38 - Der Narr der Regentin (3)

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Behutsam faltete er das Papier wieder zusammen und klemmte es hinter seinem Gürtel gut fest, auf das er es auf keinen Fall verlieren würde.

„Ich danke dir, Fuchs. Du hast mir wahrlich geholfen", bedankte er sich bei dem stummen Jungen, der daraufhin nur abwinkte, so als wollte er sagen, dass dieser Gefallen selbstverständlich war und Di ihm doch gar keinen Dank schulde.

Die kleine Salli Venua kam mit lautem Gepolter die Treppe heraufgestampft, ihre Gefolgschaft Issa, Nara, Lisy und zwei weitere Mädchen im Schlepptau, von denen Di die Namen nicht kannte.

„Was verheimlicht ihr vor eurer Regentin?", blies sie voller Empörung die Backen auf.

Di musste aufpassen, dass er nicht lachte. Ihre kurzfristig aufgesetzte Krone, eine zusammengeknotete Strumpfhose, schief auf ihren strohigen, blonden Haaren sitzend, vermittelte nun eher den Eindruck, als sei sie die Gemahlin des namunschen Lumpenkönigs, denn die Regentin Venuas.

„Wir erwarten die Befehle der ehrenwerten und wunderschönsten Frau Venuas", gab er sich wahrhaft vornehm und verbeugte sich tief. Fuchs tat es ihm, mit kurzer Verzögerung, gleich.

„Ich wünsche, dass man uns eine Geschichte erzählt."

Die Mädchen schauten einander an und nickten sich gegenseitig zu.

„Eine Geschichte über die Zweitwelt", fügte Nara ergänzend an.

Di konnte sich zumindest ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Meine Regentin", begann er so vornehm, wie er es sonst nur vom Herrn der Ostlande kannte, „gerne werde ich Euch wieder eine Geschichte erzählen, wenn die Zeit reif ist. Doch aktuell herrscht Krieg und ich muss noch viele Vorbereitungen treffen. Die Damen und Herren in unserer kleinen Runde werden mir hier sicher zustimmen?"

Er blickte in verdutzte Gesichter.

„Ich werde morgen zur späten Mittagsstunde wieder bei Euch sein. Dann erzähle ich Euch eine neue Geschichte", erklärte er und zu seiner Erleichterung stimmte Salli seinem Vorschlag zu.

Sie umarmte ihn zum Abschied. Nichts Ungewöhnliches für ihn, doch bemerkte er erneut, dass sie es irgendwie anders tat, als Suki es immer getan hatte. Es fühlte sich eher so an, wie man es von einer kleinen Schwester erwarten würde.

„Kleine Schwester", murmelte er in sich hinein, als er wieder in die Straßen des Sonnenscheins trat und seine Schritte beschleunigte. Wenn Bohns und Thuma wieder nach Hause kämen, dann würde auch Hennis Krug wieder in seine vier Wände zurückehren. Er würde ihn wohl erst morgen früh wieder sehen können, doch seinen Jua-Brief, den würde er ihm heute schon überbringen.

Vor dem kleinen Häuschen Krugs, in der Ziegelei, versicherte er sich zunächst noch einmal, dass ihn niemand beobachtete, zog anschließend den Brief hinter seinem Gürtel hervor und schob diesen vorsichtig unter der purpurroten Tür hindurch. Zuvor hatte er die unbeschriebene Rückseite des Briefs noch mit dem Hinweis ‚Von Dieke Brahmen für Hennis Krug' versehen, so das der Gelehrte sofort wusste, von wem diese unerwartete Botschaft stammte. Dazu hatte er sich an Feder und Tinte des alten Bohns gütig getan. Einzig Mulwig war zu dieser Zeit im Anwesen des blinden Mannes zugegen gewesen, hatte jedoch mehr mit der eigenen Müdigkeit zu kämpfen, als das er groß auf Di hätte achten können.

Seine Gedanken kreisten noch lange um den Brief und somit auch unweigerlich um Paky. Aber auch um den Krieg gegen den Lumpenkönig und den Hohepriester Namuns sorgte er sich. Er dachte an die Lumpenprediger, an den blutenden Soldaten hinter den schwarzen Mauern, der laut Salli zu irgendwelchen ‚Schatten' gehörte. Er dachte an den geheimnisvollen Gast, den der alte Bohns einst empfing, bevor die Delegationen der West- und Ostländischen in Venuris eintrafen. An die Nachrichten über ‚das Kind', die er nicht verstand.

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