Silbern glomm das blasse Mondlicht durch das dichte Wirrwarr der Nadelbäume und tauchte den Silberwald in ein unwirkliches und traumähnliches Leuchten. Nah einer Lichtung zeichneten sich die Umrisse einer schlanken, in einen schwarzen Umhang gehüllten Gestalt in die magisch anmutende Landschaft. Ihr Gesicht umspielte ein bläulicher Schimmer, als sie behände in den Schatten glitt.
Das Knacken von brechenden Zweigen, unter unbeholfenen Füßen, ließ ihre langen Ohren kurz zucken und sie zog sich noch tiefer in die ihr vertraute Dunkelheit zurück. Leises Fluchen in der dreckigen Gossensprache, unverkennbar ein Untoter, das der Wind durch die Wälder trug, war zu vernehmen.
Völlig ruhig zog sie ihren kunstvoll verzierten, goldenen Stiefeldolch und wartete die wenigen Herzschläge, bis er nah genug an ihr vorbeitrat.
"Bash'a no falor talah!", zischte sie ihm zu, die blutleeren Lippen nah an seinem zerfetztem Ohr und die Klinge dicht an seiner Kehle. Die thalassische Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht im Geringsten. Der Untote erschauderte, soweit es ihm möglich war. "Warum verfolgt ihr mich, Abschaum?"
"Als wärt ihr auch nur einen Deut besser, hochnäsiges, untotes Spitzohr!? Lasst ab! Die Bansheekönigin schickt nach euch", entgegnete der Verlassene deutlich angespannt, ob der für ihn anmaßenden Drohung.
Den Dolch gesenkt stieß sie ihn grob von sich, ohne den zwischen Abscheu und mäßigem Interesse behaftetem Blick von ihm zu lassen. "Ihr befindet euch wahrlich nicht in der Position mich herauszufordern, Faulfratze. Was will Sylvanas?", fragte sie gleichmütig, den Dolch immer noch fest in der Hand haltend. Träge erhob sich der zerfallene Körper vor ihr und richtete sich langsam zu seiner vollen buckligen Haltung auf. Er klopfte den feuchten Waldboden von seiner purpurfarbenen Robe, die mit schwarzen Applikationen bedeckt war. Was von seinen Haaren noch übrig war, fiel ihm kraftlos auf die fahle, graue Haut seines Gesichtes.
"Bei allen verfluchten Dämonen, was weiß denn ich? Bewegt einfach euer dürres Hinterteil zu ihrem Sitz und wir müssen uns nicht mehr miteinander herum ärgern!" Ein unterdrücktes Knurren verließ ihre Kehle, während sie, ohne den Verlassenen weiter zu beachten, umdrehte und sich schnellen Schrittes von ihm abwand.
Er blickte ihr einen Augenblick nach und als er an diese eiskalten, blau leuchtenden Augen dachte, die ihn sofort in ihren Bann zogen, lief ihm ein Schauer nach dem anderen über seinen Rücken. Als er drohte sie aus den Augen zu verlieren, straffte er seine gedrungene Statur so gut es eben ging und eilte ihr nach.Eine ganze Weile stolperte er schweigend hinter ihr her, bemüht dem Tempo ihrer langen, durchtrainierten Beine zu folgen. Nach einiger Zeit durchbrach er jedoch die Stille und fragte: "Was hat euch eigentlich in den Silberwald geführt?" Ruckartig blieb sie stehen und sah ihm direkt, mit ihren leblos schimmernden Augen, in die seinen, die von genauso wenig Leben zeugten. Er glaubte für einen Herzschlag einen Funken Zorn, oder Verwirrung darin zu erblicken. Doch wieder trat Stille ein als sie ihn, jetzt ausdruckslos, anstarrte. Überlegte sie etwa, was sie erwidern sollte?
"Wie nennt man euch, Abschaum?" Kurze Verblüffung durchzog ihn, bis er eine kleine Verbeugung andeutete und mit überraschend klarer Stimme antwortete.
"Plagg Kinnab, Hexenmeister zu euren Diensten, Mylady." Sie zog eine Augenbraue hoch. "Auf einmal so schwülstig, Gerippe? Nun, schleimig seid ihr ja von Haus aus!" Er glaubte den Mundwinkel ihrer blassen Lippen, für die Winzigkeit eines Augenblicks, zucken zu sehen, als sie geendet hatte und so huschte ihm der Anflug eines Lächelns über seine labbrige Oberlippe.
Kinnab? Wie passend, dachte sie bei sich, als sie das untote Gesicht musterte, dem gänzlich der Unterkiefer fehlte. Sie konnte sich mit diesen Untoten einfach nicht anfreunden. Die zerfetzten Körper, der faulige Geruch, der sie umgab. Das war einfach nicht ihre Welt, obwohl sie ihrem verfluchten Selbst doch wohl noch am ehesten ähnlich waren.
Ihren Ekel herunterschluckend und darauf bedacht, die Maske der Gleichgültigkeit nicht abzulegen, ließ sie ihren Blick auf den trüben, grauen Augen ruhen. "Nun Lady Glutklinge, weicht ihr meiner Frage etwa aus?" Wieder zog sie sich in ihren Geist zurück. Tja was wollte sie überhaupt im Silberwald? Wenn sie das selbst so genau wüsste.
"Ich war offensichtlich auf der Durchreise, Kinnab. Ich wüsste aber beim besten Willen nicht, was das ein wandelndes, stinkendes Skelett wie euch anginge!" Die Leblosigkeit glitt zurück in ihre matt glühenden Augen und sie wandte sich ab, den Marsch fortzusetzend. Sie hörte, wie auch er wieder hinter ihr her trottete, noch immer bemüht dem Tempo ihrer langen, an Märsche gewohnten Beine zu folgen.
Die Beiden erreichten die Ruinen der ehemaligen Stadt Lordaeron, als der Mond sich schon deutlich gesenkt hatte und das Firmament anfing sich in Orangetöne zu färben. Es war ein Ehrfurcht gebietender Anblick. Zeugten die Ruinen doch von der brachialen Gewalt, mit der Arthas Menithil, einst Thronfolger Lordaerons, mit seinen Untoten Anhängern hier gewütet hatte. Etwas Friedliches umgab die zerfallenen Mauern der ehemals prunkvollen Stadt. Das war etwas, was ihr gefiel. Anders war es im Inneren.An den Geruch, der hier mittlerweile in den undurchschaubaren Gängen der Unterstadt Lordaerons herrschte, würde sie sich wohl genauso wenig gewöhnen, wie an ihre von Fäulnis zerfressenen Bewohner. Zusammen mit Plagg betrat sie schließlich einen Raum der eine Mischung aus Audienz- und Thronsaal zu sein schien. Einige Leuchter und Fackeln an den Wänden sorgten für genug Licht, um den Blick auf eine lederne Karte, in Mitten des Raumes, zu lenken, die auf einem Holztisch ausgebreitet lag.
Gedankenverloren stand Sylvanas Windläufer über sie gebeugt, bis sie von einer Wache auf die Neuankömmlinge aufmerksam gemacht wurde.
Sie erhob sich zu ihrer vollen, anmutigen Größe. Scharfe, rot scheinende Augen überflogen die beiden unterschiedlichen Gestalten, die den Raum soeben betreten hatten. Ihre lederne Waldläuferrüstung bedeckte nur wenig ihrer toten, grauen Haut, betonte ihre Figur dafür äußerst schmeichelhaft.
"Spart euch die Höflichkeiten, Glutklinge! Auch wenn meine Verlassenen mich wie eine ansehen, empfinde ich mein untotes Ich keines Wegs als königlich" Ehrliches Bedauern und große Verbitterung sprachen dabei aus ihrer dunklen, tiefen Stimme.
"Und du Kinnab versuch es lieber gar nicht erst, sonst läufst du noch Gefahr gar nicht mehr in die Position zurückzufinden, die du als aufrecht bezeichnest!", ließ sie zusätzlich scharf verlauten als die beiden Anstalten machten sich zu verbeugen.
"So ungelenk wie ihr meint, bin ich gar nicht, meine Königin", flötete Plagg heiter, kugelte sich kurzer Hand die Schulter aus und ließ seinen Arm rotieren, bis er einer Scheibe glich.
"Lasst diesen widerwertigen Unsinn, Kinnab. Sonst reiße ich euren Arm aus und schlage damit euren Allerwertesten grün und blau! Nach euren Späßen steht mir in diesen Zeiten wahrlich nicht der Sinn", zischte Sylvanas gereizt und wandte sich nun der Anderen zu, die das Treiben mit gleichgültiger Miene verfolgte.
"Verehrung, Lady Windläufer. Was ist euer Begehr?" Die blauen Augen und die unterkühlte Stimme zeugten von einer Trostlosigkeit, die die ehemalige Waldläufer Kommandantin bei noch keinem ihres untoten Gefolges je gesehen hatte. Höchstens mit Ausnahme von sich selbst. Kurz verlor sie sich in diesen erkalteten Augen, ehe sie sich fasste und begann zu erläutern.
"Ihr müsst für mich in den Norden des Waldes von Elwynn ziehen, dort steht der Turm der Kirche des heiligen Lichts. Er ist laut meinen Spähern nur spärlich, durch eine Hand voll Kleriker, bewacht. Einige Priesterinnen leben dort und lernen von der Hohepriesterin", begann Sylvanas ruhig zu erklären.
"Varimathras braucht sie für Putress' Experimente, er hat eine Seuche im Sinn die in der Lage sein wird eine ganze Armee der Geißel auf einen Schlag zu vernichten! Ich will meine Rache an Arthas nicht noch länger als nötig hinaus zögern. Also nehmt Kinnab mit und bringt mir diese Priesterin so schnell es geht!" Das Rot ihrer Augen leuchtete bedrohlich auf und färbte sich noch eine Nuance dunkler, beim Gedanken an ihre bevorstehende Vendetta.
"Und ihr vertraut diesem verräterischem, verwesten Haufen Gedärmeüberreste?" War die unbeeindruckte Antwort der dunklen Ritterin.
Ihr roter Blick blitzte auf, als die Bansheekönigin die Luft geräuschvoll einsog und scharf erwiderte: "Selbstverständlich nicht, aber eine solche Durchschlagskraft kann ich mir nicht entgehen lassen! Er steht unter Beobachtung, das soll euch genügen. Ruht euch jetzt aus, der Weg zum Wald von Elwynn ist weit!" Mit einem angedeuteten Nicken drehte sie sich um und verließ zusammen mit Plagg den Raum, deutlich die glühend roten Augen, der aufsteigenden Herrscherin der Verlassenen, auf sich spürend.Vor den Toren der Stadt hatte sie ihr Lager aufgeschlagen. Auf die Frage des Hexenmeisters, ob sie in seiner Unterkunft nächtigen wolle, hatte sie nur die Nase gerümpft und ihm mitgeteilt, dass er sich vor den zerstörten Stadttoren einfinden solle wenn die Sonne ihren höchsten Punkt verlässt. Daraufhin war sie schnellen Schrittes nach draußen geeilt. Jetzt saß sie auf ihrer Felldecke und fragte sich weshalb ihr dieser Auftrag so auf das, eh schon betrübte, Gemüt schlug und was Varimathras wohl von der im Wald von Elwynn stationierten Hohepriesterin wollte, dass diese der Seuche einen so großen Machtgewinn einbringen sollte. Heiliges Licht und die Seuche, wie sollte das miteinander vereinbar sein?
Doch schließlich kam sie zu dem Schluss, dass es ihr eh mehr als schleierhaft war wie diese Seuchen überhaupt funktionierten und so glitt sie schließlich in einen traumlosen Schlaf über.
Plagg wurde bereits von seiner neuen Herrin erwartet als er aus den Toren der zerstörten Stadt trottete.
"Mylady Glutklinge, es ist mir ein Vergnügen noch eine Weile an eurer Seite verweilen zu dürfen." Argwöhnisch betrachtete sie sein zerschlissenes Gesicht und zischte "Eure Schleimereien spart euch für Sylvannas auf, bei mir könnt ihr damit nichts gewinnen, Schlabberfratze! Und haltet gefälligst gebührenden Abstand, wenn ihr nicht mein Frühstück von euren Stiefeln kratzen wollt!", als sie das Lächeln auf seinem Oberkiefer entdeckte. Nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu.
"Und nennt mich Dolette!"
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Die dunkle Ritterin
FantasyDie Geschichte einer Todesritterin, die durch einen Auftrag für Sylvanas Windläufer, an ihrem vergessenem Leben rührt. Wer war sie einst? Wer ist sie heute? Und was wird aus ihr werden? Liebe, Freundschaft, Leid und Tod begegnen Dole auf ihren Rei...