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   Gemächlich, wie es schien, bewegte sich das Luftschiff hoch über den Wolken. Darunter nur das weite Blau des Meeres. Vor sich, viele Meilen entfernt, der Kontinent Nordend.
Marialle und Dolette waren in eine der Kajüten gegangen, um ungestört das Gespräch zu führen, welches für sie beide alles verändern würde.
Die Augen der Priesterin waren noch immer glasig von den aufwühlenden Worten, die sie Augenblicke zuvor noch an der Reling gewechselt hatten.
Vorher war sie sich noch absolut sicher, dass sie diese Frau nicht so gefährlich nah an sich heran kommen lassen wollte, wie sie es einst gewesen war. Ihr Herz war so vernarbt, dass sie es nicht glaubte ertragen zu können, die Elfe ein weiteres mal zu verlieren.

Doch die Todesritterin hatte Worte gefunden, die ihr glauben machten, Unmögliches möglich machen zu können. Todesritter und Gefühle?
Sowas gibt's nicht, dachte sie da noch. Doch die Ehrlichkeit, die in den Worten und den Augen der untoten Ritterin lag, gaben ihr Zuversicht. Nichts in der Welt hätte ihr Herz daran hindern können sich wieder zu öffnen und zu hoffen, dass sie von der Frau, die sie einst über alles liebte, ob Todesritter oder nicht, auch wieder geliebt werden würde.
So wollten sie beide nun alles auf eine Karte setzen und über alles was sie einst verband sprechen, um dann zusehen was sie daraus machen konnten.

"Also?", holte die Elfe sie aus ihren Gedanken.
"Ja, bitte Verzeih. Also wo fang ich an ...
Und vor dem inneren Auge der Priesterin begann sich ein Bild zu formen, aus längst vergessenen Tagen, es zeigte ein Arbeitszimmer von dem sie wusste, dass es einst ihr eigenes sein würde. Der zweite Krieg war vorüber, sie war 18 Winter jung, gerade zur vollwertigen Priesterin aufgestiegen und trat in das Zimmer ihres damaligen Mentors und Meisters Yskopaiah (ausgesprochen: Iskopeia), der sie herein bat.
"Ihr habt nach mir gerufen, Meister?", sprach sie ihn würdevoll an.

"Ja, mein Kind. Ich habe eine wichtige und durchaus gefährliche Aufgabe für dich. Du hast vielleicht gehört, dass die Horde einen Großteil der Internierungslager angegriffen und die Gefangenen befreit hat?", fragte der betagte Man und strich sich dabei gedankenverloren durch seinen grauen langen Bart. Sie nickte nur, sie wusste, dass diese Befreiungsaktionen der Horde, so nachvollziehbar sie auch waren, nur mit Blut bezahlt werden konnten. Und ja, sie wusste auch, dass es dort sehr gefährlich zu gehen konnte.

"Du bist mit Abstand meine beste Schülerin gewesen, niemand vor dir schloss die Ausbildung zum Priester in so jungen Jahren ab. Und deshalb wirst du an meiner Statt, mit einem Paladin der Silbernen Hand und einem kleinen Trupp Kriegern, nach Lordaeron reisen und dort helfen. Entweder einen Angriff aufzuhalten, oder eben die Verletzten dort zu versorgen, je nachdem ob unsere Späher schnell genug waren. Die Zeit drängt, mach dich bereit für den Aufbruch. Der Trupp soll jeden Augenblick eintreffen um dich abzuholen." Sein Ton ließ keine Widerrede zu, aber ihr war unwohl bei dem Gedanken als einzige Priesterin auf so eine Rettungsmission geschickt zu werden.

Sie straffte dennoch ihre Schultern, er hatte recht. Sie war gut, sie würde das schon schaffen.
Sie verabschiedete sich hochtrabend und verließ den Raum, um in ihre Gemächer zu eilen und ein paar Sachen zusammen zu packen.
Es dauerte nur wenige Augenblicke bis sie fand was sie suchte. Materielle Dinge bedeuteten Marialle nicht viel und so musste sie sich nicht mit einer großen Auswahl quälen. Auch jetzt trug sie eine schlichte Robe aus weißer Seide mit einem grauen Stoffgurt um die Taille. Ihr langes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr locker auf der Schulter lag und beinah bis an den grauen Gürtel reichte.

