74

45 4 0
                                    

   Nachdem sich die Wasseroberfläche beruhigt hatte und das Lachen einem verträumten Lächeln wich, wandte sich die Priesterin dem Mond zu, der wieder durch die Wolkendecke brach und seufzte tief. Was beschäftigt dich, Marialle? Hatte sie kühler als sie wollte gefragt, wodurch die Menschenfrau zu schaudern schien. Sie drehte sich zu der Todesritterin um, ein feuchter, silberner Glanz schimmerte in den Augen der Hohepriesterin und Dolette sah unwillkürlich die jüngere Marialle vor sich, die sie in ihrem Traum kennengelernt hatte. Jetzt gerade, oder generell?, war die Gegenfrage gewesen und ein bitteres Schmunzeln glitt über ihre Lippen. Die dunkle Elfe schob sich näher durch das Wasser an sie heran und ihre untote Haut schien in dem hellen Mondlicht noch fahler. Wenn du so fragst, möchte ich alles wissen, was dich bewegt. Die Priesterin schaute fast scheu hinab, auf die Wasseroberfläche, in der sich der Mond spiegelte. Also ich denke, die Frage nach dem jetzt ist leichter zu beantworten. Seitdem du wieder in mein Leben gestürzt bist und ich erkannt habe, dass die Verbindung zwischen uns noch immer oder wieder besteht, frage ich mich, ob es wieder eine Aufgabe gibt, die das ausgelöst hat. Als sie geendet hatte, schaute Marialle gespannt kurz auf. Dolette musste das Gesagte jedoch überdenken. Sie selbst hatte noch nicht darüber nachgedacht, seit dem sie die Geschichte um das goldene und silberne Licht, das sie beide umgab, erzählt bekommen hatte. Aber diese Frage an sich beschäftigte sie weniger. Sie wunderte sich viel mehr darüber, dass diese Verbindung überhaupt möglich war. Sie war eine Todesritterin. Nichts war dem Licht ferner als einer ihresgleichen.
Marialle, ich kann mir das absolut nicht erklären, aber weißt du, ich glaube, dass es nur eine Reaktion ist. Dass der Impuls, letztenendes aus dir heraus kommt. Ein Widerhall der Vergangenheit vielleicht. Der Kopf der Menschenfrau schnellte überrascht hoch und ihr Blick traf den von Dolette.
Die sanften Züge im Gesicht von Marialle veränderten sich und sie riss unentwegt den Mund auf. Irgendwann drang auch ihre Stimme an die Ohren der Elfe.

"Dole, komm zu dir!" Die ehemalige Paladin schien wie in Trance, starrte in die Augen der Hohepriesterin und doch durch sie hindurch.
Doch jetzt blinzelte sie und Leben durchzog ihre Gesichtszüge."Marialle, was ...?"
"Die Trolle!", drängte sie weiter und endlich zeichnete sich Erkenntnis auf dem Gesicht der Untoten ab. Sie reichte der Menschenfrau die Hand, um sie mit sich hoch zu ziehen. "Komm!", befahl sie und mit verschränkten, leuchtenden Händen stürzten sie in Richtung Türe. Marialle spürte noch den Windzug und sah dann einen kleinen Pfeil in der Schulter der Todesritterin stecken, der von dem bewusstlos am Boden geglaubten Troll ausging. Sie tastete mit der freien Hand nach dem, was den Schmerz verursachte. "Komm jetzt!", herrschte sie die Hohepriesterin erneut an und zog sie mit sich durch die Türe. Draußen konnte sie Dolette gerade noch rechtzeitig stoppen, bevor ein weiteres Geschoss sie getroffen hätte. Die vier anderen waren um das Haus gelaufen und traten nun von zwei Seiten an sie heran. Die Elfe zog ihr Schwert und Marialle formte einen gewaltigen Lichtblitz, den sie sogleich auf die beiden zu ihrer Rechten los ließ. Sie wurden hart auseinander gerissen und fielen wie Säcke, leblos zu Boden. Dolette schwang behäbig ihr großes Schwert und die beiden Drakkari versuchten ihr mit ihren Säbeln Einhalt zu gebieten. Das klirren der aufeinander treffenden Klingen beschallte für den Augenblick den dichten Wald um die Kontrahenten herum. Die Priesterin sah allerdings, dass die Kräfte der dunklen Ritterin zu schwinden drohten und schleuderte einen weiteren gleißenden Blitz an ihr vorbei. Den beiden untoten Trollen erging es nicht besser als den anderen und so verlor sie keine weitere Zeit und eilte zu der ehemaligen Paladin, die ihr Schwert gerade zurück in die Scheide gleiten ließ. "Danke, Mari ...", presste sie noch kraftlos heraus, bevor sie drohte zusammen zu sacken. Doch die Menschenfrau war schnell genug zur Stelle, um sie zu stützen. Sie wollte die Todesritterin gerade drängen, sich fortzubewegen, doch sie hielt die Priesterin zurück. "Zieh den Pfeil raus, Marialle. Er ist vergiftet", kam es leise über die blassen Lippen. Marialle schluckte schwer und nickte, woraufhin Dolette ihr den Rücken zuwandte. Sie legte vorsichtig die Hand um den Pfeil und atmete tief durch.
"Bereit?"
"Mach schon!", befahl die Elfe ruppig. Sie zählte im Inneren schnell bis drei und riss den kleinen Pfeil heraus. Die dunkle Ritterin verzog keine Miene. "Steck den Pfeil ein", sagte sie noch und ergriff ein weiteres mal die Hand der Priesterin. Sie machten sich schnellen Schrittes auf, zu Plagg zurückzukehren.
Eine Weile kamen sie gut voran, doch dann hielt Dolette inne.
"Warte, ich brauche eine Pause", erklärte sie schwer atmend. Marialle schlüpfte unter einen der Arme der Todesritterin und hielt die Hand fest, die schlaff an ihrer Schulter herab hing. "Nein, wir müssen schnell weiter. Vielleicht weiß Plagg, was das für ein Gift ist", sprach sie entschlossen, was Dolette schwach nicken ließ. So stützte sie die dunkle Elfe den weiteren Weg und schließlich sahen sie das sanfte Flimmern eines Lagerfeuers, an dem zwei Gestalten nah beieinander saßen. Als sie näher traten, erkannten sie den Hexenmeister und seine Dienerin. Die Todesritterin ließ sich kraftlos auf ihr Felllager fallen, das der Verlassene für sie vorbereitet hatte. "Was, beim Dämon ist passiert? Ihr wolltet mich doch holen, wenn ihr sie gefunden habt, Herrin!", ließ sich der Untote vernehmen, nachdem er erschrocken hochgeschnellt war, um seiner Herrin dienlich zu sein. "Wenn ich nicht sofort eingegriffen hätte, wäre Marialle auf dem Grill gelandet, Kinnab", presste sie noch immer nach Atem ringend hervor. "Meister Plagg, Dolette wurde von einem vergifteten Pfeil getroffen. Wisst ihr, was für ein Gift das ist?", mischte Marialle sich ein und hielt dem Angesprochenen den Pfeil hin. Plagg, leicht irritiert, roch eine Weile daran und ließ dann seine Zunge vorschnellen um das Gift zu schmecken. Er verzog angewidert das Gesicht und warf den Pfeil weg. "Dieser Pfeil wurde nicht vergiftet er ist verflucht. Schwer zu sagen, wie viel Zeit ihr noch habt, Mylady", sagte er finster.
"Verflucht? Dann kann ich den Fluch doch bannen!", stieß Marialle glücklich hervor, doch die Todesritterin schüttelte den Kopf und Plagg entgegnete für sie. "Da eure Kräfte sich abstoßen, würde das alles wahrscheinlich noch viel schlimmer machen. Ich schlage vor, wir brechen das Lager ab und beeilen uns, damit wir zügig Dalaran erreichen. Die Magier können sicher helfen. Meint ihr, ihr schafft das? Sonst wird Susi euch tragen."
"Susanne, Herrin Dolli am tragen?", quietschte die Sukkubus in freudiger Erwartung. "Nur über meine Leiche!", stieß die dunkle Ritterin angewidert hervor. "Nicht unwahrscheinlich, wenn ihr euch dagegen sträubt, Lady Dolette", schmunzelte der Verlassene. "Solange ich kann, werde ich laufen!"
So packten sie geschwind ihre Habe ein und luden es der Dämonin auf. Marialle legte sich wieder einen Arm von Dolette um den Hals, um sie zu stützen und sie zogen weiter.
Als sie die Todesritterin in ihren Armen so betrachtete, dachte sie über das Gesagte nach. Ihre Kräfte stießen sich ab. Es war wirklich erstaunlich, dass ihre schicksalhafte Verbindung sogar diesen Umstand außer Acht ließ.
Die dunkle Elfe schien ihre Gedanken zu lesen und schaute auf. Das makellose Gesicht war ein ums andere mal wunderschön, doch an den blau schimmernden Augen, konnte die Hohepriesterin erkennen, wie schwach sie bereits war. "Wird dir das auch nicht zu anstrengend für zwei zu gehen, Marialle?", ließ sie sich kraftlos vernehmen. "Du unterschätzt mich, meine Liebe", gab die Menschenfrau zurück und versuchte sich an einem Lächeln. "Was geht dir durch den Kopf?", fragte Dolette und die Frage entsprach mehr ihrem Gesichtsausdruck von eben, als die zuvor gestellte. Marialle wich ihrem Blick aus. Sie hatte sich zwar auf den Vorschlag der Todesritterin eingelassen, dennoch fiel es ihr schwer, ihre Gedanken und Ängste preis zugeben. Sie spürte an ihrer Wange, die freie, eiskalte Hand der dunklen Ritterin, die ihr Gesicht wieder zu sich drehte.
"Du kannst es mir ruhig sagen. Ich werde dir schon nicht wegsterben." Ihr Ton und ihre Augen waren so sanft, dass es der Priesterin die Sprache verschlug. Wie war es dieser dunklen Ritterin nur möglich so eine Sänfte an den Tag zu legen? Wenn sie doch andererseits nur einen kalten Blick brauchte, um einem das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.
"Wir haben den Kristallsangwald erreicht, Mylady. Wenn wir weiter so gut vorankommen, sollten wir Dalaran in etwa einem Tag erreicht haben", verkündete der Hexenmeister und machte vor sich eine ausladende Handbewegung. Eine gewaltige Treppe führte aus Zul Drak heraus und unten konnte man schon die schimmernden, hellen Kristallbäume sehen, die auf violettem Boden empor wuchsen.

Die dunkle RitterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt