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Still saß ich in der leeren Küche und starrte die rötliche Flüssigkeit an, welche in dem Glas in meiner Hand hin und her schwappte. Mein Brustkorb war noch immer von Leere gefüllt, mein Rachen jedoch brannte von dem beißenden Geschmack des Alkohols wie Feuer. Ich wusste, dass ich nicht trinken sollte, doch was blieb groß übrig?

Das Haus war leer, Thea war mit ihren Freunden unterwegs und Raelynn hatte ihr natürlich verboten mich mit zu zerren. Noah hatte ich, seit seiner Ankunft im Haus, immer nur flüchtig auf den Fluren getroffen, bevor er hektisch an mir vorbei geschritten war.

Ich wollte mich ablenken.
Und da ich die Mauern dieses Hauses nicht verlassen konnte, hatte mich der Alkohol von Sekunde zu Sekunde mehr angelacht.
Und nun saß ich hier, die beinahe leere Flasche neben dem Glas stehend und das benebelte Gefühl in meinem Kopf genießend.

In diesem Moment verstand ich meinen Vater, er hatte auch getrunken als Mutter gegangen war, doch nach einigen, harten Jahren dem Alkohol abgedankt, wollte wieder für die Familie da sein und seinen Sohn richtig kennen lernen, für welchen ich bis zu diesem Zeitpunkt da gewesen war.

Mit der Erinnerung an meine Familie schenkte ich mir ein weiteres Glas ein, schob schmollend die Unterlippe vor als die Flasche nur noch Tropfen hergab. Ich hörte die Eingangstür und, mir fremde, Stimmen welche die Luft erfüllten.

Schnell exte ich die Flüssigkeit herunter und stellte die leere Flasche zurück ins Regal. "Alia?", die Stimme von Thea hallte durch den Flur als sie die Tür hinter ihren Freunden wieder schloss. "Ja?", die Schranktür klappte zu und ich setzte mich schnell wieder auf den Stuhl, ließ das Glas in der Spüle hinter mir verschwinden.

Ich hörte wie Thea in die Küche spaziert kam und sah auf. Sie war von Tüten belagert und schien ein breites Grinsen auf den Lippen zu haben, welches ich jedoch mir verschwommen sah. Langsam kamen ihre Mundwinkel wieder in die gewohnte Positionen und machten einem Gesichtsausdruck von Sorge platz. "Du hast getrunken.", stellte sie langsam fest und kam auf mich zu, langsam schwang ich meinen Kopf hin und her, was sich als größerer Fehler herausstellte, als ich dachte.
Wie viel Prozent hatte das Zeug gehabt?
Dreißig
Ich verzog mein Gesicht und legte den Kopf auf  das kühle Glas des Tisches.

Eine Hand legte sich leicht auf meinen Rücken, ich schloss die Augen. Der ganze Alkohol zeigte auf ein mal Wirkung, ich war nicht böse drum. Ich wollte vergessen, zumindest für ein paar Minuten. "Komm wir legen dich aufs Sofa...", damit legte sich ein Arm unter meine und half mir beim Aufstehen. "Ich will nach Hause Thea...", meine Stimme war nur ein Flüstern, doch ich wusste, dass sie mich verstanden hatte.

Langsam setzte sie mich aufs Sofa und kniete sich vor mich, ihre Augen wanderten unruhig über mein Gesicht. "Was ist passiert?", vorsichtug strich mir die Braunhaarige eine Strähne aus dem Gesicht. Mir schossen Tränen in die Augen, doch ich bemerkte sie nicht. "Immer wenn ich denke, dass es besser wird... wird er wieder wie am Anfang... verdammt was soll ich denn hier? Ich bin doch nur eine Gefangene in ner Luxuszelle", die Tränen lösten sich von meinen Augen.
"Ist er der Grund warum du trinkst?"
Mein Blick senkte sich beschämt. Er war seit er mich geholt hatte für alles der Grund.

Dafür, dass ich nicht schlief, für meine Ausbrüche, die Tatsache, dass ich meine Familie vermisste, die Blitze in meinen Adern, das Kribbeln unter meiner Haut, die Leere in meiner Brust.

Das alles, jede Emotion die ich fühlte, hatten etwas mit ihm zu tuen und keine von ihnen wollte ich fühlen. Ich wollte keine keimende Hoffnung mehr spüren, wenn er dem Jungen auf den Bildern so ähnlich war, er würde sie wenige Tage später ohnehin wieder zerstören. Ich wollte nicht mehr dieses Kribbeln unter meiner Haut, nur weil mich die Person berührte, welche mir, ohne es zu merken, immer und immer wieder einen Tritt in den Magen verpasste.

"Ich nehme die Stille dann mal als ein Ja...", ein müdes Lächeln legte sich auf die vollen Lippen der Älteren, welche kurz darauf die Arme um mich legte. Ich wusste, dass ihre Freunde in der Tür standen und uns ansahen, doch es interessierte mich nicht.

Ich hörte nicht wie die Türen sich erneut öffneten, das genervte Knurren von Thea überdeckte es, aber auf ein mal änderte sich die Stimmung im Raum. Das war normal, das Erscheinungsbild des Alpha, welcher angespannt auf Theas Freunde herunter sah. "Ich habe dir gesagt, du sollst sie von Alia fern halten!", sofort verkrampfte ich mich als Thea mich los ließ. Wütend ging sie auf ihren Bruder zu und sah zu ihm hoch.

"Sag mal wie blind bist du eigentlich?! Merkst du eigentlich noch irgend etwas?", sie schrie ihn an, er blieb verwirrt still. Ich spürte wie sein Blick zu mir huschte, dann allerdings wieder auf seiner Schwester landete, die ein trockenes Lachen von sich gab. "Natürlich nicht...", dieses Mal murmelte sie.

Schritte kamen auf mich zu, ich sprang taumelnd auf und schleppte mich Richtung Treppen. "Ich geh schlafen...", meine Haare verbargen mein Gesicht vor Raelynn und den anderen. Ich fühle mich ausgelaugt, fertig mit der kompletten Welt. "Ali-", schnell verschwand ich aus dem Zimmer. Das Gespräch der beiden Schnitt ich aus meinem Kopf ab, wollte es nicht hören. Der Alkohol würde mir helfen zu schlafen, das hoffte ich inständig als mich die Kissen des Doppelbettes in Empfang nahmen.

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Raelynn

Verwirrt sah ich zu wie Alia aus dem Raum torkelte.
Was war hier los?
Thea stand mit verschränkten Armen vor mir, sah mich an als wäre ich das verabscheuungswürdigste, was jemals das Licht der Welt erblickt hatte. Der Geruch von Alkohol stand in der dicken Luft. Es roch so als wäre der weiße Teppich unter meinen Füßen in Wodka getränkt worden.

Mein Blick huschte wieder zu meiner Schwester, welche mich aus ihren grünen Augen heraus ansah. Die Abscheu war greifbar, genau so wie die Anspannung. "Was ist mit ihr?", verächtlich schnaubte Thea, während ihre Freunde uns leise alleine ließen.

"DU bist mit ihr los Raelynn! Nur du", sie schlug gegen meine Brust, ich taumelte zurück. Bitte was?
"Was erwartest du bitte?! Du holst sie zu dir, zeigst ihr einen winzig kleinen Teil von dir und stößt sie dann wieder von dir weg! Sie ist deine Mate Raely! Nicht dein Feind!"
Stumm sah ich auf die Jüngere herunter, meine Brust begann zu beben. Ich wusste nicht, dass ihr das so zusetzt.

Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit als ich an der jüngeren vorbei schritt. Lia hatte geweint, das hatte man gehört und ausgerechnet ich trug die Schuld an Alkohol und Tränen.

Schnell ging ich die Treppen hoch und hielt vor ihrer Tür, mein Herz stotterte. Ich hatte scheiße gebaut, das raffte ich nun. Leise klopfend öffnete ich die Tür, nachdem ich Minuten einfach nur das Holz angestarrt hatte.
Alia lag in die Decke eingerollt da, mit dem Gesicht zur Wand.
Mein Herz zog sich zusammen.
Langsam ging ich auf sie zu und ließ mich leise auf die Matratze neben ihr sinken. Ihr Gesicht wirkte ruhig, die Atmung ging gleichmäßig und beinahe lautlos.

Vorsichtig nahm ich eine Strähne ihrer kastanienbraunen Haare zwischen die Finger und führte sie aus ihrem Gesicht. Ein leises Knurzen kam aus ihrer Kehle, während sie näher an mich heran rückte. Ich ließ meine Finger über ihr Haar wandern, beobachtete sie eine ganze Weile bevor ich mich neben sie legte.
Natürlich würde sie mich dafür morgen hassen, mich vermutlich anschreien und von sich stoßen, wo für sie leider Gottes jedes recht hatte, doch jetzt gerade war er mir egal.

Ohne sie zu wecken rutschte ich unter die Decke und legte die Arme um ihre schmale Gestalt. Ihr Kopf wanderte auf meinen Arm und ihr Körper rückte näher an mich heran. Ich ließ meine Lippen herunter auf ihren Scheitel sinken und verbarg das Gesicht in ihrem weichen Haar. "Es tut mir leid...", flüsterte ich leise, mit dem Wissen, dass sie mich nicht hörte. Mein Arm schlang sich enger um sie und zog sie näher an mich, während ich selber die Augen schloss.

Sie würde nicht gehen, nicht wenn ich sie nicht zu einer Gefangenen ihrer eigenen Instinkte machte. Das würde ich lernen müssen, endlich erkennen müssen.
Doch das würde dauern.
Und das wusste ich, genau so gut wie es Thea und Noah taten.

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1390 Wörter

Nightmare - please Trust meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt