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Sobald ich in dem Wald angekommen war, ließ ich meine Knochen brechen und fand mich auf allen Vieren wieder. Um mich herum lagen die Überreste meiner zerrissenen Kleidung herum, welche ich geflissentlich ignorierte. Ich hielt die Nase in den Wind und genoss nach langer Zeit noch ein mal die Vorteile von geschärften Sinnen.

In der Ferne hörte man das leise Rauschen eines Wasserfalles, der Geruch des feuchtes Mooses kroch mir klar und deutlich in die Nase und meine Augen nahmen jede, noch so kleine, Bewegung war. Von der Seite sah ich wie ein hoch gewachsener und recht muskulöser, schwarzer Wolf auf mich zu kam. Seine bernsteinfarbenen Augen scannten die schmale, graue Gestalt meiner Wölfin ab. Noch ein paar Schritte kam er auf mich zu, dann blieb er stehen und setzte sich mit einem kleinen Abstand neben mich.

*Wo hin willst du gehen?*

Meine Mundwinkel zuckten hoch, dann raste ich ohne Antwort zu geben los. Es war egal wo hin, ich wollte rennen. Der feuchte Waldboden wirbelte unter meinen Sprüngen auf, meine Pranken bohrten sich in die Erde während Adrenalin meine Adern durchzog. Hinter mir hörte ich die Schritte des großen Wolfes. Einen Moment zuckten die Bilder der letzten Nächte vor meine Augen, wie in Trance rannte ich weiter. Meine Umgebung verschwamm vor meinen Augen.

Reh, Spiegel, Wasser.

Immer wieder schossen die Bilder in meinem Kopf umher.

Weitere zwei Sprünge, ein lautes Japsen. Verwirrt kam ich wieder zu mir und sah um mich. Raelynn stand vor mir, sah hechelnd auf mich herab, seine Muskeln waren zum zerreißen gespannt. Mein Blick huschte weiter, ein merkwürdiger Schmerz machte sich in meinem Nackenfell breit. Langsam sah ich die Klippe herunter vor der wir standen. Neben uns stürzte das Wasser in die Tiefe, krachte auf das klare Wasser eines Sees. *Verstehst du jetzt warum du nicht alleine hier rum rennen sollst?!*

Verwirrt sah ich zu dem Alpha vor mir. Wer hatte dieses Geräusch von sich gegeben? Ich sah erneut um mich, doch wir waren alleine. Wieder meldete sich mein Nacken, langsam verstand ich. *Was ist passiert?*, vorsichtig sah ich zu dem Alpha hoch, die Unsicherheit war mir ins Gesicht geschrieben.

*Was passiert ist?! Gott Alia! Du wärst beinahe von der verdammten Klippe gesprungen!*, ich spannte mich an, sah erneut in die Tiefe, einen Sturz aus dieser Höhe hätte ich nicht überlebt. *Sag mir doch was los ist! Ich bin dein Mate du kannst mir trauen verstehst du das denn nicht?!*

Ich erstarrte. Trauen? Ihm? War das gerade sein Ernst?! Er war doch Derjenige, der mich aus meinem alten Leben gerissen hatte und jetzt nicht ein mal mehr alleine raus ließ! Aber ich sollte ihm trauen? Wirklich?! Langsam schwenkte sich mein Kopf hin und her während ich ihn ansah, dieser Wolf war bescheuerter als ich es für möglich gehalten hatte.

*Trauen?! Dir?!*, trocken lachte ich auf, er verspannte sich vor mir noch mehr. *Du reißt mich aus meinem Leben, zwingst mich mit dir zu gehen und jetzt sagst du mir ich solle dir trauen?! Willst du mich verarschen?*, meine Stimme war lauter geworden, ich spürte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. *Du bist doch der, der mich nicht ein mal alleine raus lässt, du traust mir doch auch nicht verdammt!*, ich schrie ihm meine Gedanken durch meine belegte Stimme entgegen, nahm abstand zu ihm ein.

*Man sieht ja was dabei raus gekommen wäre, wenn ich nicht da gewesen wäre!*, auch er begann zu schreien, folge mir als ich rückwärts von ihm weg ging. Mit seinen Worten legte sich ein Schalter bei mir um, bevor ich darüber nachdachte was ich sagte, hatte ich meine Worte schon beinahe hysterisch in die unberührte Natur hinaus geschrien. *Wenn du nicht mit gekommen wärst, wäre es gar nicht erst so weit gekommen!*

Der Alpha versteinerte vor meinen Augen, schnappte keuchend nach Luft als hätte jemand ihm einen ordentlichen Schlag in den Bauch versetzt. *Was...?*, seine Stimme war mit einem mal ruhig, in seinen unfassbar schönen Augen glitzerte plötzlich die Angst auf. Die Maske, welche seine Emotionen normalerweise so sorgfältig versteckte, war gefallen. Langsam realisierte ich was ich gerade gesagt hatte, ihm gerade preis gegeben hatte. Wie von selbst trugen mich meine Pfoten weiter von ihm weg, preschten in die Richtung los, in welcher ich die Stadt vermutete, doch bereits nach einem halben Kilometer riss es mich von den Füßen.

Panisch sah ich hoch zu meinem Angreifer. Ich lag auf den Rücken gedreht auf dem weichen Moosboden, das sonnst so dichte Blätterdach über uns war aufgerissen, die hellen Sonnenstrahlen verwehrten mir die Sicht. Ich spürte, dass links und rechts von mir Pfoten in die Erde gestemmt waren, ich hatte gar keine Chance zu fliehen. *Alia, b-bitte...*, man hörte wie schwer ihm dieses kleine Wort viel, ich sah zur Seite. Hatte er denn nie um irgend etwas bitten müssen? *...bitte sag mir was passiert ist*, ein Schwall der Verzweiflung überkam mich. Selbst wenn ich es ihm hätte sagen wollen, ich konnte nicht. Wie sollte man jemandem, dem man einfach nicht vertrauen konnte, seine Ängste auf einem Silbertablett servieren? Wie konnten das Andere? Einem komplett fremden Menschen ihr ganzes Leben in die Hand drücken, nur weil die Stimme in ihrem Kopf ein kleines Wort schrie, ihre ganze Vergangenheit mit all den Erinnerungen und Freunden hinter sich lassen, nur um zu einem Menschen zu ziehen, welcher sie nicht ein mal kannte?

Langsam schüttelte ich den Kopf, ich konnte nicht. Ich sah wie die Ohren des Wolfes über mir langsam zurück sanken, seine ganze Haltung hatte sich verändert. Die Dominanz, welche jede seiner Bewegungen geprägt hatte, war verschwunden. Seine Schultern hingen und sein Kopf war kaum merklich gesenkt, auch seine Rute hing eher anstatt, dass er sie, wie sonnst, stolz in der Luft trug. Langsam nickend ging er von mir herunter. *Verstehe...*

Langsam raffte ich mich auf die Beine, kurz davor von der plötzlich aufkeimenden Müdigkeit übermannt zu werden. *Können wir nicht einfach zurück...? Ich bin müde...*, meine Knochen fühlten sich auf ein mal wieder so schwer an, meine Gedanken flossen langsamer durch meinen Kopf und auch mein Herz schien es nicht mehr für nötig zu halten im schnellen Takt vor sich hin zu pumpen.

Er nickte nur, ging vor mir her und blieb den Rest des Weges still. Ich beobachtete ihn in Gedanken. Seine Haltung wurde mit jedem Meter in Richtung Stadt wieder erhabener, während meine Müder wurde. Seine Maske verbarrikadierte wieder alle seine Emotionen und seine Augen schimmerten kalt, das musste ich nicht ein mal sehen um fest zu stellen.

Ich folgte ihm zu einer Hütte. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er mir zu warten und ich ließ mich müde ins Laub fallen. Ich fühlte mich als wäre ich einen Marathon gelaufen, in Menschengestalt. Nach ein paar Minuten tauchte Raelynn wieder auf. Seine Harre hingen ihm wirr in die Stirn und die Klamotten die er trug schienen nicht zu hundert Prozent zu passen.

Die Jogginghose welche er an hatte, war an den Beinen ein wenig zu kurz und das schwarze T-Shirt spannte an Brust und Schultern mehr als sie es normalerweise taten. Er kam auf mich zu und legte mir ein paar Klamotten hin. "Ich weiß nicht ob sie dir richtig passen, aber bis nach hause wird es reichen.", etwas nickend sah ich zu wie er wieder hinter die Hütte verschwand. Nach kurzem umsehen verwandelte ich mich zurück und sah an meinem nackten Körper herunter, verdammt ich hatte wirklich nicht so wenig abgenommen wie ich es dachte.

Schnell zog ich die Sachen an und stutzte. Das Oberteil, welches weit um meinen Körper hing, roch stark nach Raelynn. Tatsächlich erkannte ich es als das wieder was er noch vor ein paar Stunden getragen hatte. Ohne, dass ich es verhindern konnte, schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. So viel zum Thema er wusste nicht ob mir die Sachen wirklich passten. "Fertig?", bei der Stimme hinter der Hütte sah ich auf. "Ja..."

Er trat wieder hervor, die Hände tief in den Taschen der Hose und den Blick prüfend auf mich gerichtet. "Passt perfekt.", grinsend kam er auf mich zu und wuschelte mir durch die Haare, perplex stand ich da. Was war den jetzt falsch? Leise schnaubend verdrehte ich die Augen und ging, die Müdigkeit unterdrückend, langsam zurück zu dem Haus mit Ballsaal.

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1370 Wörter

Nightmare - please Trust meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt