69

52 4 0
                                    

   Genauso schwerfällig wie schon bei ihrem Start sank die Wolkenkuss nun durch eine noch dickere Nebeldecke und gab schließlich den Blick auf die Apothekerstadt den Hafen der Vergeltung frei. In Aufbau und Optik war kaum ein Unterschied zu Tirisfal zu erkennen, doch es war kalt, bitterkalt. Die Hohepriesterin stand neben Dolette, Plagg und der lasziven Sukkubus Susanne. Sie fror. Ihren Untoten Begleitern allerding schien die Kälte nicht das geringste auszumachen, ebenso wenig wie der Dämonin. Ihr hingegen trieb jede Kondenzwolke, die sie ausatmete, mehr zittrige Schauer durch den Körper. "Ihr habt den Hafen der Vergeltung erreicht!", rief der Goblin vom Landesteg als das Luftschiff festmachte. Die Todesritterin nickte dem Verlassenen entschlossen zu und schritt voran.
Unten angekommen schienen sie von Rauchschwaden umringt zu werden, die denen in Unterstadt im Geruch so sehr ähnelten, dass die Bilder aus dem Hauptlabor unnachgiebig in Marialle hochdrangen. Sie fröstelte erneut. "Wir sollten unseren Proviant und das Gepäck auffüllen, Mylady. Außerdem braucht unsere geehrte Hohepriesterin wohl einen Mantel. Sie zittert wie der Schwanz einer Kaiserkobra." Die Priesterin errötete leicht und verzog das Gesicht ein wenig. Sie wollte sich die Schwäche, die ihr lebendiges Fleisch mit sich brachte, nicht so deutlich anmerken lassen. Doch überrascht registrierte sie die verständnisvolle Antwort der Elfe. "Ja, selbstverständlich. Kinnab, füll unsere Taschen auf. Wenn du möchtest, begleite ihn und besorge dir einen Mantel, Marialle. Ich werde versuchen in der Stadt herauszufinden, auf welchem Weg wir am sichersten und schnellsten nach Dalaran gelangen", ließ sie schlicht verlauten, doch die Sorge um ihr Wohl ließ die Menschenfrau leicht aufhorchen. Gedankenverloren nickte sie der Untoten zu und wandte sich zu dem Hexenmeister, auf dass er voraus gehen möge. "Susanne mit Herrin Dolli am gehen?", fragte die Dämonin begeistert an ihren Meister gerichtet. Aus den Augen von Dolette schossen nur eiskalte Funken, die Plagg auf der Stelle durchbohrt hätten, wären sie aus fester Materie gewesen. "Bring diesem aufdringlichem Ding endlich bei, mich nicht Dolli zu nennen, Kinnab!", donnerte ihre kühle, klare Stimme durch die Stille der Apothekerstadt.
"Ja, Herrin. Susi, komm. Ich brauche dich zum Tragen. Na los!", befahl er der Sukkubus erschrocken, wobei seine Stimme leicht zittrig klang und sie folgte seinem Befehl ad hoc. Offenbar hatte der stechend, kühle Ton der Elfe sogar ihren Verstand erreicht. 
Als sie außer Hörweite der Todesritterin waren, erhob die Hohepriesterin das Wort: "Meister Plagg, darf ich euch etwas fragen?", begann die Menschenfrau. "Sicher dürft ihr, Mylady", antwortete er erfreut und gab ein zerfallenes Lächeln preis, dass die Frau ein weiteres mal frösteln ließ. Es hätte wohl aufmunternd sein sollen, doch der nicht vorhandene Kiefer ließ dies einfach nicht zu. "Habt ihr eine Idee, was gestern mit Dolette los war? Ihr wisst ja, dass ich ihr von ihrem Leben berichtet habe. Es war kaum Zeit vergangen, wir hatten noch kein einziges Wort darüber verloren und dann brach sie zusammen. Nur um einen halben Tag später so zu tun, als wäre nichts gewesen." Die Stirn des Untoten warf sich in Falten und ließ sein Gesicht einmal mehr wie eine verzerrte Fratze wirken. "Nun, Mylady. Ich bin zwar ebenso untot wie Lady Dolette es ist, dennoch unterscheidet sich mein Dasein ganz gewaltig, von dem eines Todesritters. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Inhalt eurer Geschichte ihr körperliche Schmerzen bereitet, aber vielleicht eure Anwesenheit? So lange mit ihr im selben Raum zu sein zum Beispiel. Wer weiß? Immerhin seid ihr gewissermaßen Todfeinde und zu allem Überfluss seid ihr ja nicht irgendeine gewöhnliche Priesterin. Selbst ich spüre eure mächtige Aura ganz deutlich. Nur haben wir einen Weg gefunden damit umzugehen. Verlassene können mittlerweile auch dem Wegen des Lichts folgen und Priester werden. Sicherlich anders als ihr, aber immerhin. Aber was dieses reine, heilige Licht, das ihr ausstrahlt, auf einen Todesritter für Auswirkungen hat, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft. Außerdem müssen Todesritter ..." weiter kam der Hexenmeister nicht, seine Dämonin hatte ihn mit dem Satz, "Guck, Herrchen, was schöne Hufeisen!" zu dem nächsten Hufschmied gezerrt. Marialle überdachte die gesagten Worte. Irgendwie schien es ihr plausibel. Immerhin waren die beiden Frauen über einen Tag zusammen in der Kajüte gewesen. Sie seufzte resignierend und ließ den Kopf hängen. Ein Grund mehr ...

Die dunkle Elfe stiefelte schnurstracks auf das große Haupthaus, das ungefähr in der Mitte der Stadt, an einer Klippe stand, zu. 'Natürlich fror sie, sie hätte ihr ihren Umhang anbieten sollen', wurde sie auf ein neues, von den Wirren ihrer Gefühle eingespannt. Sie rief sich selbst zur Ordnung und sprach den untoten Wachposten an, der an den Säulen neben dem Eingang des imponierenden Gebäudes stand. Wie die meisten Untoten hier, die keine Apotheker waren, war er in eine spärliche Plattenrüstung gekleidet und trug einen großen Speer, der ihn um einige Köpfe überragte, was seiner gedrungenen Haltung zu schulden war. Er blickte grimmig drein. Seine Augen schweiften ziellos über den Vorplatz, von dem die dunkle Elfe auf ihn zu trat und fanden schließlich die hochgewachsene Gestalt, auf der seine toten Augen nun ruhten, während sie an ihn heran trat. "Wen muss man hier ansprechen, um Informationen über die umliegenden Gebiete zu bekommen?", fragte sie direkt und kalt. Der Wachmann bedachte sie eines abschätzigen Blickes. "Hochexekutor Anselm will ich meinen, Todesritterin. Geht hindurch, er verweilt in seinem Audienzzimmer", gab der Verlassene ungerührt zurück. Sie schritt an ihm vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen und gelangte in einen großen Raum, der von der großen Öffnung zum Balkon, hell erleuchtet wurde. In dem Gebäude sah es nicht groß anders aus als draußen. Tristess und eine karge Ausstattung machte die Einrichtung aus. Die Eingangshalle und kurzen Gänge waren nur spärlich beleuchtet, aber mehr als genug für Dolettes scharfe Elfenaugen. In der Mitte, des Audienzzimmers stand ein runder, massiver Holztisch mit einer Karte darauf. An den Seiten, Bücherregale, die bis zur Decke reichten. Auf dem Balkon lehnte ein Verlassener, in der gewohnt gedrungenen Haltung an der Brüstung. Als er sich umdrehte, war Dolette überrascht sein Gesicht im Ganzen erblicken zu können. Gut gekleidet, in einer reich verzierten Stoffrobe. Dennoch war er offensichtlich kein Apotheker. Bürokrat. Die Nase der Todesritterin kräuselte sich leicht. Sein Blick jagte der Elfe einen Ekel durch den Körper, den nicht einmal die fleischfressenden Würmer des Dämmerwalds in ihr ausgelöst hatten. "Seid gegrüßt, Hochexekutor", ließ sich die dunkle Elfe, deutlich vernehmen. "Ihr ebenso, Todesritterin. Was wollt ihr?", fragte er und betrachtete die schlanke Gestalt der untoten Schönheit forschend. "Euren Rat, bezüglich meiner Weiterreise, Mylord", brachte sie es rasch auf den Punkt, bemüht ihr Unwohlsein zu verbergen. "Was bekomme ich dafür?", fragte er ohne Umschweife und ein mehrdeutiges Grinsen erschien auf seinem aschfahlen Gesicht. Das war zu erwarten gewesen. "Was wollt ihr denn dafür?", erklang Dolettes Stimme, ohne sein Grinsen zu beachten und so kalt, dass ihm jeder prekäre Gedanke sofort aus dem Kopf gefegt wurde. Ihre blauen Augen funkelten dazu bedrohlich. Genüsslich registrierte sie, wie er leicht zu zittern begann. "Nun, wenn ihr mich so fragt, wäre es mehr eine Bitte. Unten auf dem Schlachtfeld in der Blutkamm bekämpfen die Dunkelläuferin Lyana und Todespirscher Razael wohl noch immer die Überlebenden, oder wie man das Nennen will, der Nordflotte. Ich brauche dringend einen Bericht von dort. Würdet ihr mir diese Gefälligkeit erweisen, Lady ...?" Sie trat auf den Balkon und sah südlich am Strand herab, ihre scharfen Elfenaugen erspähten in einiger Entfernung und durch den am Strand aufgewirbelten Nebel ein gekentertes Schiff und davor eine tobende Schlacht. Der Weg war nicht allzu weit, darum antwortete sie ihm unbeeindruckt. "Glutklinge. Ich breche sofort auf." 
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ sie sich einfach von der Brüstung fallen und rutschte elegant den Abhang hinunter. Unten angekommen tobte das grau aufgeschäumte Meer. Möwen krächzten laut und einige riesige Krabben krochen vom Wasser auf den Strand. 
Dolette begann zu laufen. Ihren langen Beinen und dem atemberaubenden Tempo war es zu verdanken, dass sie ihr Ziel bald erreichte. Der Kampf tobte tatsächlich unerbittlich. Sie zog ihr riesiges Runenschwert und hielt es vor sich, als die ersten Kämpfer der Nordflotte auf sie zu stürmten. Ein gieriges Lächeln glitt über ihre aschfahlen Lippen, als die roten Runen hell aufleuchteten und sie ihr Schwert kraftvoll schwang. Blutrünstig schaute sie den zerschlagenen Körpern zu, wie sie auseinander flogen und neigte ihren Kopf gen Himmel. 
Befreit sah sie hinauf und schloss für einige Herzschläge die Augen, sog den Duft des Todes ein, um dann gestärkt die Augen aufzureißen und sich durch die Reihen der Nordflotte, bis hin zu Lyana und Razael zu schlagen. Es dauerte nicht lange. Ihrer entfesselten Macht vermochte keiner lange Stand zu halten und so erreichte sie die Dunkelläuferin blutverschmiert, aber zufrieden grinsend.  "Der Hochexekutor schickt mich, Lady Lyana. Er wünscht einen Bericht", rief sie gepresst zu der untoten Elfe, während sie mehrere Gegner gleichzeitig zurückschlug. "Sagt ihm, mit Verstärkung wäre diese Schlacht schon längst beendet, so dauert es sicher noch bis morgen!", stieß sie ebenfalls atemlos hervor und streckte zwei Feinde mit Pfeilen nieder, die Dolette von hinten erschlagen wollten. Die Todesritterin nickte der Dunkelläuferin dankend zu und wandte sich um. Sie überhören das Hilfegesuch und erhob sich mit einem gewaltigen Satz in die Lüfte und übersprang das halbe Schlachtfeld. Wieder festen Boden unter ihren Füßen spürend, begann sie erneut zu rennen, zurück zum Hafen der Vergeltung.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt