Einsam

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10. Einsam

Lio merkte nach einiger Zeit, dass hier etwas nicht stimmte. Ihre Mutter wurde immer ruhiger und auch langsamer in ihren Bewegungen. Sie sprühte nicht mehr so vor Freude wie früher und das Lächeln auf ihren Lippen war eher schwach, statt voller Elan. Man sah es in ihren Augen, sie funkelten nicht mehr und sie meckerte auch seltener mit Lio, obwohl sie ihrer Mutter immer noch genügend Gründe gab. Die Rothaarige war sich sicher, dass hier etwas nicht nach rechten Dingen ging und so sprach sie ihre Mutter darauf an.

Natürlich hatte sie es immer wieder abgestritten und gemeint, dass alles in bester Ordnung sei. Doch irgendwann brach sie zusammen und Lio musste sich schnell um einen Arzt kümmern. Nach diesem Vorfall hatte Lina ihrer Tochter halbwegs erklärt, dass sie krank war und dass es nicht sonderlich gut für sie aussah, dass feststand sie würde sterben, verriet sie ihr allerdings nicht. Ab da war einiges anders. Lio trainierte weniger, stellte es sogar irgendwann komplett ein, und kümmerte sich um ihre Mutter. Diese war weniger begeistert davon, sie wollte es ihrer Tochter nicht einmal sagen und jetzt kümmerte diese sich um sie, dabei war sie gerade mal zwölf Jahre alt.

Lina konnte es fast zwei Jahre verheimlichen, aber sie musste ja einfach ohnmächtig werden, weil sie zu viel geschleppt hatte. Es war unumgänglich es weiterhin zu verleugnen. Die Brünette merkte schnell, dass die Ruhe nötig war und ihre Tochter war dabei eine große Hilfe. Sie hatte etwas umgeräumt und konnte somit ihre Mutter besser pflegen. Diese war inzwischen so schwach, dass sie immer Hilfe zum Aufstehen benötigte. Zu Beginn verweigerte sie die Hilfe ihrer Tochter und wollte selbstständig handeln, doch das endete damit, dass sie stürzte und damit ihrem Körper nur noch weiter zusetzte.

Lina musste sich eingestehen, dass es nichts brachte so zu handeln und sie ließ mit sich machen. Lio war von den Informationen völlig erschlagen und wusste zu Anfang nicht, wie sie damit umgehen sollte, doch sie begriff schnell und handelte. Ihre Mutter war immer für sie da und jetzt musste sie für diese da sein. Sie übernahm schnell die wichtige Rolle im Haushalt und erledigte alles Notwendige. Sie dachte ab und zu noch an ihren Traum, doch schlug sich diesen schnell aus dem Kopf, es stand momentan wichtigeres an. Ihrem Traum konnte sie immer noch nachgehen, wenn es ihrer Mutter besser ging.

Heute war wieder einer der Tage an denen es Lina besser ging, äußerlich zumindest. Die Brünette spürte, dass heute etwas anders war. Sie fühlte sich schwächer als ohnehin schon, doch da war noch ein anderes Gefühl. Ein Gefühl von Freiheit. Es würde nicht mehr lange dauern, das wusste sie und sie wollte die Zeit, die sie noch hatte, nutzen. Sie rief Lio zu sich, kurze Zeit später stand sie am Bett und wartete auf irgendwelche Anweisungen ihrer Mutter, doch diese kamen nicht. Die Brünette deutete ihrer Tochter mit einem Handzeichen sich zu setzen, sie folgte der stummen Aufforderung.

Erwartungsvoll sah sie ihre Mutter an, sie sah heute anders aus. Sie lächelte, schwach, aber dennoch konstant. Heute könnte ein guter Tag werden, dachte sich die Rothaarige und fragte dann ihre Mutter: „Ist alles in Ordnung? Soll ich dir was zu essen machen oder möchtest du was trinken?", liebevoll lächelte die Frau im Bett sie an und schüttelte den Kopf „Nein, mein Schatz. Danke, dass du dich so fürsorglich um mich kümmerst." Lio konnte nicht anders und lächelte genauso warm zurück „Das ist doch selbstverständlich."

Die Brünette überlegte sich, wie sie anfangen sollte. Sie wusste, dass ihre Tochter in den letzten Jahren viel nachdachte, in den letzten Wochen wurde es nur intensiver. Wie sollte sie das Thema Vater ansprechen? Die Rothaarige musste sich mittlerweile eine Meinung zu ihrem Vater gebildet haben und wahrscheinlich keine sonderlich Positive. Wie sollte Lina da das Bild noch ändern? Lio war damals voller Stolz und wollte ihrem Vater ihre Fortschritte zeigen, doch mit der Zeit hörte sie auf darüber zu sprechen. Sie fragte nicht mehr nach ihm und trainierte nur noch für sich, sie wollte niemanden stolz machen, nur noch stark werden.

Immer der Freiheit entgegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt