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   Sie hoffte, dass die Hohepriesterin die Lüge nicht durchschauen würde, aber der Schmerz, der sich in ihrem Antlitz abzeichnete, nachdem Dolette geendet hatte, versetzte der Todesritterin dennoch einen Stich. Was tust du denn da? Wieso leidest du mit ihr? Du bist eine Todesritterin! Ergötze dich an ihrem Leid!, erklang die dunkle Stimme wieder in ihr, doch das goldene Lodern wurde stark, zu stark. Die leuchtenden, blauen Augen der dunklen Elfe strahlten plötzlich wärme aus, glühten förmlich in ihren Höhlen und mit einer Hand strich sie zärtlich über die Wange der Priesterin, wobei ihre Hand golden zu schimmern begann. Dolette zuckte kurz, doch zog sie ihre Hand nicht wieder zurück. Es ließ die Priesterin aufschauen und so konnte sie ihr tief in die bernsteinfarbenen Augen blicken, in denen der silberne Schimmer zu brodeln schien. "Es tut mir leid. Sag, wie fühlst du dich?", fragte sie fürsorglich, was die Hohepriesterin noch mehr stutzen ließ. "Ich habe dir gerade die Geschichte deines Todes erzählt, worauf du dich vor Schmerzen auf dem Boden krümmtest und du fragst mich, wie es mir geht?", stieß sie noch immer überrascht und ungehalten hervor. "Ja", war die schlichte und knappe Antwort der Todesritterin. Marialle schien zu überlegen, lange. So ergriff die Elfe erneut das Wort. "Diese Frage hast du dir schon lange nicht mehr selbst beantwortet, kann das sein?" Dolettes Gesicht war noch immer die makellose, starre Maske, die sie pflegte aufzusetzen, doch sie wusste, dass ihre Augen und Worte sie verrieten.

Marialle starrte noch immer ungläubig, fast fassungslos in die Augen der Todesritterin. Sie wusste nicht wie lange schon. Dolette hatte mittlerweile einen Arm um ihre Taille und den anderen auf ihre Schulter gelegt und wartete geduldig, während die Hohepriesterin noch immer wie erstarrt, die Arme schlaff herabhängend, in der steifen Umarmung stand. Woher beim Licht konnte sie auch nur erahnen, wie sie nun war, seit ihre Liebste ihr genommen wurde?
In dieser Frage lag so unglaublich viel Wahrheit, dass sie auf einmal spürte, wie die Emotionen heiß in ihr hochstiegen. Die malerische Landschaft eines Tales erstreckte sich vor ihrem inneren Auge. Sie stand an eine Klippe und schaute darauf herab.
Marialle schüttelte sich im Geiste so wie physisch im hier und jetzt und wandte den Blick von den Augen der Todesritterin ab. Sie schluckte hart, um die Tränen nicht weiter aufsteigen zu lassen. "Ich weiß nicht, was du meinst. Mir geht es ausgezeichnet. Ausgenommen der Sorge, die ich bis eben noch empfunden habe." Sie bezweifelte, dass Dolette ihr dies abnahm, doch würde sie sicher nicht weiter nachfragen, zumindest vorerst. Die Priesterin befreite sich aus der Umarmung und drehte sich leicht weg. "Komm, wir sollten Kinnab und Susanne informieren. Auch sie machen sich Sorgen", ließ sie kraftlos verlauten und machte Anstalten loszugehen. Doch sie wurde bestimmt am Handgelenk festgehalten und das vertraute goldene Leuchten erstrahlte. Sie schluckte erneut, als Dolette sie zwang, sich ihr wieder zuzuwenden und in ihre Augen zu sehen. Der goldene Schimmer, der in diesem Moment in dem strahlendem hellblau lag, ließ die Fassade der Priesterin schlussendlich bröckeln und so brachen sich doch Tränen ungehindert ihren Weg über ihre Wangen Bahn. "Lass mich! Sieh mich nicht so an!", befahl Marialle verärgert und konnte nur schwer ein Schluchzen unterdrücken. "Warum?", fragte die dunkle Elfe matt. Ihr Gesichtsausdruck schien gleichgültig, aber ihre Augen … diese Augen zeugten von Gefühlen. Jeglicher Art, die man sich nur vorstellen konnte. Sie ließen die Menschenfrau nicht los. Wie es immer schon war. "Weil du in mich hinein schaust", gab die Hohepriesterin ehrlich zurück. Sie bemühte sich all ihre Erfahrung und Autorität in diesen einen Satz zu legen, auf das die Todesritterin sie endlich nicht mehr mit diesem forschenden Blick bedachte, den sie so schmerzlich vermisste und liebte. Es schien zu wirken, denn nun zuckten die leuchtenden Augen für den Bruchteil eines Herzschlages schmerzverzerrt und Marialle wurde aus dem Griff entlassen. Dolette ging schnurstracks an ihr vorbei und sagte nur: "Zu Kinnab, nicht dass er sich weiter sorgt." Der unüberhörbare Sarkasmus versetzen der Hohepriesterin einen weiteren Stich.

Als sie die Kajüte betraten, saß der Verlassene tatsächlich auf einem Stuhl und wippte ungeduldig mit dem Fuß. "Lady Dolette, da seid ihr ja. Konntet ihr euer Leid ..." Die Todesritterin schenkte ihm einen Blick, der ihn auf der Stelle hätte umbringen müssen, wäre er nicht schon tot gewesen und ließ den Untoten zumindest augenblicklich verstummen. Er nickte nur kurz und wandte sich zum Gehen. "Ich werde mal Susanne suchen gehen. Sie macht sich sicherlich auch noch immer Sorgen." 
"Tut das, Kinnab." Der Blick der Elfe zeugte noch immer von Eiseskälte. Er verließ murmelnd den Raum. Die Todesritterin beachtete Marialle nicht weiter und legte sich aufs Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Erst jetzt fiel der Hohepriesterin auf, dass die Elfe ohne ihren Umhang in der spärlichen Rüstung einen äußerst aufreizenden Anblick bot. Die grazile Frau auf dem Bett schien den bohrenden Blick der Priesterin zu spüren und schaute auf. Ertappt lief Marialle rot an und schalt sich für ihre unpassenden Gedanken. "Also?" Die Hohepriesterin wandte sich ab und wollte die Kajüte verlassen.
"Nichts also."

Die dunkle Elfe betrachtete den Fleck, an dem die Hohepriesterin noch vor wenigen Momenten gestanden und sie angesehen hatte und ein Seufzen entfuhr ihr. Marialle hatte so viele verschiedene Gefühlsregungen gezeigt, während sie von ihrer gemeinsamen Zeit berichtete. Die Erinnerung daran ließ sie schmunzeln. Diese erhabene, wissende Hohepriesterin war ein ums andere mal rot angelaufen, als sie von ihrer tiefen Liebe und der Verbindung erzählt hatte, die sie seelisch und körperlich eingegangen waren. Und gerade eben hatte sie denselben beschämten Ausdruck auf dem ebenmäßigen Gesicht, das, sofern es frei von Trauer, so unfassbar schön war.
Dolette musste einige male schwer schlucken, während die Priesterin Stunden zuvor dem Ende ihrer Geschichte immer näher kam. Natürlich wusste sie um die Sucht der Blutelfen und auch war ihr klar, dass es zu ihren Lebzeiten auch für sie einmal ein Thema gewesen war, aber die Parallelen, die es zu ihrer jetzigen Daseinsform aufwies, machten ihr Angst. Zumindest, wenn sie an die Menschenfrau dachte.
Sie würde Abstand halten müssen. Jetzt da sie die Geschichte um Marialle und sich kannte erst recht. Sie würde der Priesterin mit den weichen, schönen Augen nicht noch mal dasselbe antun. Sie würde ihr Trost und Ablenkung geben. Mehr nicht. Und nachdem sie die Anführer an der Pforte des Zorns gewarnt hatten, würden sich ihre Wege für immer trennen. 

Marialle stand noch immer, mit dem Rücken an der verschlossenen Türe und ließ den Kopf hängen. Wie sehr hatten ihre Gefühle für Dolette sie schon wieder gefangen genommen? Die Sorge war fast unerträglich und wie lächerlich sie sich gemacht gemacht hatte noch viel mehr. Es war der dunklen Elfe einfach egal gewesen, ob die Priesterin oder auch Plagg sich um sie Sorgen gemacht hatten. Zumindest gab sie sich alle Mühe, um das jeden glauben zu machen. Sie war zwar schon in der Lage, die unterkühlte Maske der Todesritterin zu durchschauen, die Hohepriesterin wusste allerdings in keinster Weise, ob sie es ertrug gegen diese Fassade stetig ankämpfen zu müssen. Dieses hin und her im Verhalten der ehemaligen Paladin versetzte ihr Stiche, nur um sie Augenblicke später wieder zu heilen.
Noch bevor sie ihre Geschichte erzählte, war sie der Meinung, der Hoffnungsschimmer wäre so groß und die Todesritterin auch gewillt, aber jetzt? Vielleicht war es ein Fehler es ihr zu erzählen. Die wenigen Gefühlsregungen im Gesicht der Elfe waren alle negativer Natur und schienen erst am Ende aus ihr raus zu drängen.
Ihr Kennenlernen und die schicksalhafte Verbindung, die die beiden Umgab, schien sie im Gegensatz nur wenig zu bewegen.
Nur als sie vorhin so wissend fragte, wie ihr Befinden sei, war Marialle kurz schwach geworden, doch sie besann sich. Dolette war eine Todesritterin. Es war ja nicht so, dass Todesritter nichts fühlen konnten, aber alles in der dunklen Elfe schien gegen positive Gefühle anzukämpfen. Im Leid hingegen schien sie äußerst gern zu baden.
So beschloss die Hohepriesterin, die Anführer von Allianz und Horde an der Pforte des Zorns so schnell es ginge zu alarmieren und sich dann wieder dem Turm des heiligen Lichts zu widmen. So wie Yskopaiah es einst für sie erdacht hatte. Sie lehnte sich von der Türe und wandte sich nach links, um in ihre Kabine zu gehen und endlich etwas schlafen zu können. Lange würde die Überfahrt nicht mehr dauern.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt