08 - Zeit der Dämmerung (3)

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Er musste schon länger in seinem Bett liegen, wurde ihm plötzlich klar. Er konnte sich an so viele Gesichter erinnern, ohne genau zu wissen, ob er diese überhaupt klar und deutlich erkannt hatte, denn viel mehr als schemenhafte Umrisse waren auch jetzt nicht zu sehen.

Saebyl war unzählige Male um ihn herum gewuselt. Seine Leibköchin war eine kleine, kugelrunde Frau und verströmte stets den Geruch von Küche. Zwar besaß sie die Empathie eines Eimer Wassers, doch hatte sie stets, auf ihre Art, besorgt gewirkt, als sie ihm wochenlang den selbst gekochten Traumtee auf sein Zimmer gebracht hatte.

Seine Alpträume und die, mit der Schlaflosigkeit verbundene, Auszehrung waren es gewesen, die ihn zu diesem Wrack hatten werden lassen. Der Traumtee war nutzlos gewesen, beinahe genauso wie der Wein, der ihm gefolgt war. Sein Leben lang hatte er den Heitermacher nur in Maßen genossen, nachdem er gesehen hatte, was dieser aus den Menschen machte. Am Ende war er zu seiner letzten Hoffnung geworden und eine ganze Flasche oftmals nicht genug. Neben vernebelter Sinne und bitterer Melancholie brachte er aber auch, zumeist, einen tiefen und traumlosen Schlaf mit sich, der jedoch genauso wenig erholsam gewesen war, wie die, vom immer gleichen Alptraum durchzogenen, Nächte, die er vorher durchlebt hatte.

Er erinnerte sich auch an einige seiner Berater, die den Weg in seine Gemächer gefunden hatten.

Gunnet Bohns, der blinde kahlköpfige Mann, war mit einem seiner jungen Burschen bei ihm gewesen. Bohns war bereits einer der Ratgeber seines Vaters gewesen, hatte im großen Kriege seine beiden älteren Brüder verloren. Er war stets einer der wenigen Freunde Hofkens gewesen, der ansonsten kaum Kontakte zu anderen Menschen pflegte. Bohns, ein im Übrigen sehr belesener Mann, hatte seinem Regenten sogar spezielle Teemischungen von den besten Heilern der Ostlande zukommen lassen, doch auch diese waren wirkungslos geblieben. Auch Bohns war somit nicht in der Lage gewesen, seine Probleme zu lösen.

Seinen langjährigen Vertrauten und guten Freund, Kal Zigel, hatte er ebenfalls unter den vielen Schemen erkannt, die an sein Bett herangetreten waren. Dazu musste man allerdings erwähnen, dass dieser, selbst verschwommen, nur unschwer zu erkennen war. Durch seine große und breite Statur, mit den ausschweifenden Hüften, was an seinen Speckringen lag, hatte Palu keine Probleme gehabt das Oberhaupt der venurischen Waffen zweifelsfrei zu identifizieren. Zumindest wenn er sich dessen Schatten nicht eingebildet hatte. In seinem aktuellen Zustand war es für ihn schwer zwischen Traum und Realität zu unterscheiden.

So konnte er auch nicht mit Sicherheit sagen, ob der kleine Junge von Kal Brahmen an seinem Bett gestanden hatte. An dessen optische Erscheinung fehlte ihm ohnehin jede Erinnerung, viel mehr war ihm seine, alles überlagernde, Traurigkeit im Gedächtnis geblieben, die er ausgestrahlt hatte, als er ihn das erste und letzte Mal sah. Damals war er, zusammen mit den vier anderen Begleitern Brahmens und Hofkens, im Palast aufgetaucht. Seine kleine Lena hatte intuitiv richtig gehandelt. Emara hätte das Gleiche getan. In beiden schlug das gleiche, gute Herz.

Die Entscheidung, Brahmens Sohn vorübergehend hier einzuquartieren, war eine gute Entscheidung gewesen, auch wenn seine Tochter damit kein Stück wiedergutmachen konnte, was ihr Vater dem Jungen angetan hatte.

Ein weiteres Stückchen Erinnerung kam wieder zurück.

„Zu auffällig", hallte es aus den Untiefen seines Kopfes. Es wäre zu auffällig, Hofken mit eigenen Leibwächtern in die Zweitwelt zu schicken. „Wir leben in Zeiten, in denen wir nicht mehr jedem blind vertrauen können", fügte eine Stimme an, die er nicht mehr zuordnen konnte. War es seine eigene?

Kal Brahmen war nicht nur ein hoch angesehener Händler und ein Vertrauter des Herrschers der Zweitwelt. Bei ihm war Hofken, seiner damaligen Auffassung nach, sicherer gewesen, als bei jedem anderen. Wenn er die unzähligen Augen der Zugangswächter passierte, achtete kaum jemand darauf, wer sich in seinem Gefolge befand.

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