Mit geschulterter Ledertasche verließ sie ihre Räumlichkeiten und eilte durch die Gänge des Ausbildungsturms der Kirche des heiligen Lichts.
Als sie grade um eine weitere Abzweigung bog, wurde sie rücklings zu Boden gerissen, nachdem sie offenbar gegen einen Felsen gelaufen war.
"Beim Licht, verzeiht mir! Ich habe euch nicht kommen sehen", keuchte eine glockenklare Stimme aufgeregt zu ihr hinab.
"Ach was, schon gut. Ich bin mal wieder blind durch die Flure gerannt, ist ja nicht das erste...." Sie unterbrach sich als dunkelblaue, klare Augen in ihre bernsteinfarbenen sahen, sich in ihre Netzhaut brannten und für einige Herzschläge die Zeit still zu stehen schien.

Goldblondes Haar umrahmte verspielt ein makelloses Gesicht und fiel in Wellen auf die Schultern einer Elfe, die eine silberne Rüstung mit goldenen Applikationen und blauem Stoff darunter trug. Und Marialle jetzt eine im Handschuh verhüllte Hand hin hielt, um ihr aufzuhelfen.
"...mal. Ich danke euch", beendete sie ihren Satz und ließ sich von der unwirklich scheinenden Schönheit hochziehen. Ihre vollen Lippen wurden von einem kleinen Schmunzeln umspielt, welches ihrem Antlitz fast jugendliche Züge verlieh. Was aber bei einer Hochelfe rein gar nichts zu bedeuten hatte, wie die frisch gebackene Priesterin wusste.

Marialle vernahm ein Räuspern, das sie aus ihren Gedanken riss.
"Könnt ihr mir sagen wo ich Lady Marialle Lichtsprung finden kann? Wir sollen sie hier abholen", bat die Elfe würdevoll.
"Ihr steht vor ihr." Sie schien zwar überrascht, aber es lag keineswegs Missfallen in ihren dunkelblauen Augen. Irgendwie gefiel der ehrliche, forschende Blick der Elfe Marialle.
"Ihr seid sehr jung, Mylady. Wenn ich das Sagen darf." Man hätte das beleidigend empfinden können, doch die Hochelfe lächelte charmant und ließ keinen zweifel daran, dass es ein Kompliment war.

"Ja, ich war immer die Jahrgangsbeste, so geht es schnell voran. Wollt ihr den Vorteil, den ihr mir gegenüber habt nicht langsam zurückgeben, Lady...?" Sie verstand und straffte ihre Statur.
"Dolette Glutklinge, Paladin Meisterin der Silbernen Hand. Zu euren Diensten, Mylady." Marialle kicherte. Unwillkürlich musste sie sich fragen, ob die Elfe diese Worte einst vor dem spiegel geübt hatte.
"So so, ihr seid also meine persönliche Hand des Schutzes, Lady Paladin?", fragte die Menschenfrau zwinkernd und mit deckenden Unterton und die hochgewachsene Paladin neigte ehrfürchtig ihr Haupt um theatralisch zu erwidern: "Es wäre mir eine Ehre, Mylady."

Die junge Frau kicherte noch mehr, bis sie merkte, dass sie sich noch immer an den Händen hielten. Als sie ihre Hand heraus zog, schoss ihr eine leichte Hitze ins Gesicht, die ihre Wangen rosa schimmern ließ. Sie war mehr als erleichtert, im Gesicht der Quel'dorei dasselbe zu entdecken.
"Nun, man sagte mir ihr braucht einen lebenden Schutzschild und jemanden der euch auch bei Wundversorgungen unter die Arme greifen kann und hier bin ich. Also habt ihr alles was ihr braucht? Wollen wir?"
Die Elfe schien geschwätzig zu werden sobald sie nervös wurde. Bei Marialle war das Gegenteil der Fall. Weshalb sie der Elfe nur schüchtern und stumm zunickte und neben ihr hinaus ins Freie trat.

Die Sonne stand hoch am Himmel und blendete die junge ausgelernte Priesterin, als sie heraus traten. Vor den Toren des Turms, dem Ausbildungszentrum für Priester des heiligen Lichts, standen etwa zehn Krieger mit dem Wappen Sturmwinds auf ihren silbernen Rüstungen.
"Das ist Lady Marialle Lichtsprung, sie wird uns nach Lordaeron begleiten und unser vom Licht gesegneter Beistand sein."
Die Soldaten salutierten zur Begrüßung und Marialle nickte zurück. Die Röte auf ihren Wangen wurde eine nuance dunkler.
Eilig holte sie ihren Schimmel vom Stallmeister ab, sattelte ihn und saß auf, direkt neben ihr tauchte Dolette auf einer dunkelbraunen Stute auf, die in dieselben Farben wie die Elfe selbst gerüstet war. Die Paladin gab den Befehl und der Trupp setzte sich in Bewegung.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt