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   Die Gefährten trieben die Pferde tagelang bis in die Erschöpfung und machten nur Rast, um sie nicht in den sicheren Tod zu führen.
Die Bäume der einst prächtigen Allee, die zu den Wohnhäusern des Hofes der Familie Lichtsprung führten, schienen graubraun ohne Leben und trugen keine Blätter. Eigentlich normal, da der Frühling noch etwas Zeit brauchte, um seine Pracht zu entfalten, doch diese Bäume waren nicht gezeichnet durch den Winter, sondern durch Tod und Verfall.
Dolette und Marialle hetzten an ihnen vorbei und stiegen eilig von ihren Stuten, nachdem sie das Haupthaus erreicht hatten.
"Ihr wartet hier!", befahl die Kommandantin und signalisierte Marialle sie zu begleiten.

Sie stiegen die drei Stufen zur großen Tür hinauf und die Priesterin klopfte kräftig daran. Das schwere Holz wurde einen Spalt breit geöffnet und sie erkannte die hochgewachsene Gestalt ihres ältesten Bruders Gustav, der erleichtert lächelte als er sie erkannte. "Schwester! Es tut gut dich zusehen!" Marialle schloss ihn fest in die Arme und atmete tief durch. Es tat gut eines ihrer Familienmitglieder gesund und am Leben zu sehen. "Gustav, sind alle wohlauf?"
"Ja, soweit schon, nur Vater geht es zusehends schlechter, er hatte letzten Herbst etwas mit dem Herzen und seit dem ist er nicht mehr derselbe. Dolette, es ist schön dich wieder zu sehen. Kommt rein." Er reichte der Paladin die Hand und schüttelte sie kräftig.

"Dich auch Gustav. Wir sind mit unseren Gefährten hier, kannst du sie unterbringen? Es sind acht." Er nickte, winkte den anderen und bedeutete ihnen, dass sie auch ins Haus kommen sollten. "Jazper bring die Pferde in unseren Stall!", rief er ins Innere des Hauses, worauf hin der jüngste Lichtsprungsohn auch schon grinsend und winkend an ihnen vorbeieilte und den Neuankömmlingen ihre Pferde abnahm. Bertak und Gernodt halfen ihm dabei.
"Frau! Komm zu mir, es eilt!", brüllte er mit seiner dröhnenden Stimme in die Küche und Katrice erschien nur wenige Herzschläge später.
"Was benimmst du dich wie ein wildes Tier, Gemahl?" Sie hielt kurz inne und lächelte dann. "Mari, Dolette! Was...? Wie schön euch zusehen."

Sie schloss die beiden Frauen in die Arme. "Katrice, das ist der Trupp von Dolette, bring sie bitte ins Gästehaus, wir werden heute Abend zusammen speisen. Ich hoffe ihr kommt damit aus, euch die Zimmer zu teilen", sagte er an das Gefolge der Paladin gerichtet. "Damit kommen wir gut zurecht, Meister Lichtsprung. Habt Dank!" Antwortete Borigan würdevoll, für alle.
"Dann folgt mir, Krieger und ihr anderen auch." Und so entfernten sich die restlichen Gefährten mit Katrice aus dem Vorflur und Dolette und Marialle folgten Gustav in die geräumige Stube, in der ein Tisch stand, der dem auf der Veranda in nichts nachstand.

Auf der anderen Seite des Raumes waren einige Sessel vor einen großen Kamin gestellt. In einem davon saß Gustav der Ältere zusammen mit den Kindern, die vor ihm auf einigen Fellen auf dem Boden saßen.
"Vater, sieh nur wen ich dir gebracht habe." Aller Augen waren auf Dolette und Marialle gerichtet die so gleich von den Zwillingen flankiert wurden und auch Beatrice und Patrice kamen, um die beiden zu begrüßen. Gustav schickte die Kinder allerdings zügig aus der geräumigen Stube.
Nachdem sie sich bei der Begrüßung kurz hielten, setzten sie sich an den Kamin, in die kuscheligen Sessel zu Gustav dem Alten. "Schön euch beide wohlauf zu sehen, mein Kind", sagte der Alte.

