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Langsam schritt ich in die vertraute Eingangshalle, blieb stehen und spürte wie sich ein kribbeln an meinem Rücken ausbreitete, als sich eine große Hand sanft auf diesen legte.
Leicht runzelte ich die Stirn, sah über die Schulter zu ihm hoch.
Kurz musterte er mein Gesicht, ließ seine Mundwinkel hoch zucken und sah zur Tür, schien mit jemandem zu reden, ohne Worte, tonlos.
Man hörte ein klacken, die Tür öffnete sich und die blonden Haare von Noah kamen zum Vorschein, auch er grinste, schien aus irgend einem Grund viel zu gut drauf zu sein.

"Ey kleiner, guck mal wer da ist.", immer noch sah der Beta mich an, ich runzelte die Stirn.
Mit wem redete er?
Man hörte Schritte, kürzere, abgehacktere als die der Riesen aus diesem Rudel.
Mein Blick wandte sich von den besten Freund meines Mates ab, sah verwirrt die Tür an auf welche die Schritte zu kamen.
Ein bekannter Geruch zog mir entgegen, ließ mich erstarren, plötzlich beginnen zu zittern.
"Alia..?", Jonny stand in der Tür neben der größeren, braunäugigen Version seines selbst.
Seine Haare waren weniger unordentlich als sonst, waren länger als damals nur leicht verwuschelt in meine Richtungen gekämmt, ließen meinen größer gewordenen Bruder wie einen der Machos aus meinem alten Rudel aussehen.
Ich starrte ihn an, war nicht in der Lage etwas zu sagen, zu realisieren, dass er wirklich hier war, meine kleine Nervensäge nur ein paar Meter von mir entfernt stand.
Meine Beine begannen zu zittern, mein Herz zu rasen.
Meine Sicht verschwamm, ich ging auf die Knie.

"Al! Ali!", er rannte auf mich zu, schmiss mich vollends auf das dunkle Parkett als er unsanft gegen mich prallte.
Meine Arme legten sich fest um den kleinen Jungen, sein Körper bebte, meine Schulter wurde nass von seinen Tränen.
Ein Schluchzen entkam meiner Kehle, unruhig verbarg in das Gesicht in der Halsbeuge.
Er hatte sie hier her geholt, Raelynn hatte gewusst, dass ich gehen durfte, er hatte ihn hier her geholt, es zu gelassen, dass ich ihn sah.
Ich zog ihn näher an mich, achtete nicht ein mal darauf, ob der Blondschopf noch richtig Luft bekommen konnte.
"Alia...", immer wieder wimmerte er meinen Namen, krallte sich fest in mein langes Haar, versuchte mich noch näher an sich zu ziehen.

Meine Beine zogen sich an, ich bekam durch das weinen keine Luft mehr, doch es interessierte mich nicht, riss mich nicht aus diesem Moment.
Wieder waren Schritte zu hören, stoppten wenige Meter von dem Geschehen entfernt.
Jonny stand auf, rannte in die Arme unserer Stiefmutter, welche meinen Vater fest umklammert hielt.
Auch ihr standen die Tränen in die Augen, konnte nicht verstecken, dass sie das Wiedersehen rührte.
"Papa, Alia ist da! Sie ist da!", selbst die Stimme meines Bruders hatte sich verändert wie ich nun feststellen musste.
Ich blieb weiter auf dem Boden sitzen, sah sprachlos zu meiner Familie, bekam nicht mit, sie Raelynn sich neben mich kniete und besorgt zu mir rüber sah.

Vorsichtig legte er eine Hand auf meine Schulter, zog mich kurz darauf vorsichtig in seine Arme.
Ich lehnte mich unfähig in irgend einer Art zu reagieren an ihn, spürte einen leichten Druck an meinem Scheitel, als seine Lippen sich vorsichtig auf diesen drückten.
"Ich dachte mir, wenn du schon nach Hause kommst, soll es sich richtig wie zu Hause für dich anfühlen....", seine Stimme war leise, gedämpft von meinen Haaren und beinahe schon unsicher.
Mein Kopf fuhr zu ihm rum, kurz darauf mein Gesamter Körper.
Meine Arme legten sich fest um seinen Hals, warfen ihn beinahe aus seiner Hocke heraus um.
"Danke Raelynn..", ich spürte wie sich ratlos seine Arme erneut um mich legten, lehnte die Stirn an seine Brust.
Mein Herz raste, mein Körper zitterte noch immer außerhalb meiner Kontrolle.
"Shh... Kleines, achte auf deinen Körper...", vorsichtig lehnte er sich zurück, hob mit einer Hand mein Kinn und fuhr über meine nasse Wange.
*Atme ruhig, okay?*, schniefend nickte ich, versuchte mich zu beruhigen.

