Die Alte nickte Cairne zu, worauf er kehrt machte und die Höhle wieder verließ. "Setzt euch, Töchter von Mu'sha und An'she!", befahl Garta gebieterisch. Dolette und Marialle schauten sich kurz schulterzuckend an, ließen sich dann aber wie geiheißen an dem kleinen Feuer nieder. Die Schamanin warf etwas ins Feuer. Bläulicher Rauch stieg empor. "Hört mich an, Ahnen. Geister unserer Welt, Kinder der großen Erdenmutter! Der Wolf!" Sie warf erneut etwas in die Flammen, worauf sich der Rauch grau verfärbte. "Der Falke!" Der Rauch wurde gelb. "Der Fisch!" Aus gelb wurde wieder blau. "Und der Bär!" Jetzt nahm er einen satten grünen Ton an und schien nun die drei Frauen zu umströmen.
"Ihr alle seid verbunden mit der alles erschaffenden Erdenmutter. Ohne ihre Augen könnte das Leben in eurer Welt nicht blühen und gedeihen, also hört mein Flehen und gebt einen Teil zurück, von dem ihr einst etwas erhalten habt! Wir stehen vor dem Ende und die Sonne-Mondkinder sind die Gefäße eurer Energien." Der Rauch umkreiste nun jede von ihnen einzeln. Marialle warf einen besorgten Blick zu ihrer Liebsten, nachdem sie sah, wie Garta ihre Augen schloss und in ein monotones Summen verfiel, das von ihrem wippendem Körper begleitet wurde. Die Alte hat sie doch nicht mehr alle, Dole. Ich finde das Ganze hier mehr beängstigend als alles andere.
Ganz ruhig, Liebste. Das ist doch alles nur Schall und Rauch. Die Paladin musste bei ihren Worten schmunzeln, doch erschrak jäh, als die Schamanin sich erhob und ihren reich verzierten Stab über das Feuer hielt. "Spottet nicht! Es hat schon begonnen. Spürt, wie die Mächte allen Lebens in euch eindringen." Da wurde Marialle klar, dass sie eben in Gedanken miteinander gesprochen hatten. Auch auf dem Gesicht der Elfe zeichnete sich die Erkenntnis ab und sie versuchten sich nun ernsthaft auf die Energien zu konzentrieren, die plötzlich ganz deutlich zu spüren waren. Die Alte ließ sich wieder zurück auf ihren Platz sinken und fing erneut an zu summen und zu wippen.
Es kam den Beiden wie eine Ewigkeit vor, in der sie von dem Rauch umhüllt wurden und die unterschiedlichsten Kräfte in sie einströmten. Sie spürten alle möglichen Tiere in sich. Die Luft, das Wasser, jeden Stein und jede Pflanze. Von allem, was auf dieser Welt existierte, schien ein Teil in sie überzugehen. Und dann sah Marialle, wie Dolette zur Seite kippte und auch sie wurde augenblicklich von Dunkelheit umschlungen.
Als sie wieder zu sich kam, war sie allein. Sie war nicht mehr in der Höhle und sie schien auch nicht mehr in ihrer Welt zu sein. Alles sah anders aus, der Boden schimmerte bläulich und war von kleinen, silbernen Punkten übersät. Am grünen Himmel standen eine Sonne und ein Mond zur selben Zeit. Die Bäume und Sträucher um sie herum waren in die unterschiedlichsten Gelb- und Rottöne getaucht. In einiger Entfernung sah sie einen großen, weißen Baum und da er das Einzige war, das sich aus dieser surrealen Umgebung abhob, beschloss sie dort hinzugehen.
Jeder ihrer Schritte hinterließ Wellen, die sich von innen nach außen ausbreiteten, als würde sie auf Wasser gehen. In der Ferne erklang der Ruf eines Falken und hinter ihr hörte sie ein bedrohliches Knurren, welches sie schneller gehen ließ. Von der Seite ertönte nun ein lautes Brüllen und obwohl sie rannte, schien sie dem Baum nicht näher zu kommen.
Sie hielt inne und schloss die Augen. Das hier konnte nicht echt sein. Das Knurren hinter ihr wurde lauter, doch sie machte keine Anstalten sich zu bewegen. Marialle erinnerte sich auf einmal an das, was in der Höhle geschehen war, und plötzlich konnte sie den Wolf hinter sich spüren.Sie drehte sich um und sah ihm in die stechenden, gelben Augen, was ihn erstarren ließ. Er stand nur da und erwiderte ihren Blick. Sie schloss wieder ihre Eigenen und konzentrierte sich.
Dole.
Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sich nichts an der Szenerie geändert, nur, dass von der Seite nun auch ein Bär bedrohlich nah kam und die Zähne fletschte. Doch auch ihm konnte sie nur mit einem Blick Einhalt gebieten. Sie schloss wieder die Augen.
Dole!Der Schrei des Falken ließ sie einmal mehr ihre Augen aufreißen. Er stürzte vom Himmel, mit Sonne und Mond im Rücken, zu ihr hinab. Sie konnte seine Augen nicht erkennen, da sie ständig gegen das Licht an blinzeln musste. Der Vogel schoss auf sie zu und schien immer schneller zu werden. Einem Impuls folgend konzentrierte sie sich und ließ die beiden Himmelskörper aus dem Rücken des Tieres weg wandern, bis sie die Wärme des Lichts auf ihrem eigenen Rücken spürte. Der Falke brach seinen Sturzflug ab. Sie schloss ein letztes Mal die Augen.
DOLE!Und augenblicklich fühlte sie die Präsenz ihrer Geliebten. Wo bist du, Dole?
Ich bin bei dir! Plötzlich spürte sie, wie sie von zwei Armen sanft umschlungen wurde und als sie die Augen endlich öffnete, sah sie das golden schimmernde Gesicht ihrer Liebsten. Deren Augen waren vollkommen in den vertrauten Goldton getaucht. Nichts von dem Dunkel des Blaus war mehr darin zu finden und auch die Haare der Elfe schienen mehr denn je in ihrer ureigenen Farbe zu leuchten. Marialle spürte die unglaubliche Macht, die von ihr ausging, und machte große Augen.Glaub mir, du bist gerade auch mehr denn je eine Erscheinung, Mari, sandte die Paladin und lächelte liebevoll. Sie erwiderte das Lächeln und streichelte sanft über deren Wange, woraufhin Dolette genießend die Augen schloss. Wir sollten wohl aufwachen. Man braucht uns, kam es nun von der Priesterin und sie bekam auch noch eine Antwort, aber was sie hörte, war nicht die Stimme der Paladin in ihrem Kopf. Dann wach doch auf, Marialle...
"Mari, wach auf! Es ist vorbei." Sie spürte, wie alles um sie herum von ihr gerissen wurde und schließlich genauso die Präsenz der Paladin. Nur damit alles hart auf sie zurück prallen konnte. Das Erste, was sie fühlte, war Kälte. Dann ein heißes Glimmen, ausgehend von Dolette. Je mehr Zeit verging, um so mehr konnte sie ihre Umgebung wahrnehmen. Als nächstes war da die Schamanin, um sie herum die Höhle, draußen Vol'jin, der äußerst ungeduldig wartete, gefolgt von den unzähligen Tieren, Bäumen, Pflanzen, Steinen, der Luft und schließlich der weite Ozean.
Eine ungekannte Ruhe überkam sie.Als sie endlich wirklich die Augen öffnen konnte, sah sie in die der Hochelfe, die noch immer komplett in einen matten Goldton getaucht waren, aber nicht mehr leuchteten. "Mari? Liebste, alles in Ordnung?"
"Gib ihr noch einen Moment, Elfe. Eine Seelenwanderung für sich ist schon zu viel für einen schwachen Menschen. Von der Verbindung zu den Ahnen und allem Leben, das sie umgibt, ganz zu schweigen”, hörte sie die krächzende Stimme von Garta. "Sie ist nicht schwach!", protestierte die Paladin ruhig und Missgunst schwang deutlich in ihrer Stimme mit. "Schon gut, Dole. Hilfst du mir bitte auf?" Sie ließ sich von der Elfe in eine sitzende Position schieben."Wie geht es nun weiter, Gelehrte Quelltotem?", wandte sich die Priesterin an die Schamanin. "Das Ritual ist beendet. Mehr liegt nun nicht mehr in meiner Hand."
Dann nichts wie raus hier!, sandte Marialle in Gedanken, worauf Dolette ihr nur kaum merklich zu nickte. "Habt Dank, Schamanin. Wir werden mit diesem Geschenk den Dämonen, der unsere Welt bedroht, aufhalten." Die Alte nickte den Beiden zu, nachdem sie sich erhoben hatten. "Dann geht, Töchter von Mu'sha und An'she. Und tretet eurem Schicksal mutig entgegen, denn die Welt wird euer Schicksal teilen." Sie spürten den Blick der Schamanin noch lange auf sich, bis sie endlich aus der Höhle traten.Vor ihnen auf dem Boden lag der Troll und schnarchte in aller Seelenruhe. "He, Vol'jin! Wach auf! Wir sind wieder zurück", riss die glockenklare Stimme der Hochelfe den Häuptling der Dunkelspeere aus seinem Nickerchen. Seine gelben Augen linsten durch die Schlitze seiner Lider. "Elflein! Weibchen! Ihr seid wieder da! Bei den Lao, endlich!" Er richtete sich etwas zu schnell auf, sodass er kurz ins Taumeln geriet und von den beiden Frauen gefangen werden musste. Wie ein Blitz durchzogen die Priesterin plötzlich Bilder aus dem Leben des Trolls. Von seiner Geburt, über Kindheitserinnerungen, seiner Ausbildung zum Schattenjäger, über Schlachten bis zum heutigen Tag. Marialle wurde kurz übel, als sie Bilder eines Rituals sah, bei dem er Teile seines Gegners verspeiste, um ihm die letzte Ehre zu erweisen und seine Kraft in sich aufzunehmen. Und dann sah sie, wie lange sie in der Höhle gewesen waren.
"Zehn Tage...?", stieß die Paladin hervor und Marialle war froh, dass sie die Flut von Bildern offenbar nicht als einzige gesehen hat. "Eh, danke. Ja und?" Er sah die beiden Frauen abwechselnd an. "So lange waren wir dort? Hat die Schlacht um Thralls Lager schon begonnen?", beendete die Priesterin den Gedankengang von Dolette. Die Miene des Trolls verfinsterte sich schlagartig. "Sie is’ schon vorüber, muss ich befürchten. Seht! Der Rauch am Horizont ist schon weiß." Sie blickten in die Richtung, in die er deutete, und sahen ebenfalls den aufsteigenden, weißen Rauch. "Verdammt, ich hatte so gehofft, es würde nicht so lange dauern. Kommt! Gehen wir zurück!", befahl die Paladin, worauf Marialle und Vol'jin folgten.
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Die dunkle Ritterin
FantasyDie Geschichte einer Todesritterin, die durch einen Auftrag für Sylvanas Windläufer, an ihrem vergessenem Leben rührt. Wer war sie einst? Wer ist sie heute? Und was wird aus ihr werden? Liebe, Freundschaft, Leid und Tod begegnen Dole auf ihren Rei...