Wie tausend Nadeln

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37. Wie tausend Nadeln

Nach mehrfachem Fragen hatte sie endlich denjenigen gefunden, der ihr bei ihrem Vorhaben helfen konnte. In einem etwas heruntergekommenen Laden stand sie nun und betrachtete den alten kleinen Mann, der sie misstrauisch anschaute. Energiegeladen trat sie zu dem Tisch an dem er saß und sagte: „Ich würde mir gern ein Tattoo stechen lassen!", sie grinste breit, doch er gähnte nur müde. „Mädchen, mach dass du wegkommst", mit einer lahmen Bewegung seiner Finger deutete er ihr, dass sie verschwinden sollte. Ebenso schloss er die Augen, um zu verdeutlichen, wie gering sein Interesse ihr gegenüber war.

Lio ließ sich nicht beirren und versuchte es erneut. „Ich zahle auch gut, komm schon." Sie zog einige Scheine aus ihrem Beutel und legte sie auf den Tisch. Immer noch desinteressiert öffnete er die Augen und sah das kleine Bündel an Scheinen vor ihm liegen. Undeutlich brummte er irgendetwas. Die Kleine meinte es wohl ernst.

Mit einem Ächzen stand er auf und trat zur Tür, er schloss ab und drehte ein Schild herum, welches die Rothaarige beim Eintreten gar nicht beachtet hatte. Argwöhnisch sah sie ihn an, wollte er sie jetzt etwa einsperren? Doch auch ihr Argwohn legte sich nicht, als er durch eine Tür in einen anderen Raum verschwand. Sie blieb dort stehen und machte sich auf alles gefasst, was nun passieren könnte. Der Mann kam zurück und meinte dann nur träge: „Worauf wartest du? Ich werde hier nicht jünger", damit verschwand er wieder hinter der Tür.

Mit einem Schulterzucken folgte sie ihm und trat in einen sehr hellen sauberen Raum. Wow. Das hätte sie nun nicht erwartet, wenn man mal den Laden betrachtete. Der Grauhaarige hantierte schon mit einigen Gegenständen rum, von denen die Rothaarige keinen Schimmer hatte. Er wandte sich mit den Worten an sie: „Was darf es denn sein? Ein Schmetterling oder doch ein Pferd?", mit einer Handbewegung deutete er ihr näher zu kommen. Lio schüttelte den Kopf und meinte dann: „Ich dachte eigentlich an einen Jolly Roger", der Alte hob fragend eine Augenbraue. Sie war also Piratin? Hätte er niemals gedacht. „Gut. Welcher Crew, wie groß und wohin?", fragte er schließlich und hoffte, er würde die Piraten kennen oder sie hätte zumindest ein Bild dabei. „Whitebeard, etwa so groß", sie zeigte dabei ein Rechteck in die Luft, welches circa 15x20 cm groß war, „und hier hin", dabei wies sie auf die linke Seite ihres Bauches. Über die Stelle hatte sie lange nachgedacht und es schien ihr passend, direkt unter ihrem Herzen. Doch sollte er nicht direkt frontal zu sehen sein, sondern etwas weiter nach außen.

Der Mann nickte und wiederholte nochmals: „Also gut, der von Whitebeard, die Größe und an der Stelle", mehrere Male nickte er ehe er realisierte, was er überhaupt gesagt hatte. „Warte... Whitebeard?!", rief er empört und sah das Mädchen mit einem nicht deutbaren Blick an. „Du willst mir sagen, du bist eines von Whitebeards Kindern?", seine Stimme war immer noch so kraftvoll und hoch, dass Lio zusammenzuckte. Was hatte er denn nur, waren die Beiden etwa mal Feinde? Unsicher nickte sie. Dann geschah etwas, was sie keineswegs erwartet hatte. Ihr Gegenüber brach in schallendes Gelächter aus. Mit Augen verzogen zu Schlitzen sah sie den Alten an, lachte er sie gerade etwa aus? Er rieb sich die Augen, um die Tränen wegzuwischen und gluckste noch ein letztes Mal. „Wie geht es dem Alten denn? Trinkt er immer noch so viel wie früher?", verdattert sah sie ihn nun an. Sie kannten sich also, es klang nicht nach einer Feindschaft, so wie er von Whitebeard sprach. „Ihm geht es gut und er trinkt, als wäre es ein Heilwässerchen und kein hochprozentiger Alkohol", sagte die Rothaarige und wieder brach der alte Mann in schallendes Gelächter aus. Schneller als zuvor fasste er sich. „Genauso kenne ich ihn und nicht anders."

„Leg dich ruhig schon mal", wies er sie an und suchte dabei noch einige Sachen zusammen, die er benötigte. Die Piratin tat wie ihr angewiesen und machte es sich auf der Liege bequem, dabei zog sie ihr Oberteil soweit wie notwendig nach oben und sah den Rücken des Alten an. „Wie heißt du?", fragte sie ihn und er warf ihr einen Blick über die Schulter zu. „Stan, der Knochenbrecher", sagte er stolz und präsentierte ihr ein breites Grinsen. „Nett", erwiderte die Rothaarige matt. Sein Beiname war nicht ganz so einladend, doch konnte sie ihn bei seinem Äußeren nicht sonderlich ernst nehmen. Er sah ihren Blick. „Unterschätze mich bloß nicht Kleine", sie musste nur lächeln. Sie wusste ganz genau, wie er sich fühlte.

Immer der Freiheit entgegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt