Kapitel 36 - Lesenacht

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„Weißt du noch, als ich in der Bibliothek so ausgerastet bin?" , erinnerte er mich an eines seiner schmerzhaftesten Taten.
„Weißt du auch, dass alles gelogen war?" , hängte er an.
„Ich finde es nicht normal, einem anderen Mädchen unter vier Augen ein Kompliment zu geben. Und das Kompliment, was ich dir gab, war auf keinen Fall nebensächlich, wie ich darstellte. Aber mit deiner Sturheit hast du unabsichtlich einen wunden Punkt getroffen. Du hast mich an sie erinnert, während ich dein Engelsgesicht bewunderte. Unüberlegter und unpassender könnte dein vulkanartiger Ausbruch nicht sein. Diese Beziehung mit ihr war ein empfindliches Thema für mich. Sie hat mich nicht geliebt und das hat mich fertiggemacht. Weißt du, ihre unerwiderte Liebe war wie ein Faust ins Auge. Aber hättest du meine Liebe nicht erwidert, so wäre es wie ein Messerstich in mein Herz, d/N." , gab er die verschwiegene Seite der Geschichte preis, die mir zu jenem Zeitpunkt den erbarmungslosen Schmerz erspart hätte, den ich durchstehen musste.
„Und weißt du Mattia, dass ich genauso log, als ich vorspielte, dass mich dieser Vorfall nicht interessierte? Weißt du, dass dein damaliger hartherziger Blick, der Nichts außer frostige Kälte aussagte, meine Seele zum Brennen brachte? Weißt du, dass ich so viele Tränen vergossen habe, dass ich ein gesamtes Volk damit versorgen könnte? Weißt du, dass meine Wangen und Augen konkurrierten, wer an blutiger Röte vorausgeht?" ,entschied ich mich ebenfalls das Verdeckte zu offenbaren und meine Schmerzen zu enthüllen.

Ich stütze mich mit meinen Händen auf dem Bett ab, um mich aufzurichten und sein Gesicht zu betrachten. Ich drehe mich im Kreis und versuche auf diesem haltlosen Wasserbett mein Gleichgewicht beizubehalten. Seine Arme umschlossen während meiner Rede ununterbrochen meine Taille, weswegen ich mit diesem Anblick nicht rechnete. Ich rotierte und sah sein feuchtes Augenpaar. Sie waren mit Tränen gefüllt. Doch diese waren so erstarrt wie Er selbst und waren unfähig, sich vom Fleck zu bewegen und sein Gesicht hinunterzugleiten. Ich fixierte mein Spiegelbild in seinen glasigen Augen und meine eigene Reflexion wurde stets unschärfer, weil das Wasser in ihnen stieg.

„Mattia." , sagte ich ängstlich, weil ich nicht aus seinen Augen verschwinden wollte.
„Mattia." , wiederhole ich wahrscheinlich zum hundertsten Mal seinen Vornamen am heutigen Tag.

Ich nahm ihn öfter in meinen Mund, als in meiner gesamten Lebenszeit.

„Ich wollte dieses Kapitel abschließen. Müssen wir es dazu nicht beide erstmal vollständig lesen, um es wegzulegen? Ich wollte dir nicht weh tun. Ich wollte nur ehrlich sein. Bitte höre auf. Sag was." , versuchte ich ihn verzweifelt von meiner guten Absicht zu überzeugen.
„Wieso habe ich so viel Macht über dich? Ich bin dieser Verantwortung nicht gewachsen, d/N. Ich bin deiner Liebe nicht gewachsen."

𝑯𝒆𝒓𝒛 𝒐𝒅𝒆𝒓 𝑽𝒆𝒓𝒔𝒕𝒂𝒏𝒅 // 𝑴. 𝑷.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt