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   Die Umgebung verschwamm plötzlich vor den Augen Marialles. Es war dunkel und von überall drangen Schreie an ihr Ohr. Sie wurde in unregelmäßigen Abständen geblendet, worauf immer ein dumpfes Grollen folgte. Ihr linker Arm und der Hinterkopf schmerzten höllisch und als sie endlich wieder klar sehen konnte, wurde ihr bewusst, dass um sie herum eine Schlacht tobte. Vor sich erkannte sie Malek. Der Schurke wehrte mit seinen grün schimmernden Dolchen zwei Untote ab, die ihm immer mehr zusetzten. Etwas weiter davor kämpften Borigan und Gernodt, die jeder einen großen Dämonen mit ihren Schwertstreichen versuchten zurückzudrängen.

Jetzt erkannte sie auch, was die Nacht so erhellte. Riesige Feuerkugeln wurden von Katapulten in die Festung geschleudert und rissen große Löcher in die Gebäude und Abwehrreihen ihrer Truppen.
Die Priesterin versuchte aufzustehen, dabei sah sie aus dem Augenwinkel, wie ein Untoter sie mit seinem Schwert angriff. Sie konnte es gerade so mit ihrem Kampfstab abwehren und schleuderte ihm einen mächtigen Lichtblitz entgegen, der ihn durch die Reihen der Gegner schleuderte und gleich drei Dämonen mit zu Boden riss. Taumelnd fand sie schließlich ihr Gleichgewicht wieder. Maxime und William sah sie oben auf einer der Balustrade zusammen mit den anderen Priestern. Sie warfen einen Schutzzauber nach dem anderen über die am Boden Kämpfenden. Warum war sie hier unten und nicht bei den anderen Priestern?
Dole!

Panisch sah sie sich weiter um. Es musste einen Grund geben, warum sie nicht bei den Anderen war. In dem Augenblick stürzte ein riesiger, tätowierter Bär an ihr vorbei, den Marialle als Efendral erkannte. Gefolgt von einem Kleineren, der ganz klar Bumer, der Begleiter von Bertak, war.
Druiden waren wahrlich faszinierende Geschöpfe. So waren sie in der Lage, ihre Form je nach belieben zu verändern. Der Bär, dessen Gestalt Efendral gerade annahm, war stark und gut geeignet für den frontalen Kampf. In der Form einer großen Katze waren sie, ähnlich einem Schurken wie Malek, in der Lage, aus dem Schatten heraus, empfindsame Punkte zu treffen.

Verwandelten sie sich in einen kleinen Baum, machten sie sogar ihr, als heilende und schützende Priesterin, Konkurenz. Und dann war da noch die Gestalt des Moonkin. Ein Wesen, das stark an eine große Eule erinnerte. In dieser Form vermochten es Druiden gewaltige Zauber zu wirken. All diese Verwandlungen ließen auf die starke Verbindung zur Natur schließen, aus der die Druiden ihre Macht speisten. Sogar fliegen und unter Wasser atmen konnten die Verwandlungskünstler, in dem sie ganz einfach die Gestalt eines Vogels oder eines Seelöwen annahmen.

Der Himmel verdunkelte sich kurz, als eine große Menge Pfeile aus der Festung nieder schoss und unzählige Gegner zu Boden riss. Gleich darauf wurde es taghell, als Feuerbälle und Eisblitze über ihren Kopf hinweg weitere Dämonen und Untote nieder streckten. Als sie sich umdrehte, erkannte sie Odessa und Orphan, die bei den Jägern und Magiern, angeführt von Jaina Prachtmeer, auf einer anderen Balustrade einen Zauber und Pfeil nach dem anderen auf die Gegnerscharen schossen.

Dann entdeckte sie endlich, wonach sie so verzweifelt suchte. Dolette stand vor einer riesigen, giftgrünen Monstrosität. Einige Ketten, mit denen die unterstützenden Priester das Ungetüm belegt hatten, hielten es in Schach und die Paladin setzte einen Hieb nach dem anderen an, um ihm irgendwie beizukommen. Die Ketten gaben jedoch eine nach der anderen nach und der goldene Schutzschild, der die Hochelfe umgab, begann zu flackern. Die Monstrosität schlug auf sie ein. Hieb um Hieb wehrte sie nur noch geschützt von ihrem silbernen, mit goldenen Runen besetzten Schild ab und sank schließlich auf die Knie.

Marialle legte geistesgegenwärtig eine goldene Kugel um die Paladin, die die nächsten Schläge abprallen ließ und das Ungetüm sogar einige Körperlängen zurück schleuderte.
Dolette warf ihrer Geliebten einen dankbaren Blick zu und brüllte über das Kampfgetümmel hinweg: “Konzentriert eure Angriffe auf die Monstrosität!" Sie ließ ihren goldenen Hammer auf das Sammelsurium aus Leichenteilen niedersausen und es schrie auf vor Schmerz. Auf den Hammer folgten Zauber und Pfeile und auch einige der vielen Nahkämpfer landeten einen Schwertstreich nach dem anderen. Das Monstrum sackte auf die Knie nieder. In dem Augenblick traf es eines der Katapultgeschosse und das Ungetüm wurde von der Explosion in tausende Teile zerrissen.

Die Wucht der Explosion riss die Kämpfenden im nahen Umkreis zu Boden. Marialle erstarrte, als sie sah, wie Dolette niedergeworfen und unter einer Masse Leichenteile begraben wurde. Zitternd rief sie sich selbst zur Ordnung und begann endlich zu laufen. Der Weg kam ihr unendlich lang vor, doch schließlich erreichte sie den Haufen und riss Arme und Beine heraus, bis sie endlich eine Hand ergriff, die mehr Widerstand bot. Weitere Extremitäten und einen Torso zur Seite wuchtend erblickte sie das leblose Gesicht der Hochelfe. "Dole!" Sie rüttelte an ihren Schultern, doch nichts geschah. "Verdammt noch mal. Wach auf!", rief die Priesterin nun.

"Lady Lichtsprung! Da kommen drei weitere Monstrositäten! Wir müssen uns zurück ziehen", brüllte ihr Borigan zu, der sich grade erst wieder aufrappelte. Sie sah verzweifelt von ihm zurück zu der Paladin. "Dole, wach aaauuuf!", schrie sie nun aus Leibeskräften und ließ das Klatschen einer satten Ohrfeige ertönen, worauf die Paladin endlich die Augen öffnete. "Mari, bist du noch ganz bei Trost?", fragte Dolette verdutzt. "Rückzug!", erklang die magisch verstärkte Stimme von Jaina Prachtmeer und hallte über das gesamte Schlachtfeld.

"Keine Zeit für Erklärungen. Wir müssen zum Sammelpunkt. Komm schon!", befahl die Priesterin und zog ihre Geliebte zu sich in den Stand. Gemeinsam mit den anderen Überlebenden rannten sie hinter die Verteidigungslinien, wo schon die Fernkämpfer und Priester unter den Balustraden warteten. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie die gegnerischen Bogenschützen anlegten.
Schneller!
"Beeilt euch! Wir kanalisieren schon den Teleportationszauber!", schrie ihnen Odessa entgegen.
Schneller!
Marialle sah wie Borigan, Efendral und einige andere den Sammelpunkt erreichten. Sie hörte schon das Zischen der Pfeile, die die Luft über ihnen durchschnitten.
Schneller!

Sie sah Dolette an, als sie sich gemeinsam vom Boden abstießen und in das blaue Schimmern sprangen, das von den Magiern ausging. Hinter der Elfe erkannte sie noch Gernodt, der auch gesprungen war und dann plötzlich Stille.
Die Priesterin schaute sich um. Viele von ihnen lagen am Boden. Neben sich erkannte sie die Paladin und ihr Herz setzte einen erleichterten Moment aus.
"Wir haben es geschafft!", erklang Jainas Stimme. Marialle sah sich weiter um. Zwischen den Magiern, Priestern und Jägern erkannte sie ihre Gefährten. Maxime, William, Odessa, Orphan und Bertak, der glücklich seinen Bären Bumer kraulte.

Sie ließ ihren Blick weiter wandern und erblickte Borigan und Efendral, der sich, wieder in seiner nachtelfischen Gestalt, schon erhoben hatte. Der Einzige der Ihren, der fehlte, war...
"Gernodt!", rief Borigan verzweifelt und auch die Umstehenden sahen sich nach ihrem Kampfgefährten um. Aber Marialle wusste, dass er einen Herzschlag zu spät gesprungen war. Als der Blick des Kriegers den ihren traf, schüttelte sie leicht mit dem Kopf und er sank zurück auf die Knie. "Nein!" Sie sah zur Seite, als sie bemerkte, wie Dolette sich erhob und schwere Verletzungen an ihrer gesamten linken Körperhälfte preisgab.

Sie schritt langsam humpelnd auf den Krieger zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Sein Tod, wie die vielen Anderen, die wir heute zu beklagen haben, darf nicht umsonst gewesen sein, Borigan mein Freund. Wir müssen jetzt hoch in die zweite Festung steigen, uns ausruhen und kurieren. Dann ist es Zeit zu trauern. Jetzt erhebt euch, ihr alle. Wir haben überlebt. Wir werden das Andenken unserer Kameraden nicht beschmutzen in dem wir uns jetzt hängen lassen." Die Paladin mutete ruhig und wahrlich erhaben an, wie Marialle fand. Zum Ende wurde sie immer lauter und während sie sprach, stand ausnahmslos jeder auf. Wer nicht vermochte allein zu stehen, wurde von einem Anderen gestützt.

"Die Priester mögen unsere Wunden schließen, damit wir schnell hinauf gelangen." Marialle und die anderen Priester kamen dem Befehl ihrer Kommandantin augenblicklich nach. Es wurde nicht gesprochen. Man versorgte die zahlreichen Verwundeten und machte sich dann auf den Weg hoch zum Lager der neuen Horde. Die junge Menschenfrau ließ ihren Blick noch einmal zurück schweifen auf ihr eigenes Lager, das lichterloh brannte. Schwarze Wolken stiegen auf und von den Mauern war kaum noch etwas übrig. Marialle musste ihren Blick abwenden. Sie spürte, wie ihre Hand ergriffen wurde, folgte dem Impuls und sah in die schönen, gold schimmernden Augen ihrer Liebsten.

Ihr Gesicht war eine starre Maske. Makellos und schön, aber auch kalt und ausdruckslos. In den Gefühlen, die die Paladin sandte, lag etwas ganz anderes. Pures Glück, dass sie es beide aus der brenzligen Lage lebend heraus geschafft hatten. Dieses Gefühl, dass sie überlebt hatten, überwog auch in der Priesterin die Trauer über die Verluste, die sie soeben erlitten hatten.
Dennoch schlich sich die traurige Gewissheit dazwischen, dass das erst der Anfang war.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt