Wir fuhren mit dem Bus zu meinem Elternhaus. Weder Mattia noch Ich besitzen ein Führerschein und haben darüber hinaus nicht das Auto, um überhaupt nach einer Lizenz zu streben. Ich war nervös und die Gründe liegen auf der Hand. Ich machte mir Sorgen über die Reaktion von Elias und meinem Vater. Wie wird die Stimmung am Esstisch aussehen? Wie geht meine Familie mit der Tatsachen um, dass ich jetzt ein Freund besitze? Und wie kann ich Ihnen weiß machen, dass sie möglichst kein Wort darüber verlieren dürfen? So viele Fragen, die meine Unruhe auslösen.
„Mach dir keinen Kopf, mein Herz. Ich bin ein Musterschwiegersohn." , gab Mattia voller gespieltem Selbstbewusstsein von sich und strich über mein gewelltes Haar.
Ich lag in seinen Armen und lächelte nur. Ich dachte darüber nach, wie sorgenfrei die Situation doch wäre, wenn Mattia und Aurelia in keinster Weise in Verbindung stehen. Doch das Leben ist bitter und ich eine elendige Egoistin.
„Wir müssen aussteigen." , erinnert mich Mattia und erhebt sich von seinem Sitzplatz.
Ich tat ihm gleich und schüttelte meinen Kopf, um meine Nerven in den Griff zu kriegen. Wir liefen die verbleibenden Meter und der Schweiß rinnte über meinen Rücken. Ich hatte ein flaues Gefühl in meinem Magen, als wir vor der Eingangstür warteten. Keiner von uns Beiden besaß den Mut die Klingel zu bedienen. Die Blässe in unserem Gesicht - als hätten wir jahrelang keine Sonne gesehen.
„Komm schon. Was wird schon schief gehen können?" , ermutigte Mattia mich.
Dabei hatte er selbst mit seiner Nervosität zu kämpfen. Seine Sicherheit inszenierte er, um mich zu bestärken, doch war sie nicht im Geringsten mit seinen tatsächlichen Gefühlen zu vereinbaren. Mit zittrigen Finger klingelte ich. Mein Vater, als selbsternannter Familienoberhaupt, öffnete uns die Tür. Seine Stimmung war unerkennbar und nicht zu definieren. Diese Unschlüssigkeit ließ meine Aufregung auf das Fünffache ansteigen. Die schwarze Brille rückt er zurecht, um seinen Blick auf Mattia zu verschärfen.
„Santiago, richtig? Mein Name ist Adem."
Mattia lächelte und erinnert sich an seinen Decknamen.
„Genau. Es ist mir eine Freude Sie kennenzulernen." ,erwiderte Mattia souverän.
Er streckte höflich seinen Arm aus und sie begrüßten sich mit einem kurzen Händedruck.
„Die Freude liegt ganz auf meiner Seite." , sprach mein Vater, doch ich nahm einen seltsamen Unterton wahr.
Hinter meinem Vater standen meine Mutter und mein Bruder in einer Schlange. Nachdem wir hineingebeten wurden, begrüßte auch meine Mutter Mattia. Sie hatte sich zurecht gemacht und die schickste Bluse um ihren Körper geschlungen. Ihre kurzen und blondierten Haare trug sie in einer aufwändigen Hochsteckfrisur, die sie mit perlenbestickten Haarnadeln verfeinerte.
„Hallo, ich bin Santiago." , stellte sich mein unerlaubter Freund zum letzten Mal vor.
Mein Bruder rollte unerfreut mit seinen azurblauen Augen und knirschte mit seinen Zähnen: „Habe ich mittlerweile auch mitbekommen."
Ich kneife meine Augen zusammen, denn diese Situation überstrapaziert mich.
„Elias mein Name."
In jedem anderen Fall hätte Mattia ebenso unfreundlich geantwortet, doch mir zuliebe riss er sich zusammen. Er nickte ihm freundlich zu. Wir liefen in das Wohnzimmer, welches einen abgeschiedenen Essbereich besaß. Mein Nacken war verkampft und meine Kiefer wie zusammengeschweißt. Es war eine unangenehme Stille, die sich unserem kurzen Gang anschloss.
„Nehmt Platz." , forderte mein Vater uns auf.
Er zeigte mit seiner Handfläche auf die beiden Stühle gegenüber meinen Eltern. Elias setzte sich auf den vereinzelten Stuhl auf dem anderen Tischrand.
Somit konnte er Mattia und mich und meine Eltern seitlich beobachten. Die Extravaganz und Eleganz meiner Mutter machte sich nicht nur in ihrem Erscheinungsbild bemerkbar, sondert auch in diesem Abendmahl. Es schien so, als hätte sie die gesamte orientalische Küche auf diese Tischplatte gezaubert. Teures Fleisch und edle Gewürze waren hatte sie ohne jegliche Sparsamkeit aufgetischt. Die duftenden Gerichte servierte sie gastfreundlich mit dem vergoldeten Besteck. Dieser Prunk ließ mein Unwohlsein wachsen. Meine Mutter wollte ihn mit materiellen Mitteln beeindrucken und missachtet dabei, dass ihn jenes unter Druck setzen kann. Seine unruhigen Beinbewegungen und die Unregelmäßigkeit seiner Atmung waren kaum zu übersehen. Zornig fixierte ich meine Mutter, die keinesfalls so viel Wind machen musste.„So Santiago, du musst wissen, ihr Beide habt uns deutlich überrumpelt. d/N ist eine ehrgeizige Schülerin, die keine Zeit für eine Beziehung hatte. Diesen Anschein hat sie zumindest. Unterwegs war sie nur mit ihrer besten Freund-"
Mein Bruder fällt mit einem merkwürdigen Husten ins Wort. Mein Herz stolperte und fing an wild zu rasen.
„Alles gut, Elias?" , fragte mein unterbrochener Vater ihn, worauf er nickte.
„Dann kann ich ja fortfahren. Im Grunde wollte ich nur darauf zu sprechen kommen, dass es uns ziemlich verwundert hat, dass d/N in diesen jungen Jahren und ohne zahlreiche Freundschaften, eine Beziehung begonnen hat. Würdest du uns etwas über dich erzählen?"Mattia räusperte sich und legte seine Gabel zu Seite.
Mit seinen schwitzigene Fingern strich er über seine Jeanshose.„d/N und ich kennen uns durch Mar, falls ihnen dieser Name etwas sagt. Er ist ein guter Freund von ihr und gleichzeitig ein Kumpel von mir. Durch einigen Treffen konnten wir uns schließlich besser kennenlernen. Ich mache zurzeit mein Abitur. Geschichtswissenschaft ist aus reiner Leidenschaft mein angestrebter Studiengang, doch mein Hauptziel ist die Selbstständigkeit."
Aufmerksam nickte mein Vater, der von seinem Anstand und seiner Sprachgewandtheit begeistert ist. Es beruhigte mich, dass Er einen guten Eindruck hinterließ. Unsere unterschiedlichen und gegensätzliche Charaktere konnten sich bei Mattia scheinbar einigen. Sie unterhielten sich gelassen über verschiedene Themen und ignorierten die restlichen Sitzenden, während meine Gedanken bei diesem verunsichernden Auftreten meines Bruders lagen. Wir verspeisten mit kleinem Appetit dieses prachtvolle und noble Abendessen. Die Konzentration und Anspannung bei diesem ersten Treffen, nahm jedem Esslust.
„Und was ist mit deinen Eltern, Tiago?" , hinterfragt meine Mutter, welche diese Informationslücke füllen wollte.
Dazu gab sie ihm noch einen Spitznamen. Meine Ohren spitzten sich abrupt, denn auch ich war neugierig. Die gelockerte Gesichtsmuskulatur Mattias spannte sich mit einem Schlag an. Er stoppte das Kauen und seine Augen verdunkelten sich auf erschreckender Weise. Er zuckte mit seinen Augenlidern und hatte jeden Bezug zur Außenwelt abgebrochen. Überfordert und perplex verfolge ich seinen Wandel.