Als ich wieder zu meiner Familie sah, hatte sich Noah dazu gesellt, massierte die Schultern Jonnys und lächelte mich aufmunternd an.
Mein Mate half mir auf die Beine, legte kurz darauf seinen Arm sachte um meine Taille.
Unter Tränen eine stoßweise gehendes, leises Lachen von sich gebend, kam Kate auf mich zu, legte beinahe schon Mütterlich ihre Arme um mich, ich erwiderte, spürte wie die Hand der etwas kleineren Frau vorsichtig über meinen Rücken fuhr.
"Du hast dir da einen ganz schönen Brocken ausgesucht, weißt du das?", plötzlich etwas lachend nickte ich, hörte ein ironisches Baffen aus der Kehle des Alpha neben uns.
Und wie ich das wusste, doch dieser schwarzhaarige Idiot mit seinen einzigartigen Augen, deren Blicke so eine starke Auswirkung auf meinen Körper zu haben schienen, konnte ein guter Brocken sein.
Es brauchte Zeit um die kalte, graue Hülle deines Geistes zu knacken, sie langsam zu öffnen und um Einlass zu beten, doch sobald man dies geschafft hatte, war er anders, warm und herzlich.
Auch wenn das vielleicht an unserer Verbindung lag, doch er schien auch nicht anders zu seinen Freunden sein, war der kleine Junge auf dem Bild wenn man ihn kannte, mit ihm alleine war, nicht der kalte Alpha voll von Verantwortung und Hass.

Die dunkelblonde löste sich kichernd von mir, machte mir die Sicht zu meinem Vater frei, dem Beta meines damaligen Rudels, der Mann der mich verstoßen hatte, zu einem Mann gab, welchen keiner von uns wirklich kannte.
Er war derjenige gewesen, welcher mir den Rücken zugewandt hatte, auf meine Bitten und Rufe nicht reagierte, sagte es wäre besser für alle.
Damals konnte ich ihn nicht verstehen, doch just in diesem Moment klickte es in meinem Kopf.
Der langsam grau werdende Mann stand im Recht, musste mir die richtige Entscheidung aufzwingen.
Er wusste wie es war, seine Mate gesehen zu haben, ihren Geruch zu kennen, jeden der Züge sofort ins Langzeitgedächtnis eingebrannt zu haben und sie zu verlieren, plötzlich nicht mehr sehen zu können.

Langsam und unsicher trugen meine neu gewonnenen Muskeln mich auf meinen Erzeuger zu, sah wie seine angespannte Maske sich löste und nun auch seine Augen begannen zu glitzern.
Schnell zog er mich an sich, umklammerte mich noch fester als sein Sohn vor ihm. "Ich habe doch gesagt irgendwann verstehst du.", wieder nur ein Flüstern und ein kaum merkliches Nicken meinerseits.
Die Nähe meines Dads brachte Erinnerungen an längst vergangene Tage zurück, ließ Teile meiner Kindheit wie ein Film in meinem Kopf ablaufen.
Ich sah das symmetrische Gesicht meiner Mutter, mit ihren Blonden Haaren und blauen Augen vor meinen Augen, hörte ihre Stimme in meinem Kopf, roch Teile ihres Geruches, welcher noch immer blass und beinahe verweht an meinem Vater klebte, ihn für immer begleiten würde.
Sie war hier bei uns, da war ich mir sicher, sah mit einem Lächeln im Gesicht ihren Kindern beim Aufwachsen zu, stand hinter uns wenn wir wieder an unseren Aufgaben wachsen mussten, auf schwere Art und Weise uns selbst begannen zu finden, und begannen zu erforschen, kennen zu lernen.

Die Vorstellung sie hier bei uns zu haben brachte ein erneutes Schluchzen über meine Lippen, ließ meine Finger in das Oberteil meines Dads krallen.
Er küsste meine Wange, verstand meinen Gedanken ohne Worte.
"Sie ist immer bei euch.", unter Tränen sah ich ihn an, spürte einen weiteren Tropfen über meine Haut rennen.
Ein neues Bild bildete sich in meinem Kopf, zeigte meine Mutter mit langsam heller werdenden Haaren, ihrem gewohnten Dutt und einem langsam alternden Gesicht, welches nie Mals seine Vertraute Schönheit verlieren würde auf der Treppe hinauf zum Podest, führe mir das Lächeln auf ihren leicht geschwungenen Lippen vor Augen und brachte es auf die meinen.
Sie sah von außen zu, beobachtete und aus der Ferne, dem Jenseits in welches sie sich selber viel zu früh selber gebracht hatte.

Wieder wischte mein Vater eine Träne von meiner Wange, lächelte mich mit einer Spur seiner tiefen Traurigkeit, der Schuld die sein ganzes Leben auf seinen Schultern lastete, an, strich mir meine dunklen Haare aus dem Gesicht und ließ den Blick über meine Züge gleiten.
Er hatte mir oft gesagt, dass ich ihr ähnlich sah, doch mit meinem Alter waren diese Ähnlichkeiten immer mehr ans Licht gekommen.
Die dunkelhaarige Version seiner Schönheit.
Damals hatte er mich vor seinen Freunden oft so betitelte, meiner Mom einen Kuss auf ihre Wange gedrückt und mir durch mein, damals noch kürzer gewesenes Haar gefahren, hatte meinen Kopf gegen seine Seite gedrückt und seine Hand auf meine Schulter hinunter fallen lassen.
"Also dann, wollen wir rein, nach Hause?"

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1410 Wörter

Bin ich zufrieden mit diesem Kapitel? Ja.
Habe ich angefangen zu heulen? Vielleicht.

Nightmare - please Trust meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt