„d/N?" , ertönt eine bestürzte Stimme nur wenige Meter hinter uns, die mir allzu bekannt ist.
Ich schreckte zusammen und schleuderte mein Kopf in die Richtung des Lautes. Eine weibliche Person mittleren Alters - meine Mutter. Die streichelnde Hand zog ich blitzschnell zurück. Mein Herz rutschte mir in die Hose. Ihre gefüllten Einkaufstüten trafen die schmierige Bodenfläche, sodass der Inhalt sich über die gesamten Fliesen verstreute. Sie traute ihren Augen nicht. Die Blicke aller Kunden lagen auf uns Drei. Auch wenn meine Mutter eine Unbekanntheit für Mattia darstellt - Sie kannte ihn.
Meine beste Freundin war ein Teil unserer Familie.
Mit den Bildern mit ihrem Freund war meine Mutter vertraut. Sie kommt auf mich zu und ihre weit aufgerissenen Augen ließen mein Adrenalinspigel in die Höhe schnellen.„Sag mal d/N, ist das nicht der Freund von -" , doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen und ihre Vermutung aussprechen.
Dabei kann man von Vermutung kaum sprechen, es war die traurige Wahrheit.
„Auf keinen Fall!" , schoss aus mir heraus.
Meine Atmung war außer jeglicher Kontrolle.
„Mama, Wie wagst du es, so etwas allein in Erwägung zu ziehen?" , beschuldigte ich sie und versuchte so viel Sicherheit wie möglich auszustrahlen.
Mein Puls raste. Meine Mutter war aber unbiegsam und verbissen: „Ich bin doch nicht doof! Ich kenne doch die Bilder von dem jungen Mann. Und dein Freund ist dieser Herr sicherlich nicht! Dein Name ist Mattia, nicht wahr?"
Sie richtete sich an Mattia, doch er steht wie angewurzelt und verbleibt tonlos, aus Angst die Situation zu verschärfen. Mein Körper erzitterte. Er liest mir meinen einzigen Wunsch von den Lippen ab - Er muss lügen.
„Nein, Ich bin Santiago." , sprach er nach einer langen zähneklappernden Pause.
Erleichtert atmete ich aus, denn ich merke, wie lange ich meine Luft angehalten habe.
„Kennen Sie zufällig die beste Freundin meiner Tochter? Ihr fester Freund ist Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten." , erklärte sie ihm immer noch verdutzt, denn mittlerweile zweifelt sie an ihrem Gedächtnis und ihre Merkfähigkeit.
„Zufälle gibt's." , antwortet Mattia nervös lachend.Und ein ebenso angespanntes Lächeln erscheint auf ihren schmalen und faltigen Lippen, welche mit einem dunkelbraun geschminkten Rand versehen sind. Es war ihr peinlich so einen Aufruhr verursacht zu haben und sie realisiert, wie alt sie scheinbar geworden ist. Und egal wie konfliktreich, lieblos und distanziert unser Verhältnis ist, es zerbrach mir mein Herz, sie in so eine fürchterliche Lage gesetzt zu haben.
„Dann tut es mir leid für dieses Missverständnis." ,entschuldigte sie sich zuvorkommend und schaut verlegen in die verärgerten Gesichter der Kundschaft um uns herum, denn die Auseinandersetzung war lautstark.
Sie geht in die Knie, um die Lebensmittel einzusammeln. Unaufgefordert kopierten wir diesen Vorgang, um ihr zu helfen. Der Schock saß immer noch tief. Als wir uns hautnah und auf Augenhöhe gegenüber standen, flüstert sie mir wutschnaubend zu: „Siehst du, was du angerichtet hast. Du hast mich vor aller Augen gedemütigt. Hättest du uns Santiago nicht einfach vorstellen können? Hattest du das nicht versprochen?"
Innerlich kochte sie vor Zorn. Ihr Kopf war knallrot und drohte zu explodieren. Ich war im kalten Angstschweiß gebadet, denn sie schien so unvorhersehbar.
„Wir sind erst seit heute ein Paar." , rechtfertige ich mich und vibrierte mit meinen gesamten Gliedmaßen.
„Heute noch kommt ihr Beiden zum Abendessen, damit er Elias und deinen Vater kennenlernt. Dann holen wir das nach, was du von alleine nicht geschafft hast!" , fauchte sie.Ich nickte unterwürfig.
„Lieber Gott, was habe ich bei dieser Erziehung nur falsch gemacht?" , fluchte sie und verschwand mit ihren Stofftüten Richtung Kasse.
Als sie außer Sichtweite war, blicke ich zu Mattia.
„Geht es dir gut?" , fragte er mich.
Ich war unfähig angemessen zu reagieren, doch ich bejahte dies neben der Spur.
„Lass uns nachhause." , sprach er ruhig und zog mich auf die Beine.
Wir zahlten für das Frühstück, obwohl mir der Appetit schon längst vergangenen ist. Auf dem Rückweg wechselten wir kein Wort mit einander, denn die Schockverarbeitung war die Priorität. In seiner Wohnung, die von einer positiven und wohltuenden Aura geprägt ist, lassen wir uns nieder.
„Heute Abend sollen wir zu meinen Eltern. Bist du bereit?" , fragte ich ihn, denn es wird ein wichtiger Termin sein.
Er kommt mit langsamem Schritten auf mich zu.
„Sag du es mir." , fordert er mich auf und umrandete mein zartrosanes Gesicht mit seinen großen Händen.
„Überhaupt nicht. Desto weniger von uns wissen, desto ungefährlicher. Ich weiß nicht, wie der Abend ausgehen wird." , offenbarte ich ihm meine Verzweiflung und Ungewissheit.
„Uns bleibt nichts anderes übrig, mein Herz. Wir müssen da durch." , äußerte er und drückte mir sanftmütig einen Kuss auf die Stirn.Ich lege meinen Kopf auf seine Brust und lausche seinem Herzschlag. Es war der einzige Klang, der es schafft durch meinen Körper zu schallen. In dem Moment fühlte dieser sich an wie eine tickende Uhr, welche die Sekunden bis zu dem unberechenbaren Zusammenstoß zählt.