Er sah geschwächt aus, doch zierte ein Lächeln seine Lippen.
"Wie geht es dem Vieh, Vater? Habt ihr noch genügend Vorräte? Hat sich sonst etwas getan?", fragte Marialle ohne Umschweife. "In der Tat sind uns schon viele Tiere weggestorben. Die Vorräte gehen langsam zu neige, aber das sollten sie zu diesem Zeitpunkt eh. Wir haben schon einige Angriffe der Geißel zurückschlagen müssen, aber bisher sind wir durchgekommen. Wisst ihr mehr?" Er sah die beiden Frauen abwechselnd an. Marialle erstarrte merklich, als der Alte auf die untote Armee zusprechen kam. Selbstvorwürfe drohten in ihr aufzusteigen, doch dafür war keine Zeit. Entschlossen drängte sie sie zurück.

"Es sieht nicht gut aus, Gustav", begann die Paladin ohne etwas zu beschönigen, "Prinz Arthas hat den König getötet und die Stadt Lordaeron zerstört. Dalaran soll von dem Dämonen Archimonde, dem Erdboden gleich gemacht worden sein und die Seuche nimmt im ganzen Land unerbittlich zu." Dolettes Miene war wie versteinert. Marialle sah ihren Vater an, in dessen Gesicht sich blankes Entsetzen abzeichnete. "Was sollen wir jetzt eurer Meinung nach tun?", fragte er und sah seiner Tochter eindringlich in die Augen. Sie hielt dem Blick kaum stand. Angst machte sich in ihr breit. Angst um das Wohl ihrer Familie. Ihre Scharfsinnigkeit hielt dagegen.

"Vater, ich habe etwas Gold gespart. Ich möchte, dass ihr umsiedelt. Nehmt das Vieh das ihr noch habt und baut euch einen neuen Hof in der Nähe Sturmwinds auf. Wenn es dort nicht mehr sicher ist, dann nirgendwo auf Azeroth." Er nickte bedächtig und straffte seine Statur. Seine stolze Haltung erschwerte es, doch die junge Priesterin sah ihrem Vater an, dass auch er mit seinem Latein am Ende wahr. "Kind, hol mir deine Mutter!" Sofort stand die junge Priesterin auf und ging in die Küche, um ihre Mutter zu holen. "Die Begrüßung müssen wir überspringen Mutter, komm." Ohne ein Wort zu verlieren kam sie der Aufforderung nach, gefolgt von Meridith und Charlotte, die auch in der Küche waren.

Im Flur stieß sie auf Jazper und herrschte auch ihn direkt an. "Jaz, hol die anderen, es gibt Familienangelegenheiten zu besprechen!"
"Jawohl, Lady Priesterin!", antwortete er neckend, bekam jedoch keine Reaktion. Sie eilte weiter mit den Frauen zurück in das geräumige Wohnzimmer. "Bauer, was geht denn hier vor sich?", ließ sich Magereth vernehmen und machte aus ihrem Unmut keinen Hehl. "Wir müssen hier weg, Mutter!", antwortete Gustav ohne Umschweife und fuhr fort. "Lordaeron wird von der Geißel angegriffen und mit ihr gewinnt die Seuche immer mehr an Raum. Mari sagt wir sollen nach Sturmwind. Sie hat etwas Gold für uns zurück gelegt, mit unseren Ersparnissen sollten wir dort einen neuen Hof aufbauen können. Wir müssen gehen solange noch etwas von unserem Vieh am Leben ist."

Magereth wurde bleich, aber ihre Augen waren noch immer scharf. Dafür bewunderte die Priesterin ihre Mutter. Ihr Verstand arbeite immer auf Hochturen. Ließ sich nie von Emotionen in Beschlag nehmen. "Ich verstehe, dann macht euch ran, Mädchen. Packt die Küche und euer Habe zusammen! Wir können nur mitnehmen was unbedingt nötig ist, vielleicht können wir noch einmal zurück, um den Rest zu holen. Wann gedenkst du aufzubrechen, Gemahl?"
"Morgen früh! Also macht euch auf eine kurze Nacht gefasst. Dolette, können deine Leute helfen?", fragte er und sah nun wieder die Paladin an. "Selbstverständlich, Gustav." Und weitere Worte waren nicht mehr nötig.

Nachdem Dolette den Gefährten Bescheid gegeben hatte, strömten alle in die verschiedenen Teile des Hauses und zur Scheune aus und packten und halfen. Es dauerte den ganzen Abend und die halbe Nacht, aber sie schafften alles zusammenzupacken, was sie nicht am nächsten Morgen noch brauchten. Auf dem Vorhof der Wohnhäuser standen mehrere große, vollgeladene Wagen mit denen sie morgen früh losziehen würden. Die halbe Nacht war noch über. Ein wenig Schlaf war noch nötig.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt