Kapitel 14

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Heute war Besuchertag, doch ich erwartete wie auch in der letzten Woche niemanden. Meine Mum würde morgen kommen und mir meine frische Wäsche bringen. Seitdem ich hier lag, hatte ich kein einziges mal eine Jeans getragen. Und das würde ich auch nicht. Hier besuchte mich doch eh niemand. Nächstes Wochenende war Weihnachten, doch ich hatte keine Lust. Alles was ich für dieses Jahr geplant hatte, war in den Eimer gefallen. Seit ich hier war, hatte keine einzige Träne mein Gesicht verlassen. Ich saß auf meinem Bett und starrte hinaus. Der einzige freie Ort den ich kannte, war der Balkon. Auf diesem saß ich jede Nacht, egal wie spät oder kalt es war. Zwar sagten die Krankenschwestern immer, dass ich reinkommen solle, aber auch das hatten sie sich abgewohnt. Sie merkten, dass es mir gut tat. Langsam stand ich auf. Wie auch in den letzten Wochen versuchte ich ein paar Schritte zu gehen. Doch nach zwei knickte ich wieder zur Seit. Schnell griff ich an die Bettleiste und konnte mich gerade so am stehen halten. Ich griff laut ausatmend nach meinen Krücken und lief mit diesen zur Balkontür. Jeder Schritt war anstrengend. Doch es wurde immer besser. Nach den Weihnachtstagen und Neujahrsfesten würde ich meine letzten drei Untersuchungen haben und dann könnte ich endlich nach Hause. Als mein Arzt mir das erzählt hatte, war ich ziemlich glücklich gewesen. Endlich konnte ich wieder in mein vertrautes Bett und musste mich nicht auf der elenden Krankenhausmatratze quälen.

Doch bis dahin war noch eine etwas längere Zeit gefragt.

An Weihnachten kamen meine Mum und Ben, Madison und Laura. Die zwei kamen zwar auch nicht sehr oft, aber wenn sie kamen, war es immer recht lustig. Auch wenn sie viel Mitleid hegten, was ich eigentlich gar nicht wollte. Ich bekam eine neue Jogginghose von meinen besten Freundinnen und das IPhone 7 plus Air Pods von Mum und Ben. Dann würden sich jetzt wenigstens meine Kabelkopfhörer nicht mehr in meinem Handy verfangen, hatte ich gescherzt. Sie hatten gezwungen gelacht. An dem Tag hatte meine Mutter auch meine Tasche mit gebracht. Allerdings waren darin noch ein paar andere Dinge gewesen. Unter anderem auch ein paar Bücher. Es waren sechs Stück. Ich sollte doch nur eine Woche hierbleiben, wieso also so viele? Als ich die Bücher ansah, merkte ich, dass meine Mutter mir eine Freude hatte machen wollen. Sie hatte ein paar meiner Lieblingsbuchreihe Harry Potter eingepackt. Ich konnte Teil vier, fünf, sechs und sieben entziffern. Früher hatte ich sie auch schon ziemlich oft gelesen. Dazu lagen noch zwei Krimis, welche ich hier ich im Krankenhaus angefangen hatte zu lesen.

Zwar hatte ich die Aktion nett gefunden, doch was ich mir danach von meinem Arzt anhören durfte, war das Gegenteil von toll gewesen. Ich musste noch eine drei monatige Reha machen. Diese war an der Nordsee, heißt recht weit von zu Hause weg. Aber meine Mum hatte nur: „Solange es dir hilft. Wir werden dich auch mindestens jedes zweite Wochenende besuchen. Versprochen mein Schatz." Ich wusste, dass es ihr egal war. Sie hatte sich noch mehr verändert als ich. Sie war abweisend geworden. Ich wusste nicht wieso sie so war, doch um ehrlich zu sein, hatte ich auch nicht die Lust heraus zu finden was sie genau hatte. Wir mischten uns nicht mehr in die Probleme des anderen ein.

So kam es, dass ich am sechsten Januar Zweitausendsiebzehn in die Reha fuhr. Ich durfte raus, ins Auto. Zwar nicht viel besser, aber ich war endlich aus dem weißen, sterilen Gefängnis ausgebrochen. Und es hatte sich so gut angefühlt, als ich aus dem Gebäude gegangen war. Die schlimmste Zeit meines Lebens war endlich vorbei. Alle Qualen hatte ich hinter mir gelassen. Doch jetzt würde noch der letzte kleine Abschnitt dieses Kapitels kommen. Die Reha. Doch es interessierte mich nicht. Dort gab es Unterricht, auch für meine Stufe. Zwar nicht so gut wie manch anderes, aber das würde mir auch reichen.

Mein Zimmer war nicht das größte, aber es wirkte gegen das weiße Krankenzimmer, wie ein kleines zu Hause. Ich durfte mich alleine bewegen. Durfte machen was ich wollte. Ich sollte nur für die richtigen Stunden und dem Unterricht da sein. Der Unterricht wurde von einer netten jungen Frau geleitet, welche uns nicht bemitleidete und doch uns nicht ganz normal behandelte. Die Reha stunden waren recht anstrengend, aber machbar. Ich hielt mich oft in einer kleinen Bibliothek auf, welche sehr viele Bücher bot. Madison und Laura würden mich zwar nicht besuchen kommen, aber wir schrieben oft und telefonierten ab und zu. Allerdings wusste ich ab diesem Moment schon, dass nichts mehr gleich sein würde, sobald ich wiederkomme.

Ich lernte neue Menschen kennen und ich freundete mich sogar mit drei Leuten an. Zwei Jungen und einem Mädchen. Sie hieß Leyla und die Jungs Maurice und Joshua. Sie waren wirklich nett und man konnte viel mit ihnen machen. Leyla war in der Reha wegen ihres gebrochenen Armes, welcher nie ganz verheilt war. Maurice wegen seiner Psyche und Joshi wegen seinem Fuß. Wir hatten also alle ein kleines Handicap, was aber alles andere als schlimm war. Wir konnten nun mal nicht viel machen, aber allein die Abende, welche wir am Strand verbrachten oder in Leylas und meinem Zimmer, waren atemberaubend. Genauso wie an einem der Abende. Maurice hatte Alkohol besorgt und wir hatten uns um neun Uhr abends im Mädchenschlafsaal getroffen. Die älteren durften an Wochenenden wach bleiben, solange sie wollten. Oft hatten wir das schon ausgenutzt. Als wir unseren Klopfcode (zwei Mal langsam, drei Mal kurz) hörten, rannte Leyla zur Tür und ließ die Jungs herein. Wir ließen uns auf unser Sofa plumpsen. Leyla und ich waren in meiner zweiten Woche zusammen auf ein Zimmer gekommen, da wir uns sofort gut verstanden hatten. Dort hatten wir nun auch eine Couch und einen kleinen Fernseher. Es war recht lustig und wir tranken recht viel. Ich war aber dennoch die Einzige, die nicht so einen im Schiff hatte. „Also ich finde, dass das hier das Beste ist was uns passiert ist", fing Joshua an. „Wir haben zusammen gefunden und sind wie eine behinderte Familie geworden", sprach Maurice weiter. Leyla lallte irgendwas vor sich hin, während ich nur lachen den Kopf schüttelte. Ja, sie hatten mich wieder zum Lachen gebracht. Als die Uhr bereits drei Uhr nachts anzeigte, entschieden wir uns schlafen zu gehen. Da wir alle leicht angeschickert waren, blieben die Jungs bei uns. Leyla schlief, da wir nicht wussten, was sie im betrunkenen Zustand alles machen würde, alleine. Joshua nahm das Sofa und Maurice und ich schliefen in einem Bett. Wir waren fast noch nüchtern (wenn man das so nennen kann). Als wir uns gerade hingelegt hatten, hörten wir schon ein paar Schnarcher, was bedeutete, dass die zwei anderen bereits schliefen. „Lou, bist du noch wach", hörte ich einen meiner besten Freunde flüstern. „Mhhh", antwortete ich. Das Bett ruckelte leicht. Maurice hatte sich so gelegt, dass er mich ansehen konnte. Auch ich drehte mich, aber auf Abstand bedacht. „Darf ich dich was fragen?" „Was auch immer du willst Maurice", lachte ich. „Wie hast du dir eigentlich das Knie damals so kaputt gemacht." „Wieso fragst du?" „Einfach so", schilderte er „Ich kann mich nur nicht erinnern, dich jemals danach gefragt zu haben." „Ich bin bei einem unserer wichtigsten Handballspiele umgetreten worden. Dort verrenkte ich mir mein Knie und zog mir eine Gehirnerschütterung zu, da ich auf den Kopf fiel. Seitdem kann ich mich auch an manches nicht erinnern." „Ok krass." Ich wusste wieso Maurice hier war. Sein Vater hatte seine Mutter und ihn immer geschlagen. Seine Mutter war vor einem Jahr gestorben, und er wurde hier her gebracht. Doch bald könnte er zu seinen Großeltern ziehen. „Werden wir eigentlich weiterhin Kontakt haben, wenn wir alle gehen", fragte ich in die Stille hinein. „Natürlich du Dummerchen. Das hier bleibt für immer", antwortete er. Mit Maurice hatte ich schon seit wir befreundet waren immer viele tiefgründige Gespräche geführt. Und diese hatten immer geholfen. „Gute Nacht Mo", sagte ich nach einer kurzen Stille. „Nach Dummerchen." So drehte ich mich erneut von ihm weg. Doch ich konnte einfach nicht einschlafen.

Ich hatte Freunde, welche es ebenso wenig leicht hatten wie ich, gefunden. Leyla war ein Jahr jünger als ich, heißt fünfzehn. Joshi ist in meinem Alter, sprich sechzehn, aber bald siebzehn. Maurice war der älteste, denn er war Ende des letzten Jahres siebzehn geworden. Aber so groß war dieser Altersunterschied nun auch wieder nicht. Joshua und ich hatten fast jeden tag zusammen Unterricht, welcher durch ihn viel entspannter wurde und ich keine Probleme in manchen Fächern mehr hatte.

Die Zeit war rasend schnell vergangen. Leyla hatte die Reha vor wenigen Tagen verlassen und war zurück zu ihren Eltern nach Berlin gefahren. Joshua würde in zwei Wochen gehen, ich in drei und Maurice in vier.

The Book || a Fred Weasley Fan-Fiction (deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt