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   Die Priesterin hätte nie gedacht, dass ein Treppenabstieg so beschwerlich sein könnte. Sie selbst atmete schwer. Nicht auszudenken, wie es der verfluchten Todesritterin an ihrer Seite wirklich ergehen musste, doch ihre Miene war eisern. Fest entschlossen, nicht an dieser Stelle aufzugeben.
Sie schaute fasziniert in das makellose Gesicht der Elfe und zuckte kurz zusammen, als diese den Blick erwiderte. Ihre Augen hatten aufgehört zu leuchten und das strahlende blau, war nur noch ein matter, milchiger Schimmer. "Was hast du?", fragte Dolette.
"Ich ... Deine Augen ... Kannst du überhaupt noch richtig sehen, Dole?", stammelte die Priesterin. Der Verlassene wurde hellhörig und drehte sich zu den beiden Frauen um, seine Gesichtszüge erstarrten.
"Nein! Jetzt weiß ich was das für ein Fluch ist", stieß er erschrocken hervor. Die ehemalige Paladin sah verwirrt von der Priesterin zum Hexer. "Spuckt es schon aus Kinnab!", herrschte sie ihn schwach an. "Ich habe schon davon gehört, aber dass es ihn tatsächlich gibt. Es ... es ist eine abgewandelte Form des alten Fluchs des Fleisches. Er funktioniert sozusagen anders herum. Einst verfluchten die alten Götter die metallenen und steinernen Schöpfungen der Titanen, auf dass sie ihre heutige fleischige Form erlangten. Dieser Fluch versteinert euch langsam, Mylady", erklärte Plagg schockiert. Die Todesritterin indes schmunzelte nur. "Ändert das etwas daran, dass wir so schnell wie möglich nach Dalaran wollen, Kinnab?" Er stockte, als diese einfache Wahrheit in seinen Geist drang und nickte gedankenverloren. "Sicherlich nicht, Lady Dolette", antwortete er ergeben.
In der Priesterin rasten die Gedanken. Dolette würde nicht sterben. Sie würde in einen unbeweglichen Zustand gesperrt werden. Welch grausames Schicksal, das es zwingend aufzuhalten galt. Sie sagte nichts, doch entschlossen ergriff sie die Hand an ihrer Schulter, worauf das sanfte goldene Schimmern erschien und zog an der untoten Elfe, um sie weiter die Treppen hinabzuführen. "He! Zieh doch nicht so! Wenn wir die Treppen runter stürzen sind wir vielleicht schneller, aber eine Priesterin mit gebrochenen Knochen kann mich nicht mehr stützen", scherzte sie und schenkte der Menschenfrau ein aufmunterndes Lächeln. "Kein guter Zeitpunkt, um Witze zu reißen, Dolette", entgegnete Marialle ernst. Das Lächeln auf den blassen Lippen, der Todesritterin erstarb und sie nickte schwach.

Der Hexenmeister hatte Schwierigkeiten den beiden zu folgen, so schnell waren sie plötzlich und die irre Sukkubus schwebte nur verträumt neben ihm her.
Kurze Zeit später erreichten sie den Fuß der Treppe und atmeten erleichtert auf. Vor ihnen lag die Schönheit des Kristallsangwaldes, doch sie hatten keinen Blick dafür. Ohne sich auch nur einen Herzschlag auszuruhen, marschierten Dolette und Marialle weiter.

Ungefähr ein halber Tag war vergangen und die Hohepriesterin zerrte noch immer unermüdlich an dem immer schwerer scheinenden Körper der Todesritterin. Ihre Glieder ließen sich von Schritt zu Schritt schlechter bewegen und schließlich, gab die Elfe auf.
"Marialle, halte ein." Die schöne Frau gab nach und schaute besorgt in das mittlerweile fast weiße Gesicht von Dolette. "Es geht nicht mehr. Ich kann kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen." Marialle schluckte hart und nickte. "Susi, komm zu mir", befahl sie der Dämonin, die grinsend und erfreut heran hüpfte. "Du wirst jetzt die Herrin tragen, Susi. Behandel sie wie ein rohes Ei und lass sie nicht fallen. Ihr Zustand ist ernst", fügte die Priesterin hinzu und Susanne gehorchte. Sie hob Dolette vorsichtig auf ihre Arme und schmiegte ihre Wange an die der dunkle Ritterin.
"Ai, schön am sein. Herrin Dolli in Susannes Armen. Am kuscheln!", flötete die Sukkubus fröhlich und Dolette stieß einen genervten Laut aus. Mittlerweile hatte auch Plagg aufgeholt und die Todesritterin spürte seinen geschockten Blick auf sich ruhen, als er sie genauer betrachtete. "Gehen wir schnell weiter, Myladys", sagte er schlicht und schritt weiter. Marialle und Susanne, mit Dolette auf dem Arm, folgten.
Kristallbaum um Kristallbaum zog an ihr vorbei und das monotone Bild, des eigentlich schönen Anblicks, machte die Untote schläfrig. Die Dunkelheit umschloss sie erbarmungslos und ihre Umgebung verschwand allmählich.

Dole! Marialle lachte und winkte sie zu sich. Sie waren an einem traumhaft schönen langen Strand und die Sonne stand schon schräg am Himmel, spendete aber immer noch eine angenehme Wärme. Dolette sah an ihrem Arm herab, als sie die Wärme nicht nur auf ihrer Haut, sondern auch in ihrem Leib spürte und war verwundert als sie erkannte, dass ihre Haut einen gesunden rosa Farbton hatte. Sie drehte ihre Hände und der Ton war derselbe.
Ich komme!, rief sie zu der jungen Frau, die einige Körperlängen von ihr entfernt, bis zu den Knöcheln in den Wellen, die gleichmäßig vor und zurück schwabten, stand. Sie trug ein halblanges, weißes Trägerkleid und die kurzen Haare offen, was ihr eine unglaubliche Leichtigkeit verlieh.
Als die Elfe sich von dem Anblick losreißen konnte, lief sie zu der Priesterin ins Meer und Wasser spritzte mit jedem Schritt an ihren Beinen hinauf. Die Priesterin breitete die Arme aus und schloss Dolette in eine warme Umarmung, als sie endlich bei ihr ankam.
Ich freue mich so, in ein paar Tagen fahren wir endlich Heim, sprach sie leise und nah an einem der langen Ohren der Elfe. Sie antwortete nicht und es war auch nicht nötig. Sie spürte die weichen Rundungen der Menschenfrau dicht an sich und atmete ihren berauschenden Duft tief ein. Marialle zog sich leicht aus der Umarmung zurück und lächelte die andere glücklich an.
Ich liebe dich, flüsterte sie, bevor sie ihre rosanen Lippen sanft auf die von Dolette legte. Ihr Herz blieb stehen und sie glaubte den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die weichen Lippen, der betörende Geruch und schließlich der Körper der Priesterin, eng an den der Elfe gepresst, ließen die Zeit still stehen. Das Rauschen des Meeres verebbte, die Schreie der Möwen verklangen und keine einzige Wolke schob sich vor die Sonne.
Belurie!, erklang ein Ruf aus scheinbar weiter Ferne. Dolette ließ sich nicht beirren. Zu kostbar war der Moment und sie wollte ihn nicht verstreichen lassen.
Tochter. Sie war bemüht es weiter zu ignorieren, doch als sie sich kurz aus dem Kuss löste erkannte sie, dass auch die junge Marialle erstarrt war.
Als sie das erkannte, löste sich die rosige Haut wie Schuppen von ihrem Körper und sie spürte die vertraute Kälte in sich aufsteigen. Das Leinenhemd und die Hose wichen ihrer schwarzen Plattenrüstung und der lange Umhang umgab ihre schlanke Gestalt.
"Wer ruft mich da?", rief sie hinaus ins nichts, wie ihr schien.
"Was willst du von mir? Lass mich hier! Hier kann ich mit ihr zusammen sein! Hier muss ich sie nie wieder los lassen!", schrie sie weiter, als keine Antwort kam.
Wenn du hier bleibst, wirst du sie nicht mehr beschützen können und nie wahrhaftig an ihrer Seite sein, sprach die Stimme melodisch, nun nah bei ihr und eine Sänfte lag in ihr, die Dolette merkwürdig vertraut schien.
Vor ihr erschien eine wunderschöne blonde Elfe in einer langen orangenen Robe, mit vielen goldenen Applikationen bestickt. Sie trat langsam auf die Todesritterin zu und erhob einen Finger. Die Gestalt führte ihren Zeigefinger langsam an die kalte Stirn der dunklen Ritterin und als sie die Haut der Untoten berührte, tauchten Bilder von Marialle, vor ihrem Inneren auf. Sie sah anders aus, doch war sie zweifelsohne die Priesterin, auch wenn Dolette das mehr fühlte, als dass sie es sah. Ihre Haare waren lang, wie sie es bisher noch nie an ihr gesehen hatte und eine Nuance dunkler. Die Kleidung war urban und abgenutzt und ihre Augen waren graublau.
Das ist Elarie, erklärte die schöne Blonde ohne die Lippen zu bewegen.
So wie sie einst war. Vor vielen zehntausend Jahren. Als sie dich ein zweites mal verloren hatte, verlor sie auch die Verbindung zu ihrem einstigen Ich, aber dafür ist der Teil von ihr der schon immer in dir war, dir in dein untotes Dasein gefolgt. Wenn du dich hier verlierst, wird sie für immer geteilt sein, fuhr sie sanft fort.
"Wie kann ich ihr diesen Teil wieder geben?", fragte Dolette ohne groß darüber nachzudenken und die Gestalt vor ihr begann zu Lächeln.
Wenn du sie doch wieder komplettieren willst, was machst du dann noch hier, Belurie?

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt