinter uns gegeschlossen.
„Du warst heute morgen nicht mehr da", grummelte er und ich kicherte.
„Richtig. Ich bin gegangen, damit uns unsere Tochter nicht inflagranti erwischt“, erklärte ich. Henry brummte und küsste meinen Hals. „Henry, bitte. Ally kann jeden Moment wieder hier rein platzen“, bat ich, seufzte aber wohlig. Dann küsste er mich leidenschaftlich und ich klammerte mich an ihn, weil meine Knie weich wurden.
„Du Frühstück, ich Monsterchen?“ fragte er dann, nachdem er sich von mir löste. Ich nickte und sah ihm nach. Ich atmete tief durch, weil ich mich ein wenig sammeln musste. Der Kerl raubte mir den Verstand.
Ich zog mir zuerst bequeme Sachen an. Das Shirt von ihm behielt ich einfach an, denn es roch so schön nach ihm. Gestern Nacht hatte einfach alles nach ihm gerochen, deshalb war mir nicht aufgefallen, dass ich das falsche Shirt erwischt hatte.
Ich ging runter, deckte den Frühstückstisch und kochte Eier.
Wir frühstückten gemeinsam, dann war es Zeit mit Ally zum Doc zu fahren. Ihr Gips musste gewechselt werden und ihr Arm sollte nochmal geröntgt werden. Dann wurde endgültig entschieden, ob sie morgen in den Kindergarten gehen dürfte.
Henry begleitete uns. Allys Arm heilte gut. Sie bekam noch die Fäden gezogen und einen neuen Gips. Diesmal in Rot. Dann konnten wir schon wieder gehen. Wir fuhren nach Hause und beschäftigten uns mit Kind und Hund.
Ich genoss Henrys Nähe, auch wenn ich ihm leider nicht so nah sein konnte, wie ich es gern hätte. Zwischendurch, wenn Ally mal den Raum verließ, kam Henry schnell zu mir und stahl sich einen Kuss von mir.
Am Nachmittag kam Claire nach Hause. Marina und sie hatten eine 1 für ihr Referat bekommen, was uns sehr stolz machte.
Nachdem sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte, gingen wir zu viert und mit Kal in den Wald. Das Wetter war herrlich, knappe 20 Grad, und das wollten wir ausnutzen. Für die nächsten Tage war wieder mehr Regen angesagt. Wir gingen zum nahegelegenen Bergsee, liefen einmal drum herum und schließlich wieder nach Hause.
„Habt ihr Hunger auf Burger?“ fragte ich meine Meute irgendwann. Ich hatte nicht wirklich Lust zu kochen. „Oh ja. Können wir zu Dave's fahren? Bitte, Mama!“, bettelte meine Älteste und ich musste lachen. Genau das war mein Plan gewesen. Also waren wir schon bald losgefahren und saßen wenig später in dem kleinen Restaurant. Wie immer hatte Ally einen ausgezeichneten Hunger, was bei ihrem Bewegungsdrang nicht verwunderlich war. Während sie und Henry einen Burger und Pommes verdrückten, bekamen Claire und ich kaum den Burger auf. Henry übernahm Claires Rest und Ally futterte noch ein paar von meinen Pommes. Es war ein schöner, entspannter Abend und anschließend gingen wir noch ein bisschen in der Stadt spazieren.
Als es anfing zu Dämmern, würde es Zeit nach Hause zu fahren. Es war eigentlich schon Schlafenszeit für Ally.
Zuhause machte ich sie gleich fertig fürs Bett. Für die gute Nacht Geschichte war Henry heute wieder verantwortlich. Es war auch erstmal die letzte Gelegenheit. Danach würde Ally ihren Papa ein paar Wochen nicht sehen können. Und ich leider ebenso wenig. Claire hatte das Glück, ihn in vier Wochen zu sehen. Wenn sie auf Abifahrt ging.
Den ganzen Tag über hatte Henry mir immer wieder verstohlene Blicke zugeworfen, die mir das ein oder andere Mal die Röte in die Wangen schießen ließen. Das quittierte er meist mit einem Lachen. Mistkerl.
Claire hatte sich in ihr Zimmer verkrochen und so waren Henry und ich alleine im Wohnzimmer, als er Ally zu Bett gebracht hatte. „Und was machen wir zwei hübschen jetzt?“ fragte er und beugte sich über mich, hauchte mir ein, zwei, drei Küsse auf die Lippen. Ich lächelte. „Wir setzen uns gesittet nebeneinander, denn Claire hat noch nicht Gute Nacht gesagt. Das bedeutet, sie kann jeden Moment wieder runter kommen."
Er grummelte und richtete sich wieder auf, als die Tür auch schon aufging und unsere Älteste ins Wohnzimmer kam. Ich lachte leise als sich Henrys Wangen leicht rosig färbten. Er räusperte sich und setzte sich schließlich neben mir aufs Sofa.
„Ich hab Hunger. Haben wir noch was zu knabbern?“ fragte meine Große ich schüttelte den Kopf. „Wir haben grad Burger und Pommes gegessen. Und du willst schon wieder naschen?“ fragte ich amüsiert.
„Jap“, kam es nur von ihr und lugte in den Süßigkeitenschrank. Die oberste Schranktür, damit Ally nicht rankam. Sonst wäre alles sofort leer, kaum, das es gekauft war.
Sie schnappte sich eine Tüte Chips und verschwand wieder nach oben.
Ich kicherte. „Da hast du ja gerade nochmal Glück gehabt", schmunzelte ich und beugte mich kurz rüber, um mir einen kleinen Kuss zu stehlen. Dann machte ich die Serie vom Vorabend wieder an und lehnte mich zurück. Ich versuchte, mich auf die Serie zu konzentrieren, was gar nicht so einfach war. Immer wieder sah ich zu Henry hinüber. Zu gern hätte ich ihn gern geküsst. Ihm schien es ähnlich zu gehen, denn auch er sah immer wieder zu mir und schenkte mir ein kleines, schüchternes Lächeln. Ich konnte gar nicht beschreiben, was in mir vorging. Da war dieses Flattern in meinem Bauch, was ich ewig nicht gespürt hatte. Henry war mir einerseits sehr vertraut, doch jetzt war alles auf einmal so neu. Die Blicke, die wir uns zuwerfen. Fast schüchtern und gleichzeitig verlangend. Seine Berührungen, auch wenn sie nur rein zufällig waren, zuckten durch meinen gesamten Körper. Und dann war da diese unendliche Sehnsucht, in seinen Armen zu liegen. Von ihm geküsst und geliebt zu werden. Heute Nacht mit ihm das Bett zu teilen würde schwierig werden. Das Risiko war einfach zu hoch. Es musste einfach noch geheim zwischen uns bleiben. Ich wollte nicht, das die Kinder Hoffnungen bekamen, das wir nun eine glückliche Familie waren. Nicht, das wir vorher unglücklich waren. Nein, so war das nicht. Wir waren glücklich mit der Situation gewesen. Alles lief gut, doch es hatte scheinbar immer dieser eine kleine Funken gefehlt, der nun über uns kam, wie ein Fegefeuer. Ich sah die Begierde  in seinen Augen, als er mich einmal länger ansah und ich konnte nicht abstreiten, das es mir genauso ging. Der Abschied morgen würde schwer werden. Nicht nur, weil wir uns dann für unbestimmte Zeit nicht sehen würden, sondern auch, weil ich ihn nicht einmal würde küssen können. Ich seufzte und Henry sah zu mir. „Was ist los?“, fragte er sanft und strich kurz über meine Wange.
„Ich möchte mich nicht verabschieden“, gab ich murmelnd zu.
„Ich mich auch nicht.“ Mehr sagte er nicht. Das es unausweichlich war, war uns beiden klar. Nun war er es, der schnaubte und sein Hund der vor ihm auf dem Boden lag, tat es ihm gleich. Ich musste lachen. „Ihr seid euch ganz schon ähnlich“, scherzte ich und Henry zog eine Augenbraue in die Höhe. Da war es wieder, dieses Cavill-Ding. „Aber ich bin nicht so haarig“, widersprach er. „Nur fast", konterte ich und er sah mich entsetzt an, was mich zum Lachen brachte. „Hexe!“, beschimpfte er mich liebevoll und knufffte mich. „Ich kann mich rasieren….“ Schlug er vor, doch ich schüttelte den Kopf. „Bleib einfach, wie du bist, Henry. So gefällst du mir ziemlich gut", gestand ich schmunzelnd. „Nur ziemlich?“, fragte er, und hob wieder seine Augenbraue  in die Höhe, was mich wieder zum Lachen brachte. „Ziemlich doll. Ebenso wie dieses Cavill-Ding,“ Gab ich zu und tippte ihm an eben diese Augenbraue. „Cavill-Ding?“ lachte er. „Ja. Das was du und deine Mädchen immer mit der Augenbraue machen", erklärte ich, und Henry lachte ausgelassen.
„Was ist so lustig, Dad?“ fragte Claire, die das Wohnzimmer betrat. „Deine Mom hat mir grad von dem Cavill-Ding erzählt. Kennst du das?“, wollte er wissen und als Antwort zog sie ihre Augenbraue hoch. Ich lachte herzlich. „Da, siehst du?“, fragte ich lachend und Henry schüttelte amüsiert den Kopf.
„Na Hauptsache ihr habt Spaß“, unterbrach uns unsere Älteste. „Ich wollte gute Nacht sagen. Dad, weckst du mich morgen früh? Ich würde dir gern noch Tschüss sagen.“
„Na klar. Dann schlaf gut, Prinzessin“, sagte er sanft und drückte Claire,  die zu ihm gekommen war. „Du auch“, murmelte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Immer noch nicht rasiert“, scherzte sie und Henry grinste. Dann sagte Claire auch mir gute Nach und verschwand nach oben.
„So“, kam es von Henry, so als würde er eine große Ankündigung machen.

Mich amüsierte ihr fragender Blick. „Was passiert jetzt?“, fragte sie überrascht, worüber ich lachen musste. „Ich weiß nicht“, murmelte ich. „Sind wir jetzt alleine und ungestört?“
„Das kann man nie wissen“, gab Smilla zu Bedenken, und sie hatte Recht. Man wusste nie, wann eines der Mädchen wieder reinplatzen würde. Dabei wäre ich am liebsten über sie hergefallen und hätte sie abgeknutscht. Und mehr. Aber wir sollten nichts riskieren.  
Dennoch rutschte ich ein Stückchen näher und legte meine Hand auf eines ihrer Beine, die sie unter einer Wolldecke gelegt hatte. Mehr würde ich lieber nicht riskieren. Ob ich nachher noch in ihr Schlafzimmer schleichen könnte würden wir sehen. Ich seufzte innerlich. Dieses Versteckspiel passte mir nicht, aber es war besser so. Es würde die Kinder nur verunsichern.
Ich sah Smilla an. Was die Frau mit mir anstellte war auch für mich ganz neu. Ich hatte einige Beziehungen gehabt in den letzten Jahren, aber nie war ich so verrückt nach einer Frau, wie nach ihr. Mein Drang, sie ständig anzusehen und zu berühren war übermächtig. Wie ein Magnet zog sie mich an. Meine Gedanken kreisten fast nur noch um sie. „Was machst du nur mit mir?“, flüsterte ich und seufzte. „Ich? Ich mach doch gar nichts“, wunderte sie sich und ich grinste. „Mein Hirn funktioniert nicht mehr normal, wenn du in meiner Nähe bist“, erklärte ich. „Ich weiß was du meinst", lächelte sie und ich beugte mich schnell zu ihr rüber, um ihr einen kleinen Kuss zu geben. Doch sie legte ihre Hand in meinen Nacken, zog mich näher zu sich und verwickelte mich in einen leidenschaftlichen Kuss. Ich seufzte in den Kuss hinein, denn schon dieser Kuss erregte mich ungemein. Als sie sich von mir löste, räusperte ich mich und schob meine Hose zurecht, die sie im Schritt ein wenig eng geworden war. Smilla schmunzelte mit leicht geröteten Wangen. „Oops", entkam ihr und grinste mich unschuldig an. „Du bist wirklich eine Hexe“, grummelte ich, grinste dann aber ebenso.
Den restlichen Abend verbrachten wir gesittet, Fernseh schauend auf dem Sofa. Wir gingen recht früh schlafen, denn für mich wäre die Nacht früh zu Ende. Ich gab ihr einen ausgiebigen Gute Nacht Kuss und ging dann ins Bett. Allein wohlgemerkt. Vermutlich hätte ich anders keinen Schlaf bekommen.
Ich tat mich ein bisschen schwer mit dem Einschlafen, aber irgendwann war ich doch weggedämmert.

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