47 - Feindesland (1)

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Ihr Vorhaben, die kleine mezertinische Flotte, die im Hafen vor Anker lag, in der Dunkelheit zu überraschen, war ihnen geglückt. Bevor die Seemänner und Hafenarbeiter wussten, wie ihnen geschah, war es bereits zu spät. Vier der schnellen, wie schlanken westländischen Langschiffe Palu Menks waren, mit ihren pechschwarzen Segeln, beidseitig den schmalen, felsigen Küstenstreifen entlanggekrochen und durch die engen, unbefestigten Hafeneinfahrten geschlüpft. Dort versenkten sie ihre eisernen Rammen in die Flanken der feindlichen Schiffe, auf das diese nie wieder in See stechen würden. Die furchtlosen Besatzungen der ‚Fischerkönig' und ‚Schwarze Lissy' aus Westen heranrauschend, sowie der ‚Hammerschlag' und ‚Meerkatze' im Osten, bestanden ausnahmslos aus unerschrockenen Männern, die sich freiwillig für jenes Vorhaben gemeldet hatten. Ihr Überraschungsangriff beinhaltete ebenso, mit Pfeil und Bogen, Wurfspeeren und -äxten den Hafen in zusätzliches Chaos zu stürzen. Der Lärm von berstendem Holz und brechenden Masten vermischte sich daher mit angsterfüllten Schreien, die über das Meer hinweg zur ‚Blaue Palu' rollten.

Lena stand an der Seite von Kal Zigel und Tai Fisi an der Reling ihres Schiffes und beobachtete das Schauspiel aus sicherer Entfernung, weit draußen vor der Küste der Stadt des Feuers. Der warme Nachtwind umstreichelte ihre Wangen und blähte die leichten Stoffe, welche sie am Leibe trug, auf, wie kleine Pavillons. Ihre Garderobe umfasste auch Lederharnisch, schwere Stiefel. Kettenhemd, Visierhelm, Arm- und Beinschienen und eine Halsberge – allesamt in saphirblau. Darauf hatte sie bestanden, so denn der Tag käme, an dem sie das Feindesland betreten würde. Sie, die blaue Palu, für die der Lärm der entfernten Schlacht, auf eine seltsame Art und Weise, befriedlich wirkte.

„Für Ansakar", dachte sie sich, doch gefühlt war es auch für Elisus, Perem und für ihren Vater, ihre Mutter.

Die Blicke ihrer beiden Nebenmänner waren angestrengt und fokussiert, regelrecht freudlos. Selbst der Tai hatte keines seiner üblichen Lächeln aufgesetzt, sondern wirkte nervös und angespannt. Ob auch Palu Menk auf seiner ‚Millot' gerade an der Reling stand und den salzigen Nachtwind auf der Haut spürte? Ob er es genoss, wie dieser, warm und behutsam durch seine prächtigen Locken strich? Oder ob er ebenso starr und gebannt auf Mezerte blickte, wie Zigel und Fisi?

Bisher war der Plan der beiden Männer jedenfalls voll aufgegangen. Des Tais Heerführer Ozario Zana hatte bereits vor drei Tagen ein kleines Schiff, die ‚Waldeule', mehrere Meilen westwärts geschickt, um dort in einer felsigen Bucht anzulanden. Eine kleine Gruppe zäher Krieger, um Leo Belao, sollten sich daraufhin zu Fuß Richtung Mezerte aufmachen, die dortige Gegend auskundschaften. Vier Tage und vier Nächte hatte die venuarische Flotte daraufhin weit draußen auf dem offenen Meer ausgeharrt, den Lauf der Sonne beobachtet, dann die Sterne am Firmament gezählt und gewartet. Gewartet auf just jene vierte Nacht, als der Mond an seinem höchsten Punkt am Himmel stand. Von da an hatten sie ihre Segel und Kurs auf Mezerte gesetzt. Die Regentin war so angespannt gewesen, dass ihr beinahe schlecht geworden wäre, hätte sie nicht zwei Becher Wein getrunken, um ihren Magen zu beruhigen. Dem guten Zureden ihres obersten Beraters zu lauschen, verschaffte zusätzliche Abhilfe. Schon vor drei Tagen hatte Fisi ihr versichert, dass der erste Teil ihres Planes ganz sicher gelinge.

„Wisst Ihr, warum sie Leo Belao und seine Getreuen ‚die Eulen' nennen?", hatte er Lena gefragt, woraufhin sie nur mit den Schultern zuckte. „Sie sagen, seine Männer und er bewegen sich ebenso lautlos, wie ihre Namensgeber, wenn diese Jagd auf Beute machen. Manche behaupten gar, dass Belao seinem eigenen Schatten davonschleichen könnte, wenn er es nur wollte."

Da hatte er noch verschmitzt gelächelt und ihr zugeprostet: „Eine Eule jagt bei Nacht und ist auf ihrem Beutezug präzise und tödlich. So ist es auch bei Leo Belao und seinen Getreuen. Die Feuertürme gehören uns, meine Regentin."

Die Feuertürme. Sie waren die Augen der Mezerti und dieser besaßen sie gleich vier. Auf einem Hügel, umgeben von einer grotesken Formation aus scharfkantigen Felsen, östlich der Stadt und nahe dem Hafen, stand der wichtigste von ihnen. Dort überblickten die ‚Fernwächter', wie sich jene angesehenen Männer und Frauen nannten, nämlich das Meer und den Horizont. Erblickten die Wächter fremde Segel in der Ferne, läuteten sie sogleich die große Glocke an ihrem Turm und versetzten die ganze Stadt in Alarmbereitschaft. Der zweite Turm stand westlich der Stadt in den zerklüfteten Hügeln und überblickte sowohl die Küste als auch die Straßen, die bis in das weit entfernte Surme führten. Nördlich der Stadt überwachte ein Feuerturm ebenfalls Küste und Straßen gen Nordosten und der vierte Turm schließlich behielt seine anderen drei Brüder und die Stadt selbst im Blick. Anhand des Läutens konnten die Mezerti und Feuerreiter sofort erkennen, welcher der vier Türme Alarm schlug, denn alle besaßen sie unterschiedliche Klänge und Melodien.

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