"Gefällt euch der, Mylady?", fragte Plagg und versuchte es erneut mit einem Lächeln. Sie mochte den Untoten ja irgendwie, doch an sein Gesicht würde sie sich so schnell nicht gewöhnen. Die Übelkeit verdrängend, schaute sie sich den hellen Ledermantel an, den er ihr hinhielt. "Lasst ihn mich anprobieren, wenn er passt, nehmen wir den", antwortete sie bemüht leichtfertig. Sie spürte die Wärme augenblicklich, als sie den Mantel übergestreift hatte. Er saß perfekt und betonte jeden Aspekt ihrer wohlgeformten Figur. Sie nickte entschlossen. "Ja, den nehmen wir." Der Hexenmeister nickte erleichtert und wandte sich an den Verkäufer des kleinen Gemischtwarenstandes. Dieser schien aus seinen Gedanken hochgeschreckt, als er angesprochen wurde. Er hatte die Hohepriesterin die ganze Zeit schon missgünstig beäugt. Selbst wenn das Bündnis zwischen Horde und Allianz von Bestand sein würde, zwischen Untoten und Menschen würde das Verhältnis wohl noch eine ganze Weile gereizt bleiben. Plagg bedankte sich und die drei gingen wieder zurück in die Mitte der kleinen Stadt, um dort auf Dolette zu warten.
Zu ihrer Überraschung kam sie Augenblicke später aus dem großen Haupthaus hinter ihnen und trat an die kleine Gruppe heran. "Ich habe mit dem Hochexekutor der Stadt gesprochen und er riet mir, durch die Grizzlyhügel und dann durch Zul'Drak zu ziehen. Die untoten Trolle der Drakkari sind zwar gefährlich, aber was uns in der Drachenöde erwartet wohl noch viel mehr. Also kommen wir seinem Rat nach", verkündete die Todesritterin. Sie machte einen erholten Eindruck, als hätte sie sich die ganze Zeit ausgeruht, was Marialle verwunderte. So sah sie bei ihrer Ankunft im Hafen der Vergeltung doch noch immer recht erschöpft und ausgelaugt aus. Ob Plagg recht hatte? War die Präsenz der Priesterin eine Qual für die Elfe? Die Sukkubus riss sie aus ihren Gedanken. "Herrin Dolli jetzt bei Susi am bleiben?" Die dunkle Ritterin verzog das Gesicht, doch sagte sie diesmal nichts dazu, stattdessen nickte sie ihren Gefährten nur in Richtung der Stadttore zu. "Kommt! Wir haben noch einen halben Tag", befahl sie und alle gehorchten.Die Zeit verstrich und niemand sagte ein Wort, während sie durch das karge, kalte Land marschierten, auf dem hie und da eine einsame Tanne stand. Die Pflanzen brauchten sicher mehrere Jahre um auf dem unwirtlichen Boden zu ihrer vollen Größe heran zu wachsen. Der Himmel war die ganze Zeit grau und der Nebel hing tief, erschwerte die Sicht in die Ferne.
Die Gefährten staunten, als sie schließlich an eine steile Felswand kamen, die auch hinter den Wolken kein Ende zu nehmen schien. "Und jetzt?", ließ sich der Verlassene entmutigt vernehmen. "Anselm sagte, dass es hier irgendwo eine Vorrichtung geben muss, ähnlich einem Flaschenzug, wir müssen also nur der Felswand folgen", gab Dolette bereitwillig Auskunft. Die Elfe wirkte noch immer gelöst, obwohl sie so wie alle die ganze Zeit nicht gesprochen hatte.
"Schlagen wir hier unser Lager auf. Morgen schauen wir, dass wir diese Vorrichtung finden. Ich sehe zu, dass ich was Essbares organisiere", fügte sie noch hinzu. Herzschläge später war sie im Nebel verschwunden und Plagg und Marialle schickten sich an, das Lager aufzuschlagen. "Susi, hol uns etwas Holz", befahl der Hexenmeister seiner Dienerin, die Unverständliches murmelnd, wie die Todesritterin zuvor, in den Nebeln verschwand.
"Es scheint ihr besser zu gehen oder was meint ihr, Meister Plagg?", fragte die Hohepriesterin bemüht beiläufig. Er schätzte sie kurz ab, bevor er Antwort gab. "Mhm, da habt ihr recht. Ich weiß allerdings nicht, was sie in der Zeit gemacht hat, als wir unser Gepäck aufgefüllt haben." "Na, sie hat mit diesem Hochexekutor gesprochen, hat sie doch gesagt." Sie sah den Untoten verwirrt an und er überlegte einen Moment. "So lange? Ich denke, sie hat noch was anderes gemacht, Mylady." Nun war ihre Neugierde geweckt und unverhohlen starrte sie ihn an, bevor sie weiter fragte: "Und was könnte das sein, Meister Plagg?"
"Davon ausgehend, dass ihr schlechtes Befinden doch nicht mit eurer Anwesenheit in Zusammenhang stünde, würde ich meinen, sie ..."
"Ist mir doch direkt ein junges Reh vor die Klinge gelaufen. Da haben wir ein paar Tage was von", erklang es einige Körperlängen entfernt glockenklar aus dem Nebel und kurz darauf trat die ehemalige Paladin an die beiden heran, die das Lager bereits fertiggestellt hatten. "Jetzt fehlt ja nur noch das Feuerholz! Susiiii! Wo bleibst du denn?", rief der Verlassene erfreut.
"Meisterchen! Susanne Holz geholt am haben!", quietschte sie gepresst aus der anderen Richtung der Nebelwand. Die Dämonin hielt einen Stapel Holzscheite vor ihrer Brust, der sie um einige Köpfe überragte und bedrohlich wackelte. Sie schaute an dem Stapel vorbei, warf das Holz hoch in die Luft und rannte an die Seite der Todesritterin. Einer der Scheite traf Plagg zielsicher auf den Kopf, was ihm einen jämmerlichen Schmerzenslaut entlockte. Marialle schüttelte kichernd mit dem Kopf.
"Herrin Dolli ganz allein leckeres Reh gefangen am haben?", flötete sie ihr fröhlich entgegen. "Ehhh, … Kinnab. Gehts?", wollte Dolette doch tatsächlich schmunzelnd wissen. Der Angesprochene rieb sich den schmerzenden Kopf und linste gereizt zu seiner Dienerin. "Danke, Mylady. Nichts, was die Lady Hohepriesterin nicht mit Handauflegen bereinigen könnte. Susanne, wir beide sprechen uns nachher noch!" Der Todesritterin huschte erneut ein verspieltes Lächeln über die Lippen, was ihr diesen unnachahmlichen, jugendlichen Ausdruck verlieh. Marialles Herz machte einen kleinen Hüpfer. Als der Untote sein Haupt theatralisch auf dem Schoß der Priesterin bettete, konnte auch sie sich eines Lächelns nicht länger erwehren. Tatsächlich hatte er eine kleine Platzwunde, die sie schnell und routiniert verschloss.
"Ein Pochen wird aber bleiben, Meister Plagg. Verzeiht", sprach sie so sanft, es der Anblick seiner widerwärtige Gestalt erlaubte, zu ihm hinab. Er richtete sich wieder auf und auf einen bestimmenden Blick der Elfe empfing ihn die Sukkubus mit offenen Armen. "Ahh, Susi. Ja so muss das sein und jetzt such mir einen Teich oder See oder Fluss. Das kühle Nass wird Linderung bringen."
"Meisterchen am baden? Susanne auch?", fragte die Sukkubus leise und irgendwie verführerisch, doch die beiden schmunzelnden Frauen konnten es nicht überhören. "Ja, ja, Susi. Klar, du auch. Nun komm!" Sie hob ihn mit Leichtigkeit hoch und so verschwanden die beiden im Nebel.
Marialle hielt sich amüsiert die Hand vor den Mund, doch fühlte sie jäh den vertrauten, forschenden Blick, den sie so sehr liebte und Wehmut stieg unerbittlich in ihr auf. Sie senkte ihre Augen, genau wissend, würde sie jetzt aufschauen, würde sie in diesem Blick drohen zu versinken. Auch wenn diese blau leuchtenden Augen jegliche Wärme verloren zu haben schienen, war dieser unnachahmliche Blick geblieben. "Gibt es da unten etwas von Bedeutung?", fragte die Todesritterin amüsiert. Offenbar hatte sie da genau den richtigen Riecher, so wie sie fragte. "Was? Nein! Nein, gar nicht. Ich überlege nur, wie ich mich am besten zum Schlafen legen werde", log die Priesterin. Nicht besonders gut, das war klar. Lügen war einfach nicht in ihrer Natur.
Dolette erhob sich und ging ein paar Schritte auf sie zu. Amüsiert erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf die rosanen Wangen der Menschenfrau. Sie bückte sich, um die drei Holzscheite aufzuheben, die vor Marialle gelandet waren. Diese schreckte kaum merklich zurück. "Was hast du denn, Marialle?" Nun lag Verwunderung auf dem Gesicht der dunklen Elfe. Sollte sie der Hohepriesterin plötzlich etwa Angst einjagen? "Ach nichts. Kümmer dich doch einfach nicht um mich", gab die Menschenfrau fast gereizt zurück. Dolette musterte sie ausgiebig, was ihr immer unangenehmer zu werden schien und die rosa Verfärbung wurde etwas dunkler.
Nachdem die Todesritterin den Rest vom Holz zusammen gesammelt und ein Feuer entfacht hatte, erhob sie erneut das Wort. "Sag mal, mache ich dir Angst?", fragte sie nun ganz direkt, schließlich war von der heiteren Stimmung, die sie noch bis eben hatten, alles verschwunden. "Was? Blödsinn. Überschätz dich nicht, du finstere Untote", versuchte die Priesterin ihre Unsicherheit mit einem Scherz zu überspielen. Aber die Elfe sah mehr und knurrte leise resignierend vor sich hin. Marialle war sich dem offenbar auch völlig bewusst, dennoch schwieg sie sich aus. Mittlerweile hatte Dolette das Reh ausgenommen und die Haut abgezogen, ihre Hände waren voller Blut. "Sicher?", ging sie auf den vorangegangenen Witz ein und erhob bedrohlich die blutverschmierten Hände. Doch die erhoffte Reaktion blieb aus. "Wärst du so lieb?", fragte sie nun leise und reichte Marialle den Wasserschlauch. Diese nickte nur teilnahmslos. "Nun sag mir, was in dir vorgeht! Ich kann es nicht erkennen", bat die Todesritterin ungewohnt sanft, während sie sich unter dem Wasser, was die Menschenfrau hinab laufen ließ, die Hände wusch.
Eine Brise frische auf. Urplötzlich drang der betörende Duft der Hohepriesterin in ihre Nase und sie drohte, sich für einige Herzschläge zu verlieren, bis die menschliche Stimme deutlich an ihre Ohren drang. "Dir scheint es wieder besser zu gehen, mh?" Dolette war irritiert. "Pass auf, du hast deine Hände gar nicht mehr unter dem Wasser!", ermahnte Marialle und dabei entwich ihr ein unterdrücktes Kichern. Das goldene Schimmern in der Elfe war sofort wieder entfacht und so wusch sie sich schnell ihre Hände zu Ende, bevor sie zu einer Antwort auf die ursprünglich gestellte Frage ansetzte.
"Vielleicht habe ich die Höhe einfach nicht vertragen, ich weiß es nicht, aber jetzt geht es mir wieder gut, das ist doch das wichtigste", log sie bei diesem Thema erneut. Es war wirklich nicht nötig der Priesterin ein noch schlechteres Gefühl zu vermitteln. Wenn sie die Pforte des Zorns wieder verlassen würden, bräuchte sie sich mit dieser Frage nicht mehr weiter zu quälen. "Aber wo wir gerade bei dem Thema sind. Heute Nacht auf dem Luftschiff hast du mir nicht die Wahrheit gesagt, als ich dich dasselbe fragte. Kann das sein?", lenkte sie rasch das Thema von sich ab. Mit Erfolg. Der Gesichtsausdruck der Hohepriesterin veränderte sich. Ein trauriger Schatten glitt darüber. "Warum willst du das Wissen, Dole?", lautete die Gegenfrage mit der ungewohnt intimen ansprach, die der dunklen Ritterin einen Schauer über den Rücken jagte. Ihr wurde wieder bewusst wie nah sie sich grade waren und der Duft stieg abermals in ihre feine Nase.
"Naja, ist das so verwunderlich für dich, dass ich mich frage, wie es dir geht, nachdem du deinen Bruder und die, die du liebtest an einem Tag verloren hast? Ich sah doch deine Maske, keck und wortgewandt wie du warst, bis ..." Sie beendete den Satz nicht, wissend dass Marialle auch so verstand. "... bis in Putress Labor die Fassade zu bröckeln begann", beendete sie ihn anders, als ursprünglich erdacht, da die Menschenfrau keine Anstalten machte zu reagieren. "... bis zu Therez' Tod", schloss Marialle, leise fast flüsternd, für sie. "Ja. Du sagtest, sie umgab dich wie ein Schild, ließ dich deinen Schmerz vergessen." Ein bitteres Lachen entfuhr der Hohepriesterin. "Vergessen. Das wäre zu schön gewesen, aber sie vermochte es ihn tief genug wegzusperren, damit ich mein Lächeln wieder fand", erklärte sie nun wieder ruhig, doch Tränen funkelten in ihren Augen und spiegelten darin das Feuer.
"Und wie ist es jetzt?", drängte Dolette weiter, so behutsam es ihr möglich war.
"Sag du es mir! Du durchschaust mich doch so oft. Aber selber verlierst du kein Wort darüber, wie es dir mit dem Wissen um das was wir hatten, was wir hätten haben können, geht. Die unnahbare, eiskalte Todesritterin, die keinen Einblick in ihr Innerstes gewährt." Die Elfe riss die Augen auf. In diese Richtung wollte sie das Gespräch wahrlich nicht lenken. Doch sie hielt es einfach, wie es ihre Art war. Auch wenn sie noch nicht wusste, wie sie dieser Vereinbarung, die sich gerade in ihrem Verstand festsetzte, Zugeständnisse machen sollte. "Also gut, du erzählst mir von deinem Schmerz und ich dir von meinem", schlug sie ernst vor und hielt Marialle ihre Hand hin, die nach kurzem Zögern auch ergriffen wurde. Das sanfte, goldene und silberne Schimmern leuchtete auf und zum ersten mal an diesem Tag trafen sich die Blicke der beiden Frauen, wodurch sie in die wunderschönen, traurigen Augen der Priesterin schauen konnte, die im Schein des Feuers golden glommen. Die Priesterin nickte unsicher. "Abgemacht!"
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Die dunkle Ritterin
FantasyDie Geschichte einer Todesritterin, die durch einen Auftrag für Sylvanas Windläufer, an ihrem vergessenem Leben rührt. Wer war sie einst? Wer ist sie heute? Und was wird aus ihr werden? Liebe, Freundschaft, Leid und Tod begegnen Dole auf ihren Rei...