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Der Tag neigte sich bereits dem Ende, als die besten Freunde und ich mit meinem kleinen Bruder an der Klippe mit reißenden Wasserfall ankamen, von der ich im Traum gestürzt war, begann die Sonne gerade größer zu werden, den Horizont in goldenes Licht zu tunken und den See am Ende des freien Falles das weniger werdende Licht ein zu fangen.
Lächelnd wurde ich langsamer, sah kurz an meinem Körper herunter und sah zum Wald.
Konnte ich diese Sachen reißen lassen?
Überlegend biss ich auf meine Lippe, sah runter zu Jonny, der gerade in meine Beine gerannt war und mich nun verdattert anstarrte.
Auch seine Kleidung musterte ich, dann die der beiden älteren.

Ich sehnte mich nach dem Gefühl der nachgebenden Erde unter meinen Pfoten, dem Wind der um meine Nase spielte, das Geräusch der nestelnden Krallen einer Maus oder ein Eichhörnchen welches hoch auf die Bäume klettert, die verbleibenden Vögel die den ganzen Wald vor Raubtieren warnten, all das war schon viel zu lange her, schien wie eine verblasste Erinnerung aus einem Film statt mein reales da sein.
"Über was denkst du wieder nach Lia?", zwei Hände legten sich auf meine Schultern, ich lehnte mich an den angenehmen Geruch von Sommerregen und Meeres Wasser, gemischt mit dem üblichen Duschgel seinerseits.
"Übers rennen.", ich sah zur untergehenden Sonne, beobachtete wie sie den hohen Bäumen immer näher rückte, das Gold des Himmels immer dunkler werden ließ.
"Ist schon was her hm?", Raelynn legte seine Arme locker um mich, platzierte sein Kinn auf meinem Kopf und folgte meinem Blick.
Seine Stimme klang plötzlich weit weg, war vermutlich bei seiner letzten Verwandlung.
Wo er da wohl gewesen war?
Ich biss auf meine Lippe.

Als ich das letzte mal auf vier, statt auf zwei Beinen unterwegs gewesen war, wurden Thea und ich zu Hause eingesperrt, waren zu neugierig gewesen um auf den Befehl meines Mates zu hören und hinaus geschlichen.
Die Szene meines Traumes hatte sich bewahrheitet, des Traumes, den ich bis zu diesem Moment vergessen hatte.
"Vielleicht würde uns allen das mal gut tuen was?", man hörte das Lächeln aus der Stimme des dunkelhaarigen raus, ich spürte wie sein Kopf mich von meinem Hob, seine Arme mich vorsichtig zu ihm umdrehten.
In seinen Augen sprühte die Freude, hell strahlten sie mir entgegen, passten perfekt zu dem breiten Grinsen auf seinen Lippen.
Gerade wollte ich ansetzen etwas zu sagen, ihm freudig zustimmen, als ich höre wie jemand die Stimme des Grünäugigen emittiert sah ich zu den beiden Blondschöpfen rüber, mein Blick wurde von glücklich zu empört.

Noah hatte die Arme um Jonny gelegt, welcher ihm mit übermäßig gespielten Enthusiasmus entgegen strahlte und sich Theatralisch in seine Arme hing.
Wie konnte ein zehn jähriger so frech sein?
Langsam zog ich die Augenbrauen in die Höhe, starrte zu der Szene hinüber und blinzelte verdattert als mein kleiner Bruder begann sie verrückt zu lachen.
Er hüpfte herum, wurde von Noah verfolgt und stolperte nach einem lauten knacken, dem reißenden Geräusch von Haut und Kleidung auf allen Vieren weiter.
Der Beta sprang, verwandelte sich und preschte dem kleinen, gescheckten Wolf nach in den Wald.
Verdattert sah ich ihnen nach, "haben sie das gerade wirklich gemacht?", ich sah zum älteren empor, er nickt langsam. "Ja, ja haben sie.", ein langsames nicken meinerseits, dann lösten wir uns unwillig von einander.
"Ist es okay für dich wenn die kaputt gehen?", Raelynn deutete auf meine Kleidung, ich nickte erneut.
Ein schlichter Hoodie und eine Jogginghose die auch schon bessere Tage gesehen hatte, es wäre eine wohl verdiente Erlösung für beide.
"Na dann los.", noch ein mal schenkte er mir ein schiefes Grinsen, dann rannte er in den Wald, verschmolz mit einem anmutigen Sprung mit dem Körper des schwarzen, großen Tieres, welches mit einer surreal wirkenden Anmut durch das Dickicht der orange schimmernden Bäume strich.
Aufmerksam fixierte er mich mit seinem tierischen Blick, den scharfen, klaren Augen, welche die pure Macht seines Ranges ausstrahlten.

Ich beobachtete ihn, lauschte auf seine vom Laub gedämpften Schritte, das schleifen seines dicken Pelzes an der Rinde eines alten, hoch gewachsenen Baumes, das leise Knurren welches seine Kehle verließ und mir eine Gänsehaut bescherte.
Langsam ging ich auf den Wald zu, ließ jeden einzelnen meiner Knochen brechen und neu zusammen wachsen, spürte wie die Wirbel in meinem Rücken sich neu anordneten, sich neue Gelenke bildeten wo vorher keine waren.
Mein silber- graues Fell schoss aus meiner Haut, bedeckte meinen gewachsenen Körper bis zu der letzten vorhandenen Pore und schützte mich vor dem kühlen Wind der erbarmungslos über das Gestein der Klippe zischte, in meinen Augen brannte, meine Nase wütend und aufgeregt umspielte, doch meine Haut nicht erreichte.

Mein Wolf hatte sich der Jahreszeit angepasst, das Fell dichter werden lassen und meine Sinne verschärft, erlaubte es mir über das Rauschen des Sturmes hinweg zu hören, mich auf andere, kleinere Geräusche zu fokussieren, all die Unruhe um mich herum mit einem Schalter ab zu knapsen, wie das Licht in einem Raum einfach mit einem Gedanken aus zu schalten.
Meine Augen schlossen sich, ich schüttelte ein Fell, lauschte auf die Lebewesen um mich herum, hörte das knacken der Äste, das fallen der Blätter.
Mein großes Herz schlug langsamer in meiner Brust, die frische Luft stob in längeren Zügen und größeren Mengen in meine Lunge, füllte sie komplett aus und verschwand wieder in die weite Welt hinaus.
Meine Ohren zuckten herum, fingen die Schritte des größeren Wolfes ein und folgten ihnen bis sie bei mir ankamen.

Sein schwarzes, weiches Fell schmiegte sich an meins, mein zierliches Gesicht verbarg sich in seinem Nackenfell.
Nyx winselte nicht, schien in dieser Gestalt mit der Stärke unserer Verbindung besser klar zu kommen, sie deutlicher zu spüren.
Ein tiefes Grummeln kam aus seiner Kehle, dann ein leichtes Knuffen an meiner Schulter.
Ich sah zu ihm, sprang erschrocken zurück als der Wolf vor mir wie ein Welpe auf seine Vorderbeine hinunter sauste, hin und her sprang und mich mit blitzenden Augen fixierte.
Ich verstand, sprang mit ihm und machte einen Satz zurück als der Alpha mir näher kam, nach meinem Bein mit einem gespielten Biss schnappte.
Ohne weiteres Nachdenken preschte ich in den Wald, verlängerte meine Schritte auf das Maximale und schlug Haken, versuchte in dem Wahn meinem Mate zu entkommen.
Raelynn war mir gleich auf den Fersen, krachte mit einem weiteren Satz in meine Seite und rutschte gemeinsam mit mir einen Abhang hinunter.

Ein kläffendes Lachen entkam mit, führte dazu, dass ich mich wälzte, hin und her kullerte und das erste mal seit langem durch die Freude in meinem Körper vergaß zu atmen.
Ich wusste, dass er mich ansah, mit gespitzten Ohren und schief gelegten Kopf auf die Reaktion meinerseits lauschte, wie er es so oft tat wenn ich auch nur den Hauch eines Lachens von mir gab, doch es störte mich nicht, konnte mich nicht davon abhalten solche Momente in vollen Zügen zu genießen.
Ich wusste nicht warum ich lachte, ich plötzlich so glücklich war nur weil der blutrünstige Alpha sich in meiner Gegenwart aufspielte wie ein kleiner Welpe, doch vermutlich war es genau das.
Ich wusste, dass diese Seite an ihm nur bei mir zur Geltung kam, er nur bei mir so war wie ein kleiner Junge, ein normaler Wolf ohne Rang und Verpflichtungen, ohne Rudel und Vergangenheit, nur er.
Raelynn, der dunkelhaarige Idiot mit grünen Augen, welcher mit starken Stimmungsschwankungen und den heftigsten fünf Minuten zu kämpfen hatte, die ich wohl je Mals erleben würde.

Es dauerte bis ich mich beruhigte, die Augen wieder im Stande war zu öffnen und empor in den dunkler werdenden Himmel zu sehen.
Die ersten, sanften Punkte machten sich in dem dunkler werdenden Blau breit, sahen endlich auf die belebte Erde hinunter und zeigten tausenden von Lebewesen, dass sie nicht alleine waren, dort noch Millionen anderer pulsierender Leben waren, welche ihr Leid teilten, genau so wie die Freude, die jede Seele irgendwann heimsuchte bevor sie ihren Körper verließ und einer dieser funkelnden Punkte über uns wurde, gemeinsam mit den Fremden Sonnen und vermissten Lebewesen zu ihren Freunden und Angehörigen hinab sah, ihnen beim wachsen und verstehen zusahen, in dem Wissen, dass sie sie irgend wann wieder sehen würden.
Wieder kamen schwere Schritte auf mich zu, dann ein leiser, dumpfer Knall und schon lag mein Mate neben mir, drehte sich genau so wie ich auf den Rücken und sah zu dem Dach dieser Welt hinauf.

*Du siehst sie genau so wie ich, habe ich recht?*

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1400 Wörter

Ahhhh
So ging das

Nightmare - please Trust meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt