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   "Halt dich fest, Mari!", befahl sie herrisch, was ihr zwar einen erschrockenen, aber vor allem verwunderten Blick einbrachte. Dolette hielt sich mit aller Kraft an dem Lederriemen fest, der an der Decke befestigt war. Unter sich sah sie Plagg und Susanne abstürzen. Die Dämonin, die sich jedoch schnell ihrer Fähigkeit zu fliegen bewusst wurde, fing den Verlassenen mit Leichtigkeit auf.
"Das Ende ist nicht mehr weit, haltet aus!", rief der Hexenmeister im vorbeifliegen und deutete gen Himmel. Noch immer fuhr der halbierte Käfig bedrohlich knarrend hinauf.
"Ich rutsche aus der Schlaufe, Mari! Ich werde dich jetzt an die Gitterstäbe schwingen und dann kletterst du auf das Dach. Hast du mich verstanden?" Die Angesprochene nickte entschlossen und die Elfe, schwer keuchend, begann sie auf die verbliebenen Stäbe zu zu schwingen. "Jetzt!", schrie sie und ließ die Priesterin los, die ein winziges Stück ohne Halt durch die Luft flog und sich schließlich an den Gitterstäben festhalten konnte. "Und jetzt kletter hinauf", befahl Dolette weiter und Erschöpfung lag deutlich in ihrer Stimme. Oben angekommen, schaute Marialle durch das große Loch, durch das die Seile führten und sah die Untote kraftlos an der Schlaufe hängen. "Jetzt du, Dole. Schwing dich rüber", schrie sie hinab, das Knarren der Vorrichtung war auf dem Dach um einiges lauter, als in der Kabine.
Dolette sah erleichtert zu der Menschenfrau auf und lächelte matt, bevor sie begann zu schwingen. Sie ließ den Lederriemen los und hielt sich sicher an den Gitterstäben. Ein weiteres mal lächelte sie zu Marialle hinauf, diesmal erfreut und siegessicher, was ihr diesen charmanten, jugendlichen Gesichtsausdruck verlieh. 
Marialle lächelte noch zurück, doch in dem Moment rutschten die Stäbe aus ihren Verankerungen und sie sah, wie das schockierte Gesicht der Priesterin immer weiter von ihr fort gerissen wurde.

"Doooooole!", schrie die Priesterin aus Leibeskräften und musste der Todesritterin zusehen, wie sie im Nebel verschwand.
"Nein!", presste sie atemlos hervor und in dem Augenblick schoss ihr eine schwarz, violette Hand entgegen und sofort streckte sie ihre aus, um sie zu ergreifen. Als der Käfig weiter hinauf fuhr, erblickte sie erleichtert, die Gestalt der Elfe, die sich aus dem Nebel schälte. Einige Herzschläge verstrichen, bevor Marialle spürte wie ihre Kraft rapide abnahm und sie Mühe hatte die Hand weiter festzuhalten. In dem Moment tauchte die Sukkubus neben ihr auf.
"Susi, schnell! Ich kann Dolette kaum noch halten!", befahl sie atemlos und spürte, wie Dunkelheit sie umfing.

'Mariiiiiiii ...', hallte die verzweifelte Stimme ihrer Liebsten, wie in unzähligen Träumen zuvor, in ihr wider.
Kraftlos ließ sie die todbringende Hand, die Rettungsleine zu Dolette los.
Alles drehte sich und sie wippte auf und ab. Langsam öffneten sich ihre Augen und sie gewöhnte sich nur langsam an das helle Weiß, das sie, ausgehend von den tief hängenden Wolken, umgab. Sie musste einige Male blinzeln, doch dann erkannte sie die blau schimmernden Augen, die besorgt zu ihr hinab schauten. Erleichterung durchströmte sie und sie glitt augenblicklich wieder in die Ohnmacht zurück.

Als sie das nächste mal erwachte, war es bereits dunkel und Marialle lag auf ihrem Felllager. Sie drehte leicht ihren Kopf und erkannte die Todesritterin an ihrer Seite, gegen einen Stein gelehnt, schlafend.
'Zum Glück', dachte sie. Offenbar hatte die Dämonin es geschafft, Dolette rechtzeitig zu fangen. Ein sanftes Lächeln glitt über ihre Lippen und sie streckte gerade die Hand aus, um der Elfe über die Wange zu streichen. Ihre Haut war eben wie aus Marmor und der Drang verstärkte sich enorm, als der Hexenmeister sich vernehmen ließ und sie ruckartig ihre Hand zurück zog. "Wie fühlt ihr euch, Mylady?", fragte er und der Klang seiner Stimme ließ auch die Todesritterin augenblicklich erwachen. Abrupt drehte sie sich zu der Priesterin und sah sie mit einer Mischung aus Sorge und Scham an. "Alles in Ordnung, denke ich. Es ist jedenfalls noch alles dran", versuchte sie sich an einem Lächeln, doch der Ausdruck im Gesicht der Untoten erschwerte ihr den Versuch. "Wie lange war ich denn weg?", fragte sie als keiner der beiden etwas sagte. "Etwa einen halben Tag", kam es nun gedrungen von Dolette. "So lange? Ich verstehe gar nicht, warum ich überhaupt in Ohnmacht gefallen bin. Ich weiß nur noch, dass ich mich plötzlich so schwach fühlte und dann Dunkelheit", plapperte sie leicht hin, doch die Mine der Todesritterin verfinsterte sich noch mehr. "Man nennt ihn nicht umsonst Todesgriff, Marialle. In der Regel lässt er sein Opfer nur erstarren, aber meine Kräfte wirken auf dich ganz besonders negativ. Offenbar entzog ich dir deine Energie. Es tut mir leid", erklärte sie analytisch und wandte zum Ende den Blick gen Boden ab.
Marialle legte eine Hand auf ihre und drückte sie zart, auf dass die Elfe sie anschaue. Das sanfte gold und silber beleuchte ihre Gesichter. "Solange es dich gerettet hat, war es das doch wert", sagte sie sanft und lächelte milde. Die dunkle Ritterin schien hart zu schlucken und brachte nur ein kehliges "Ja." heraus.
"Siehst du?" Die Priesterin lächelte aufmunternd und wechselte das Thema. "Gibt es was zu Essen? Ich habe einen Bärenhunger", strahlte sie nun und die Todesritterin sprang ungelenk auf, wodurch die Töpfe und Pfannen in einer der Taschen laut schepperten. Marialle schmunzelte gütig und der Elfe schien ein rosiger Hauch auf die Wangen zu steigen. "Nach dem Essen, solltet ihr euch vielleicht erfrischen, Lady Marialle. Das bringt den Kreislauf wieder in Schwung", ließ sich Plagg ebenfalls schmunzelnd vernehmen.
"Eine gute Idee, Meister Kinnab. Das werde ich tun."

Nachdem sie gegessen hatten, schickte sich die Hohepriesterin an, nach einem Gewässer in der Nähe zu suchen.
"Ich begleite dich!", kam es ungewollt ruppig, von Dolette, nachdem sie ebenfalls aufgesprungen war. "In Ordnung, Dolette", antwortete Marialle zögernd und bedachte die Todesritterin eines abschätzenden Blickes.
"Dann komm.", wurde Dolette noch aufgefordert und die Elfe gehorchte. 
"Wir sind vorhin an einem See vorbeigekommen, wir dürften ihn gleich erreichen", erklärte sie und überholte die Menschenfrau.
Als sie an die Lichtung traten, die vor dem See lag, brach die Wolkendecke gerade auf und ließ die Wasseroberfläche silbern im Schein des Mondes glitzern. Dolette starrte gebannt darauf und wandte sich erst ab, als die Wolken den Mond wieder verdeckten. Sie schaute zu der Priesterin, die gerade ihre Robe hinab gleiten ließ.
"Sag mal hatten wir das Thema nicht schon?", schmunzelte sie und die dunkle Ritterin drehte sich augenblicklich wieder um, was Marialle nun herzhaft lachen ließ. "Wieso bist du mitgekommen, wenn du dich doch nur peinlich berührt abwendest?", fragte sie keck, während sie ins Wasser glitt. Die Untote räusperte sich.
"Um dich zu beschützen selbstverständlich. Du bist womöglich noch immer geschwächt", ließ Dolette steif verlauten, was die Hohepriesterin erneut leise lachen ließ. Die Wolkendecke lichtete sich aufs Neue und der Anblick, der sich ihr nun bot, raubte der Elfe den Atem. Das nasse, hellbraune Haar der Menschenfrau, schien im Schein des Mondes, silbern zu glänzen, ebenso wie die Haut ihrer grazilen Schultern bis zum wohlgeformten Schlüsselbein. Bei jedem Zug, den sie durchs Wasser tat, funkelten die herausragenden Körperteile. "Ach so, wenn du mich nur beschützen willst, musst du natürlich da stehen bleiben und zugucken." Es schien ihr, als würde sie zwinkern, während sie diese Worte verführerisch zu ihr rüber rief. Ein wohliges Glücksgefühl breitete sich in Dolette aus. Die Priesterin wieder so unbeschwert und frech zu erleben, ließ die Flamme in ihrem Inneren ungehindert züngeln. Die Dunkelheit in ihr machte Anstalten, doch loderte das Feuer viel zu stark und so ließ sie ihren Umhang fallen, öffnete die Verschlüsse ihrer Rüstung und streifte das kurze Leinenhemd sowie die Hose ab. "Ich habe nie behauptet, dass das das Einzige ist, was für mich von Begehr ist, Mylady", sagte sie ruhig und stieg in das kühle Nass, in dem die Priesterin sie mit einem Lachen und einem Schwall Wasser in Empfang nahm.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt